Wandte sich Beginn der Diskussion mit einer Grußbotschaft per Video an die Besucher: Can Dündar
Foto: Sachelle Babbar

BJV-Landesvorstand

Europas Journalisten unter Druck

Podiumsdiskussion des BJV zum Tag der Pressefreiheit befasst sich mit Situation in der Türkei, Polen und Ungarn

München, 04.05.2018

Sprach per Videobotschaft ein Grußwort für die Besucher*innen im Münchner Presseclub: Can Dündar.

In der Türkei sitzen mehr als 150 Journalisten im Gefängnis – mehr als in allen Ländern der Erde. Auf der Rangliste zur Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen rangiert das Erdoğan-Regime inzwischen auf Platz 157 von 180 im Umfeld verschiedener Diktaturen.

Auch Polen ist in der Rangliste deutlich abgefallen (Platz 58), seit die nationalkonservative PiS-Regierung an der Macht ist. Das Bittere: Die Bevölkerung scheint dies wenig zu interessieren.

In Ungarn (Platz 73) beschneiden nicht nur Mediengesetze die Pressefreiheit, auch werden regierungsunabhängige Tageszeitungen systematisch zerschlagen und die Propaganda des Premiers Viktor Orbán beherrscht die Medien.

Zum Tag der Pressefreiheit hinterfragte der BJV bei einer Podiumsdiskussion „Repressalien für Journalisten in Ankara, Budapest und Warschau – steht die Pressefreiheit vor dem Aus?“.

Experten zur Türkei, Ungarn und Polen
Auf dem Podium diskutierten Henryk Jarczyk, außenpolitischer Redakteur beim Bayerischen Rundfunk in der Redaktion Politik und Hintergrund und selbst in Polen geboren; der freie Journalist, Türkei-Experte und Autor des Buchs „Atatürks wütende Enkel“ Baha Güngör, der deutsch-ungarische Journalist und Korrespondent Stephan Ozsváth, Autor des im Herbst 2017 erschienen Buchs „Puszta-Populismus: Viktor Orbán – ein europäischer Störfall?“, sowie Michael Rediske, geschäftsführender Vorstand der Reporter ohne Grenzen.

Thomas Morawski, Fernsehjournalist und früherer Leiter des ARD-Studios Wien/Südosteuropa moderierte die Podiumsdiskussion. Zuvor hatte Verbandsvorsitzender Michael Busch die diesjährigen Preisträger des BJV-Wettbewerbs zum Tag der Pressefreiheit bekannt gegeben.

Türkei: Rund 1000 Journalisten entlassen
Zwischen 140 und 160 Journalisten sitzen derzeit laut Güngör in türkischen Gefängnissen. Rund 1000 Journalisten wurden entlassen und haben damit Job und Akkreditierung verloren.

Inzwischen beherrscht Präsident Recep Tayyip Erdoğan 85 bis 90 Prozent aller Medien in der Türkei. Und eine zusätzliche – laut Güngör hohe Gefahr – geht für Journalisten von der aufgehetzten Öffentlichkeit aus. Ein wenig Kritik übte er an der Berichterstattung der Kollegen in Deutschland: „Die Presse in der Türkei ist auch deshalb weit unten, weil wir uns immer wieder nicht gekümmert haben. Deniz Yücel ist frei – und wer schreibt jetzt noch über die Journalisten in den Gefängnissen?“

Gewalt auf Demonstrationen
Blick nach Polen. Das Land sei auf dem besten Weg gewesen, bis 2015 ein Diktator auf Zeit kam, wie es Jarczyk auf dem Podium formulierte. Gewaltandrohung auf Demonstrationen habe er selbst erlebt, erzählt der BR-Redakteur.

Er beschreibt anhand vieler Beispiele, wie Pressefreiheit schleichend beschnitten wird: So sei ein beliebtes Druckmittel, in privaten Medien, die regierungskritisch berichten, keine Anzeigen mehr zu schalten. Dass bis dato keine Verlage schließen mussten, liege einzig daran, dass sie vom Ausland unterstützt würden. Kontrollorgane des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die eigentlich auf Objektivität achten sollten, sorgen inzwischen dafür, dass bestimmte Dinge in Rundfunk und Fernsehen nicht gesagt werden.

Mit neuem Gesetz droht Gefängnis
Zwar säßen keine Journalisten in Polens Gefängnissen, doch Jarczyk fragt sich, wie lange dies noch der Fall sein wird. Der BR-Redakteur verweist in dem Zusammenhang auf ein neu erlassenes Gesetz. Demnach drohen künftig unter anderem bis zu drei Jahre Gefängnis, schreibt man Polen eine Mitverantwortung für die vom nationalsozialistischen Deutschland begangenen Verbrechen zu oder bezeichnet die von Deutschen während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen betriebenen Vernichtungslager als polnische Vernichtungslager.

Dass der Bevölkerung die Aushöhlung des Rechtsstaats egal zu sein scheint, empfindet Jarczyk als besonders bitter. 

„Permanent im Wahlkampfmodus“
„Die gesamte Bevölkerung wird permanent im Wahlkampfmodus gehalten“, beschreibt Stephan Ozsváth die Situation in Ungarn. „Redaktionelle Inhalte und Regierungspropaganda verschwimmen.“

Dass Ungarn auf der Rangliste der Pressefreiheit um 50 Plätze gesunken ist, seit Victor Orbán an der Macht ist, hat viele Gründe: Um die 1000 Journalisten wurden laut Ozsváth seither entlassen – oder „auf die elegantere Art“ liefen Verträge aus. Mit Orbáns Mediengesetz wurden die öffentlich-rechtlichen Sender gleichgeschaltet. Den Medienrat hat der Premier gleich über zwei Legislaturperioden auf neun Jahre besetzt – und damit vorgesorgt für den Fall einer Abwahl.

Der Anzeigenmarkt und auch fast die gesamt Regionalprintszene befinden sich in der Hand regierungsnaher Oligarchen. Oder mit Stephan Ozsváths Worten ausgedrückt: „Die meisten Medien pfeifen das Lied Orbáns.“

„Protest ist nie umsonst“
Doch was bringt‘s, wenn Journalisten hierzulande diskutieren und Organisationen wie Reporter ohne Grenzen auf Missstände in Ländern wie der Türkei aufmerksam machen? „Protest ist nie umsonst“, ist Reporter ohne Grenzen-Vorstand Rediske überzeugt. „Wir rollen den Stein des Sisyphos den Hang immer wieder neu hoch.“

Michaela Schneider

Schlagworte:

Pressefreiheit

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