„Betrachtet Texte einfach mal mit der anderen Brille“
Katalin Vales während ihres Vortrags
Katalin Vales, ist Mitbegründerin von Genderleicht.de, einem Projekt des Journalistinnenbunds
Wie Gendern im Journalismus funktionieren kann, erzählte Expertin Katalin Vales Mitgliedern und gab einige praktische Tipps
„Gendersensibler Journalismus ist mehr… als die Diskussion um Satzzeichen“, sagt Katalin Vales. Die Journalistin aus Sachsen ist Mitbegründerin von Genderleicht.de, einem Projekt des Journalistinnenbunds. Zudem engagiert sie sich im DJV-Fachausschuss Chancengleichheit und Diversity.
Unter dem Motto „Gendern im Journalismus? So geht’s!“ sprach sie nun mit Kolleginnen und Kollegen aus Bayern über die vielen Facetten des Genderns – und gab ihnen zahlreiche praktische Tipps an die Hand. Eingeladen zum Zoom-Vortrag hatte die BJV-Fachgruppe Online, Vorstandsmitglied Angelika Knop moderierte.
Keine emotionalen Debatten
Auch sie selbst habe Gendern früher nicht so wichtig gefunden, sagte Vales, bis sie sich intensiver mit den Gründen beschäftigt habe, die dafür sprächen. Die Journalistin will keine emotionalen Debatten befeuern, sondern ermutigen, sachlich den Sinn eines gendersensiblen Journalismus zu durchdenken.
Wer nach drei Schauspielern gefragt wird, nennt häufiger Männer. Wird indes nach drei Schauspielerinnen und Schauspielern gefragt, fallen auch mehr Frauennamen. Damit verdeutlichte Vales: Auch wenn die Frau mitgemeint ist, wird sie nicht immer mitgedacht.
Mit anderen Worten: Beim generischen Maskulinum bleiben Frauen unsichtbar, Vielfalt ist nicht erkennbar. Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch bezeichnete das Deutsche schon vor vier Jahrzehnten als Männersprache.
Gleichzeitig betonte die Referentin aber auch: Es geht längst nicht nur darum, Gendersternchen zu setzen, will man Frauen im Journalismus sichtbarer machen. Als Dimensionen des Genderns nannte sie die Recherche, den Blick auf Themen, die Auswahl von Protagonisten und Protagonistinnen, die Textarbeit und die Bildsprache.
Männer fast viermal so oft genannt
Der Spiegel etwa hatte seine eigenen Ausgaben von März 2020 bis Februar 2021 kritisch ausgewertet, heraus kam: Männer wurden 107.000 mal erwähnt, Frauen nur 28.000 mal. Chefredakteur Steffen Klusmann schlussfolgerte: „Es gibt ja längst genügend Politikerinnen, Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen, Historikerinnen. Zu unserem Job gehört es, sie zu entdecken.“
Auch der Pressekodex verpflichtet
Katalin Vales verwies des Weiteren aufs Grundgesetz, das Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung der Geschlechter und Freiheit von Diskriminierung fordert, wie auch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 zum Personenstandsgesetz, das zur Etablierung des Begriffs „divers“ neben „männlich“ und „weiblich“ führte. Und auch der Pressekodex verpflichtet nicht nur zu Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit, sondern auch dazu, Diskriminierung zu vermeiden.
Deutschsprachige Agenturen wollen diskriminierungssensibler berichten
Erst vor wenigen Tagen fiel bei dpa und weiteren deutschsprachigen Nachrichtenagenturen der Entschluss, künftig „diskriminierungssensibler“ zu berichten. Das generische Maskulinum soll schrittweise zurückgedrängt werden – möglichst mittels sprachlicher Lösungen ohne Sonderzeichen.
Vales zitierte dazu auch Johannes Bruckenberger, Chefredakteur der Austria Presse Agentur (APA): „In einer oftmals emotional geführten Debatte bemühen wir uns um einen ausgewogenen Weg zwischen Anforderungen an Lesbarkeit und Textlänge sowie an gendergerechte Standards und werden unsere Handhabung laufend evaluieren.“
Ein Überblick, wie es verschiedene Redaktionen mit dem Gendern halten, ist auch direkt auf dem Portal Genderleicht.de zu finden. Es gebe Redaktionen, die das Gendern ablehnen, andere erlaubten es den Autor*innen – und wieder andere „fordern es mit Pauken und Trompeten“, berichtete Vales.
Fürs junge Publikum selbstverständlicher
Möglichkeiten, Vielfalt auszudrücken gibt es zahlreiche, das Gendersternchen wird inzwischen wohl am häufigsten verwendet. „Journalist/-in“ allerdings ist laut der Referentin bislang die einzige tatsächlich rechtschreibkonforme Schreibweise.
Häufiger sehe man zudem Beidnennungen. Eine Erfahrung, die auch Teilnehmer*innen der Veranstaltung teilten: Fürs junge Publikum sei eine geschlechtersensible Sprache weitaus selbstverständlicher als für ältere Generationen. Entsprechend wagt sich beim Bayerischen Rundfunk etwa bislang nur Puls an den Glottisschlag – und die „Tagesschau“ gendert durchgängig nur bei Instagram und TikTok.
„Großes Bedürfnis, den Status quo zu ändern“
Die Referentin machte aber auch deutlich: Selbst wenn sich dies in den Medien vielleicht noch nicht spiegelt, wird hinter den Kulissen in etlichen Verlagshäusern diskutiert, geschult oder an Leitlinien gearbeitet. Vales beobachtet vielerorts „ein großes Bedürfnis, den Status quo zu verändern“.
„Gendern beginnt bei der Recherche“
„Gendern beginnt bei der Recherche“, betonte die Journalistin mehrfach. Überlegen sollte man sich entsprechend, worüber man berichte, wen man fragen wolle, ob das Thema für Männer und Frauen und andere unterschiedliche Konsequenzen habe, ob man einen Experten oder eine Expertin heranziehen wolle und ob man – vielleicht auch unbewusst – Rollenklischees bediene.
Vom Umgang mit dem Sternchen – und Alternativen
Abschließend kam Vales dann doch noch einmal zurück auf das Sternchen und mahnte an, es bewusst sowie nur dort, wo es passt, einzusetzen – und nicht als Platzsparer. Als Alternativen nannte sie Beidnennungen (Journalistinnen und Journalisten), geschlechtsneutrales Formulieren (Menschen, Personen), Partizipien (Medienschaffende) und Synonyme (Gehweg statt Bürgersteig).
Und sie hatte noch einen weiteren Tipp parat: „Spare bei den Personen. Nimm mehr Verben.“ Beispiel gefällig? „Der Raucher stirbt früher“ ließe sich etwa umformulieren in „Wer raucht, stirbt früher.“
Mit anderen Worten empfahl die Journalistin, das zu tun, was für ihren Berufsstand per se selbstverständlich sein sollte, nämlich kreativ mit Sprache umzugehen. „Betrachtet Texte einfach mal mit der anderen Brille“, riet sie.
Michaela Schneider
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