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 Joachim Kaiser: 1928 – 2017
 Joachim Kaiser: 1928 – 2017
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Jürgen Bauer/Süddeutsche Zeitung Photo

BJV-Geschäftsstelle

Der Musik-Erklärer

Joachim Kaiser war der letzte Kritikerpapst in Deutschland – ein Nachruf von Alois Knoller

München, 12.05.2017

Seine Lebenserinnerungen trugen den hintersinnig-ironischen Titel „Ich bin der letzte Mohikaner“. Und tatsächlich ragte Prof. Joachim Kaiser, der bis zuletzt als leitender Redakteur im Impressum der Süddeutschen Zeitung geführt wurde, aus einer vergangenen Epoche herüber.

Einen Feuilleton-Kritiker wie ihn wird es nicht mehr geben. Einen mit solcher universaler Bildung im Ästhetischen, mit solcher Schärfe des Verstandes, mit solcher Aufmerksamkeit und Präsenz, mit solcher schier unerschöpflichen Schaffenskraft. Noch zum Wagnerjahr 2013, da war Kaiser bereits 85 Jahre alt, erschien sein Buch „Leben mit Wagner“ – was durchaus wörtlich zu verstehen ist, hatte er doch 1951 seine erste Wagner-Oper rezensiert. Am 11. Mai ist Joachim Kaiser nach längerer Krankheit im Alter von 88 Jahren in München gestorben.

Joachim Kaiser war ein halbes Jahrhundert lang die prägende Stimme der deutschen Musikkritik. Was er sagte, was er schrieb, wen er lobte, wen er tadelte, hatte Gewicht und Substanz. So unvergleichlich machte ihn seine Passion für die Sache. „Die klassische Musik liebte er (…) und wenn er sich in ihrer Geschichte ebenso frei bewegte, wie er große musikalische Œuvres theoretisch durchdrang, dann war dieser Vertrautheit das Forschen und Erkennen eines Menschen vorausgegangen, der von seiner Geliebten alles hatte wissen wollen“, schreibt SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld in seinem Nachruf.

Niemals schwang Kaiser den Säbel, seine Ausführungen waren elegant, vermittelnd, rücksichtsvoll. Und seine Stimme blieb vielen unvergessen, die vielleicht im Radio dieses singende Ostpreußisch vernommen hatten. Am 18. Dezember 1928 im kleinen Ort Milken geboren, wuchs Joachim Kaiser in einer Landarztfamilie auf, früh spielte er Klavier und als nach Kriegsende das „Entartete“ nicht mehr unter Verdikt stand, öffnete sich ihm die Welt der Kultur. Er studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie und ging durch die Frankfurter Schule Theodor W. Adornos. Dieser empfahl ihn zum Radio und auch Hans Werner Richter lud ihn in die „Gruppe 47“ ein. Böll, Grass, Walser lernte er dort kennen – und vor allem Marcel Reich-Ranicki, die dieselbe Passion beseelte.

1959 kam Kaiser nach München zur SZ und hat – SZ-Chefredakteur Kurt Kister wagt das große Wort – das geistige Klima in Westdeutschland beeinflusst und mit seiner intellektuellen Reputation die Süddeutsche Zeitung nachhaltig geprägt. Seine Beiträge hatten überzeugende Wucht, seine Leitartikel geistige Weite. 1977 gab er den Posten des Feuilletonchefs ab. Doch er schrieb und schrieb Kritiken von den Festspielen in Bayreuth und Salzburg ebenso wie kenntnisreiche, fesselnde Bücher.

Dass die Hochkultur an Wertschätzung verlor, quittierte Kaiser im Alter mit Melancholie. „Es war durchaus einmal ein sehr deutsches Motto, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun und nicht nur ans schnöde Geld zu denken“, schrieb er in seinen Lebenserinnerungen.

Er selbst fuhr jahrzehntelang mit dem Fahrrad in die Redaktion. Als Joachim Kaiser sich Ende 1962 um Aufnahme in den BJV bewarb, stellten ihm Kollegen beste Zeugnisse aus („… und kann versichern, daß die Persönlichkeit von Herrn Dr. Kaiser dem Verband in jeder Hinsicht zur Ehre gereichen wird“).

Alois Knoller

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