„Auch Infotainment kann man unterhaltend machen“
Siegfried Schneider
Für BLM-Präsident Siegfried Schneider geht eine Ära zu Ende
Lokalradios erreichten in der Pandemie noch mehr Menschen – Impulse vom Lokalrundfunktag in Nürnberg.
Audio sei so bliebt wie nie zuvor, verwies BLM-Präsident Siegfried Schneider zur Eröffnung des diesjährigen Lokalrundfunktags auf die Ergebnisse der Funkanalyse Bayern 2021. Knapp drei Millionen Menschen hören demnach von Montag bis Freitag täglich im Schnitt mindestens einen lokalen Sender. Gleichzeitig allerdings nimmt der Wettbewerb im Audiomarkt zu, vor allem das junge Publikum nutzt inzwischen intensiver Angebote wie Musikstreaming-Dienste und Podcasts, als Radio zu hören.
Für Schneider geht mit dem diesjährigen, diesmal hybriden Lokalrundfunktag in Nürnberg wie auch an Bayerns Bildschirmen, eine Ära zu Ende – ebenso wie für Kantar-Marketingforscher Dr. Oliver Ecke, der seit 1992 die Funkanalyse im Auftrag der bayerischen Anbieter erhoben hatte. Beide verabschieden sich in den Privatiers-Stand.
Wissen, was vor der Haustüre geschieht
„Manchmal haben wir so viel Information, dass ich das Gefühl habe, wir wissen nachher weniger als vorher“, sagte Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König. Es gehe darum zu wissen, „was vor meiner Haustür“, geschehe, hob er den besonderen Stellenwert der Lokalradios hervor.
Vier Millionen Euro Hilfszahlungen
Bewusst scheint sich dessen auch die Politik zu sein. Bayerns Medienminister Florian Hermann verwies entsprechend vor allem auch auf die vier Millionen Euro an Hilfszahlungen die – neben den Geldern der Corona-Bundeshilfen – seit Pandemiebeginn für den lokalen Rundfunk in Bayern vom Freistaat bereitgestellt wurden.
Thesen für den Neustart nach der Pandemie
Wie aber tickt denn nun Deutschland im Lokalen? Thesen für den Neustart nach der Pandemie präsentierte der Diplom-Psychologe und Bestseller-Autor Stephan Grünewald. Im Werken wie „Wie tickt Deutschland?“ und „Warum Deutschland träumen muss“, analysiert er die deutsche Gesellschaft. „Die Menschen sehnen sich nach dem Lokalen“, sagte er.
Aus der Ohnmacht herausführen
Gleichzeitig allerdings habe sich mit Corona ihre Lebenswirklichkeit verändert. Grünewald sprach von einer „großen Ohnmachtserfahrung“ vor einem „unsichtbaren Feind“. Verhalten wie Toilettenpapier-Hamstern deutete er als Versuche, der Ohnmacht zu entkommen. Oder mit anderen Worten und reichlich zweideutig: Sie versuchten, geschäftstüchtig zu bleiben. Die Frage, wie man die Menschen aus der Ohnmacht wieder herausführe, bezeichnete Grünewald als ein zentrales Thema für die Lokalradios – und nannte sechs Thesen.
Das Regionale sei ein Momentum, das Vertrauen stiften und Stabilität geben könne. Lokale Medien könnten ein Heimatgefühl entwickeln. Beim Weg raus aus der Ohnmacht könnten lokale Medien Schützenhilfe leisten, indem sie zeigen, welche lokalen Foren, Projekte, Beteiligungsmöglichkeiten und Co. es gebe.
Menschen mit einem Kompass ausstatten
Im besten Fall schaffe das Lokale eine Perspektiverweiterung und richte die Menschen mit einem „Regionalkompass“ aus. Lokale Medien könnten der Polarisierung durch Corona entgegenwirken, indem sie dafür sorgten, dass wieder eine Gesprächskultur entstehe. Gerade in Krisensituationen sei es zudem wichtig, den Stolz auf die Region wieder zu wecken. Und: Regionale Medien seien Mutmacher und könnten Möglichkeiten aufzeigen, „da draußen etwas zu gestalten“.
„Wir haben unseren Stellenwert gemerkt“
Von der Theorie in die Praxis: Unter dem Stichwort „Von Entertainment zu Infotainment“ diskutierten im Anschluss Sinah Donhauser, Morgenshow-Moderatorin bei Radio Hochstift und Markus Pürzer, Morgenshow-Moderator bei 95.5 Charivari, mit Moderator und Medienberater Bert Helbig, wie sich das Programm im lokalen Rundfunk durch die Pandemie verändert habe. Ein Informationsbedarf habe zwar immer schon im Sendegebiet bestanden, sagte Donhauser, fügte aber an: „Wir haben unseren Stellenwert gemerkt.“
„Plötzlich wurde alles sehr, sehr wichtig“
Die lokale Einordnung, die Frage, was Ereignisse für den eigenen Kreis und die eigene Gemeinde bedeuteten, sei als Aufgabe der Radiomacher*innen noch sichtbarer geworden. Pürzer konkretisierte die unmittelbare Betroffenheit der Menschen: „Das was der Radiomoderator sagt, verändert meine Osterferien.“ Plötzlich sei alles sehr, sehr wichtig geworden, „was wir sagen“.
Wichtig war auch gute Laune
Gleichzeitig allerdings wollten viele Menschen nichts mehr von Corona und einer Pandemie hören. Entsprechend wurde es umso wichtiger, auch zu unterhalten und „gute Laue zu machen“. Infotainment sei ja nicht nur an Corona geknüpft, ergänzte Donhauser und sieht keinen Widerspruch zwischen Unterhaltung und Information: „Auch Infotainment kann man unterhaltend machen.“
Verzicht auf den erhobenen Zeigefinger
Aus Pürzers Sicht sei dabei vor allem wichtig, sich sehr genau zu überlegen, wie man mit den Menschen rede, etwa wenn es um Partys während der Pandemie an der Isar gehe: Dann sollte man nicht mit erhobenem Zeigefinger moderieren, sondern den richtigen Ton treffen und gemeinsam nach Lösungen suchen. „Lasst uns geile Scheiße machen“, gilt für den Morningshow-Moderator ganz genauso in Krisenzeiten.
Mit Netzangeboten Reichweiten erhöhen
Das klassische Radio auf der einen Seite, Plattformen für lokale Inhalte auf der anderen: In kurzen Impulsen wurden drei Best-Practice-Beispiele vorgestellt. Christian Ortner ist seit 2019 Leiter Digital Radio und TV-Regional bei CH Media, einem Jointventure der NZZ Mediengruppe und AZ Medien, und stellte das Today-Modell der Schweizer Mediengruppe vor, das auf die Reichweite lokaler Radio- und TV-Stationen aufbaut.
Die verschiedenen Today-Plattformen verzeichnen ein wesentlich höheres Reichweite-Wachstum als die Radiosender, gleichzeitig stehen sie dazu laut Ortner aber auch nicht in Konkurrenz, im Gegenteil. Mit der ältesten Today-Plattform FM1, die bereits 2015 startete, erzielt das Unternehmen inzwischen Gewinn – und mit Pilatus will man die Gewinnzone heuer noch erreichen.
„PodYou“ macht regionale Podcasts sichtbar
Patrik Rist, Moderator im Funkhaus Nürnberg, leitet dort inzwischen das Projekt „PodYou“. Es zielt darauf ab, lokalen Podcasts zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Zu finden sind in der App eigene Podcasts aus dem Funkhaus Nürnberg wie auch andere Podcast-Angebote mit regionalem Bezug. Gestartet hatte man zunächst mit Angeboten aus der Region Franken.
Ausgeweitet werden soll das Projekt nun auf ganz Deutschland. Das neue App-Update ermöglicht es laut Rist, jeweils die Stadt auszuwählen, in der man lebt oder für die man sich interessiert, dann werden die regionalen Podcast-Angebote angezeigt.
Suchmaschinen „nötigen“, Lokalradio-Angebote als relevant einzustufen
Michael Kuckuck verantwortet als Chief Digital Officer seit 2021 den Ausbau und die Umsetzung der Digitalstrategie der rt1.media group in Augsburg. Mit ImSüden werden dort die beiden Lokalrundfunkstationen hitradio rt1 und das neue a.tv gebündelt.
„Digital finden Inhalt lokaler Rundfunksender nur mäßig statt“, sagte Kuckuck, und zwar aus dem ganz praktischen Grund, dass Google die Inhalte der Websites als „Showroom“ einordnet und sie im Ranking entsprechend schlecht abschneiden. „Mit ImSüden nötigen wir die Suchmaschinen, uns als relevant einzustufen“, erklärte er die Idee dahinter. Dadurch werden Audio und Video besser auffindbar.
Weiteres zum Lokalrundfunktag 2021 auch im kommenden BJVreport. Dieser erscheint Mitte August.
Michaela Schneider