Bonustrack zur Netz-Szene im BJVreport 1/2023
Person im Rollstuhl auf einem Bahnsteig vor einem fahrenden Zug
Für Rollstuhlfahrer sind Bahnfahrten ohne Hilfe oft unmöglich – eine Recherche dokumentiert, wie es um den barrierefreie Ausbau an Bahnhöfen in der Region Augsburg steht.
Immer wieder fallen einem gut gemachte Online-Geschichten bei den Kolleg*innen der Augsburger Allgemeinen auf. Am 8. Januar veröffentlichte Digital-Redakteur Jonathan Lindenmaier seine Recherche Zu viele Stufen: So barrierefrei sind unsere Bahnhöfe (nicht). Der DJS-Absolvent dokumentierte in einer interaktiven Karte über wie viele barrierefreie Bahnsteige die Bahnhöfe in der Region Augsburg verfügen. Wir stellten dem Kollegen einige Fragen zu diesem Beitrag.
Wie ist die Idee für diese Geschichte entstanden?
In meiner Heimat, einer Kleinstadt zwischen Augsburg und Ulm, haben wir genau das Problem, das auch zu Beginn des Textes beschrieben wird: Es gibt zwei Bahnsteige, nur einer ist barrierefrei. Aber ausgerechnet der wird nur selten genutzt – obwohl er befahrbar wäre. Ich habe nie verstanden, wieso.
Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer müssen stattdessen durch eine Unterführung: Treppe runter, Treppe rauf, kein Aufzug. Und das alles nur um zum Gleis zu kommen. Jedes Mal wenn ich meine Familie besuche, denke ich mir: das kann doch nicht wahr sein. Ich war mir lang nicht sicher, wie ich das Thema angehe.
Dann hatte ich eine Geschichte beim Spiegel gesehen, die auch mit den Daten des Eisenbahn-Bundesamts arbeitet. Und gemerkt: Gerade in Bayern ist das ein großes Problem.
Als Quelle für die Datenerhebung gibst Du auch das Eisenbahn-Bundesamt an, das Datenmaterial dort sieht sehr komplex aus ... Musste die Behörde Dir dabei weiterhelfen oder hast Du Dir selbst geholfen?
Die Daten zu finden war nicht ganz leicht. Die Seite ist alles andere als übersichtlich. Die Tabelle führt außerdem alle Bahnhöfe in Deutschland auf. Da musste ich erstmal die raussuchen, die mich interessieren. Jemand, der wirklich Ahnung von Daten hat, hätte das sicherlich schneller geschafft. Beim Ministerium habe ich nicht um Hilfe gefragt. Wenn ich solche Geschichten umsetze, dann will ich mich da erstmal selbst durchwühlen. Und wenn ich nicht weiterkomme, frage ich meinen Kollegen Jakob Stadler, der hat da mehr Ahnung.
Wie viel Bahnhöfe in der Region hast Du erfasst?
Es dürften so um die 100 Bahnhöfe gewesen sein. Tendenziell mehr. Die Daten waren allerdings nicht nach Bahnhöfen sortiert, sondern nach Bahnsteigen. Der Bahnhof Augsburg war demnach sechs Mal in der Tabelle aufgeführt, weil er sechs Bahnsteige hat.
Kannst Du Kolleg*innen noch weitere Tools außer OpenStreetMap empfehlen, die Du für diese Arbeit eingesetzt hast?
Für diese Geschichte habe ich Datawrapper genutzt, das mit OpenStreetMap verknüpft ist. Im Nachhinein hätte ich mich aber lieber für Flourish (hier ein Link auf ein Kurz-Tutorial der Google News Initiative, T.M.) entschieden, ein Tool, dass mehr interaktive Möglichkeiten bietet, vor allem in der mobilen Version. Das sind die Tools, die wir in der Redaktion für Datengeschichten hauptsächlich nutzen.
Wie lange hast Du für diese Geschichte gebraucht, inklusive der Gespräche mit Betroffenen, Politik und Bahn?
Etwa zwei Tage. Die Daten haben einen Tag in Anspruch genommen, der Rest ging ziemlich flott. Mein Protagonist hatte sofort Zeit für mich. Und wollte noch nicht mal die Zitate autorisieren.
Wo traten eventuell Schwierigkeiten auf?
Mal abgesehen von meinem dilettantischen „trial and error“-Vorgehen bei der Datenaufbereitung: Die Tabelle ist von 2021. Das ist natürlich in der Grafik ausgeschrieben. Aber das heißt eben auch: Einige Bahnhöfe könnten inzwischen umgebaut worden sein. Oder ein Aufzug funktioniert heute nicht mehr.
Welche Resonanz gab es?
Die Resonanz war sehr positiv. Ich habe einige Mails bekommen von Leserinnen und Lesern, die erzählt haben, wie es um die Barrierefreiheit in ihrer Heimatstadt bestellt ist. Ein Leser wies mich beispielsweise daraufhin, dass sein Bahnhof zwar theoretisch barrierefrei ist und in den Daten auch entsprechend klassifiziert wurde. Allerdings müssen Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer einen riesigen Umweg in Kauf nehmen. Und das finde ich einen wichtigen Punkt: barrierefrei ist nicht gleich barrierefrei. Wenn Menschen mit Behinderung länger zum Zug brauchen, dann ist das immer noch eine Ungleichbehandlung.
Wir denken ja auch nachhaltig: Wirst Du die Geschichte irgendwann aktualisieren? Wie bleiben so nutzwertige Inhalte bei Euch sichtbar?
Zeitlose und aufwändige Geschichten spielen wir häufiger aus, stellen sie beispielsweise als Lesetipp auf die Seite oder schicken sie nochmal als Push-Nachricht an unsere Leserinnen und Leser. Außerdem haben wir diese Geschichte nicht nur auf unserer Hauptseite ausgespielt, sondern auch bei unseren Lokalredaktionen. Aktuell überlege ich mir, das Thema nochmals aufzugreifen. Dann eher als Reportage. Dafür könnte man die Grafiken ein zweites Mal verwenden. Das traurige ist ja: dieses Thema wird uns noch länger begleiten.
Mehr über die Augsburger Allgemeine im BJVreport
Der erwähnte Artikel wird von den Augsburger Kolleg*innen kostenpflichtig angeboten. Man benötigt zumindest ein Digitalabo. Der Kauf eines einzelnen Artikels ist leider nicht möglich. Ich nutzte das „Plus +“-Angebot auf der Website und registrierte mich probehalber für 99 Cent für einen Monat. Die Registrierung und auch die spätere Kündigung erfolgten ohne großen Aufwand – einfach nutzerfreundlich! Das ist leider bei anderen Angeboten häufig nicht der Fall. Die Möglichkeit des Kaufes eines einzelnen Artikels wäre natürlich wünschenswert.
Weitere Artikel über die Digital-Aktivitäten der Augsburger im BJVreport: Heft 2/2020: Tag für Tag Überzeugungsarbeit – Was Augsburger Allgemeine und Co. für den digitalen Journalismus leisten und Heft 5/2020: In der Krise auch mal was Innovatives wagen – Mit einer Bürgerrecherche berichtet ein DJS-Schüler bei der Augsburger Allgemeinen über die Auswirkungen der Pandemie auf den lokalen Arbeitsmarkt.
Thomas Mrazek