Arbeiten im Homeoffice: Weder Paradies noch Hölle
Porträtbild von Andrea Kümpfbeck während der Online-Diskussion
„Ich glaube, dass es eine Kultur- und Generationenfrage ist, ob ein Unternehmen Homeoffice akzeptiert oder nicht“, sagte Andrea Kümpfbeck, stellvertretende Chefredakteurin der Augsburger Allgemeinen
Wie das mobile Arbeiten den Alltag von Journalist*innen verändert – Podiumsdiskussion des BJV
Die Arbeit im Homeoffice muss auf Freiwilligkeit beruhen und braucht klare Regeln. Und: In einem Beruf wie dem Journalismus wird es in nach der Pandemie in vielen Verlagen wohl auf Mischformen hinauslaufen, unter anderem, weil Kreativität eben doch ab und an den direkten Austausch braucht. Darüber waren sich die Teilnehmer*innen der Online-Podiumsdiskussion „Paradies oder Hölle – Arbeit im Homeoffice“ weitgehend einig.
Im Kern ging es um die Frage, wie das mobile Arbeiten Journalist*innen und ihren Alltag verändert. Eingeladen hatte der BJV, mehr als 45 Mitglieder und Gäste schalteten sich zu. Fünf weitere Impulsabende zu Fragen rund um Homeoffice und mobiles Arbeiten folgen bis zum 17. März.
Wissenschaft, Politik und Praktiker
Es debattierten: BJV-Vorsitzender Michael Busch, der als Redakteur beim Fränkischen Tag und Vater zweier derzeit daheim zu beschulender Kinder selbst einige Herausforderungen zu meistern hat; die Professorin Dr. Bettina Kohlrausch, die als wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung mit ihren Mitarbeiter*innen untersucht, welche Möglichkeiten die mobile Arbeit bietet und welche Risiken entstehen; Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, die schon vor der Pandemie forderte, dass Unternehmen (mehr) Arbeit im Homeoffice ermöglichen sollten; und Andrea Kümpfbeck, stellvertretende Chefredakteurin der Augsburger Allgemeinen. Die Moderation übernahm Andrea Roth, Fernsehautorin und Regisseurin beim Bayerischen Rundfunk sowie stellvertretende Vorsitzende des BJV.
Dinge passiert, „über die wir sonst Jahre diskutiert hätten“
„Wir hatten beschlossen, dass bei uns Sicherheit vorgeht“, sagte Andrea Kümpfbeck. Und so wurde die Redaktion der Augsburger Allgemeinen schon vor dem Lockdown in zwei Teams aufgeteilt, diese arbeiteten dann immer in gleicher Besetzung zwei Wochen lang im Büro und zwei Wochen von daheim aus. Seit dem zweiten Lockdown sind alle Redakteur*innen im Homeoffice.
Man sei sich nicht sicher gewesen, ob es tatsächlich funktionieren werde, 16 Ausgaben auf diese Weise zu produzieren. Serverkapazitäten wurden verdoppelt, Laptops für die Kolleg*innen angeschafft.
Auf die Schnelle seien Dinge passiert, „über die wir sonst Jahre diskutiert hätten“, sagte Kümpfbeck. Mit dem Betriebsrat ausgehandelt ist inzwischen auch eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten.
„Teils arbeiten Kolleg*innen viel zu viel“
Gleichzeitig musste der Verlag den Mitarbeiter*innen vertrauen, dass auch von daheim aus effektiv gearbeitet werde. Kümpfbeck beobachtet nun: „Teils arbeiten die Kolleg*innen im Homeoffice viel zu viel.
Wir müssen uns, im Gegenteil, Instrumente überlegen, sie eher zu bremsen.“ Schwer taten sich einige Lokalchefs wohl anfangs, die Teams zusammenzuhalten, dafür habe man inzwischen verschiedene Hebel entwickelt. Auf Details ging Kümpfbeck hier nicht ein.
Eine Kultur- und Generationenfrage
Immer noch knirscht es wohl zudem beim kreativen Part, etwa mit Blick auf die Themenplanung. Was fehlt, sei der „Austausch auf einen Kaffee“.
Der Augsburger Allgemeinen schwebt für die Zukunft ein Modell vor, bei dem Kolleg*innen, mal von zuhause und mal in der Redaktion arbeiten, aber – und dies ist Kümpfbeck extrem wichtig – auf freiwilliger Basis: „Man darf nicht vergessen, dass etliche Redakteurinnen und Redakteure nicht ins Homeoffice wollen!“
In zwei Fällen hat der Verlag gar einen Coach organisiert, weil Kolleg*innen nicht mit der aktuellen Situation zurechtkommen. Auch sagte die stellvertretende Chefredakteurin: „Ich glaube, dass es eine Kultur- und Generationenfrage ist, ob ein Unternehmen Homeoffice akzeptiert oder nicht.“
Viele Beschäftigte weiter zur Präsenzarbeit angehalten
Das WSI der Hans-Böckler-Stiftung beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Fragen zum mobilen Arbeiten. Dessen Direktorin Kohlrausch präsentierte nun verschiedene aktuelle Ergebnisse, einige davon wurden bereits veröffentlicht: 24 Prozent der Befragten gaben demnach im Januar an, ausschließlich oder überwiegend von zuhause aus zu arbeiten, im „Lockdown light“ im November waren es nur 14 Prozent.
Klar sei bei der aktuellen Befragung geworden: Noch immer würden viele Beschäftigte mit Homeoffice-geeigneten Jobs zur Präsenzarbeit angehalten. Ebenfalls interessant: 77 Prozent der Befragten sagten, Homeoffice erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, 60 Prozent glauben, die Arbeit daheim effektiver organisieren zu können als im Betrieb.
„Schauen, dass Frauen nicht ganz im Homeoffice verschwinden“
Also alles Paradies? Eher nicht, 60 Prozent der Befragten gaben an, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.
Und mit Sorge schaut man bei der Hans-Böckler-Stiftung auf die Rolle der Frauen, Homeoffice könne eine tradierte Arbeitsteilung verstärken: Wechseln Paare gleichzeitig ins Homeoffice, kümmern sich Mütter wohl verstärkt um die Kinder, Väter machen Überstunden.
Mit anderen Worten: Frauen machen Hausarbeit, Männer arbeiten an der Karriere. „Man muss schon schauen, dass Frauen nicht ganz im Homeoffice verschwinden“, betonte Kohlrausch und sprach auch von der Sorge, dass sie von Karrierenetzwerken ausgeschlossen würden.
Mit Partnerin und beiden Kinder daheim
Recht anschaulich schilderte die praktischen Herausforderungen des derzeitigen Arbeitens aus dem Homeoffice der BJV-Vorsitzende Michael Busch. Während seine beiden Kinder in ihren Zimmern Homeschooling machen, arbeiten seine Frau und er parallel im Wohnzimmer.
Schwierig wird es, wenn Busch Gespräche als Betriebsrat führt mit Blick auf die Verschwiegenheitspflicht: „Dann sitzt meine Frau zu nah.“ In solchen Fällen muss sein Sohn das Kinderzimmer verlassen und dem Papa zur Verfügung stellen, übrigens auch für diese Podiumsdiskussion. Entsprechend blickte das Zoom-Publikum auf einen Lego-Schaufelradbagger.
Allerdings machte Busch deutlich: Hierbei handle es sich um Einschränkungen im Rahmen der Pandemie, der Normalfall im Homeoffice sähe anders aus. Im Moment geschehe viel „Learning by Doing“. „Es wird sich zeigen, was machbar ist“, sagte Busch. Als Verbandsvorsitzender motivierte er die Kolleg*innen, sich bei Fragen, etwa zu Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten, an den BJV zu wenden, sowie Netzwerkmöglichkeiten zu nutzen.
Grüne forderten schon vor Pandemie Recht auf Homeoffice
Auf den politischen Part schaute die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. Am 19. Januar hatten die Länderchefs und die Kanzlerin entschieden, dass Beschäftigte ein Recht erhalten sollen, von zu Hause zu arbeiten, allerdings einhergehend mit der Einschränkung „soweit das möglich ist“. Und: die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung gilt zunächst nur befristet für die Zeit des Lockdowns.
Schulze verwies darauf, dass sich die Grünen schon vor der Pandemie für ein „Recht auf Homeoffice“ eingesetzt hatten, im September 2019 hatte die Fraktion einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht. Im Januar 2021 folgte ein erneuter Antrag, „Homeoffice-Gebot und Arbeitsschutz in der Pandemie konsequent“ durchzusetzen.
Bei Verstößen Forderung nach Bußgeldern
Bei einem Teil der Arbeitgeber ist allerdings eine Verweigerungshaltung trotz der neuen Verordnung zu beobachten. Bei Verstößen gegen den Bund-Länder-Beschluss vom 19. Januar forderte Schulze deshalb deutlich die Verhängung von Bußgeldern.
Beschäftige können sich bei fehlenden Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz oder auch Verstößen gegen das Recht auf Homeoffice an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden.
Und die Politikerin betonte auch: Es brauche einen gesellschaftspolitischen Wandel; Arbeitgeber müssten stärker darauf vertrauen, dass Arbeitnehmer ihre Arbeit schon gut machen, egal ob im Betrieb oder daheim.
Kritik: Unternehmen wälzen Kosten an Privatpersonen ab
Es zeigte sich, dass die Situation in manchem Betrieb in der Tat durchwachsen ist. So schrieb eine Kollegin im Chat, dass ihr Chef Homeoffice nur sehr widerwillig gestatte. Zudem wollte er sich wohl Rechtssicherheit verschaffen, indem die Arbeitnehmer*innen in Formularen bestätigen sollten, dass sie daheim über einen ergonomischen Sessel, einen anatomisch perfekten Schreibtisch, ideales Licht etc. verfügten.
„Eines der zentralen Probleme am Homeoffice ist meines Erachtens die Tatsache, dass Unternehmen die Kosten für Büroräume an Privatpersonen abwälzen und diese das oft nicht stemmen können“, schrieb eine weitere Teilnehmerin.
Michaela Schneider
Weitere Themenabende zum Thema Homeoffice
- Donnerstag, 4. März
In den Lockdown – aus dem Sinn? Organisation, Kooperation und Technik
Referent: Impulsvortrag von Tobias Weidemann, Redakteur t3n und Berater, Augsburg
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Fit und gelassen im Homeoffice
Referentin: Dr. Christiane Stempel, Psychologin und Dozentin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der FernUniversität Hagen
Bericht von Michaela Schneider: „Das Gefühl fehlt, ob man in der Norm ist“
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Das FREIE am „Freien“ – Wirtschaftlichkeit und strukturelles Arbeiten
Referentin: Anne Webert, Kamerafrau, Fotografin und Vorsitzende des DJV-Fachausschusses Freie
Bericht von Michaela Schneider: Ein Gute-Laune-Vorrat im Arbeitsalltag
- Montag, 15. März
Mobiles Arbeiten, Technik und Betriebsvereinbarung. Wie sieht der Alltag aus?
Referenten:
Dirk Ceelen, Redakteur Main-Echo, Aschaffenburg
Stefan Gregor, Fotograf, Main-Echo, Aschaffenburg
Alois Knoller, Redakteur und Betriebsrat, Augsburger Allgemeine
Josef Schäfer, Redakteur und Betriebsrat, Main-Post, Würzburg, Vorsitzender der Fachgruppe Betriebs- und Personalräte
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- Mittwoch, 17. März
Alles was Recht ist
Referenten:
BJV-Justiziare klären rechtliche Fragen zu Homeoffice und mobilem Arbeiten.
Mit Dennis Amour, Rechtsanwalt und BJV-Geschäftsführer und BJV-Justiziar Stefan Marx
Bericht von Michaela Schneider: „Homeoffice bleibt Homeoffice, auch wenn ich es anders nenne“
Zu dieser DJV-Veranstaltung können sich alle BJV-/DJV-Mitglieder anmelden über die DJV-Website:
- Mittwoch, 24. März, ab 17 Uhr
DJV-Thementage: Tarifpolitik – Homeoffice, Notlösung in der Pandemie oder Arbeitsform der Zukunft?
Referenten:
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Christian Weihe, Justitiar des DJV Nordrhein-Westfalen
Das Titelthema unseres BJVreport 1/2021 beschäftigt sich auch mit verschiedenen Aspekten des Homeoffice.