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Die Corona-Konfrontation

17.12.2020

Daniel Wirsching - Redakteur Augsburger Allgemeine

Daniel Wirsching: „Man muss im Gespräch bleiben“

Die Augsburger Allgemeine und der schwierige Umgang mit einigen Kritikern in der Pandemie

„Neuer Höchststand: 23.679 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden“, verkündete das Laufband auf der Website der Augsburger Allgemeinen am Donnerstag, 10. Dezember.

Am Abend berichteten auf Einladung des Bezirksverbands Schwaben – Augsburg die Redakteure Markus Bär (Medizin/Wissenschaft) und Daniel Wirsching (u.a. Medien) über ihren Umgang mit dem Thema und insbesondere über ihre Erfahrungen mit Corona-Kritikern. Rund 20 Kolleg*innen nahmen an der zweistündigen Zoom-Sitzung teil, die von der Bezirksvorsitzenden Miriam Leunissen mit einem Blick auf die Schweizer Studie „Die Qualität der Berichterstattung zur Corona-Pandemie“ eingeleitet wurde.

Ende Juli besprach der Eichstätter Journalistikprofessor Klaus Meier die Studie, die sich auch auf Deutschland übertragen ließe. Meier hatte zusammen mit dem Schweizer Wissenschaftskollegen Vinzenz Wyss explizit auf Defizite im deutschen Journalismus bei der Berichterstattung über die Pandemie hingewiesen. Die Kurzexpertise der Forscher wurde in der Branche mitunter harsch kritisiert.

Corona-Journalismus wird kritisch gesehen
Die Schweizer Studie bestätige die Kritik der beiden Forscher. Eine Erkenntnis der Erhebung lautete auch, dass nie in der jüngeren Geschichte der Demokratie jemals ein Thema so dominiert habe und andere wichtige Themen verdrängt habe. Dies spüren wir in diesen Tagen auch wieder deutlich.

Moniert wurde in der Studie, beispielsweise dass etwa zu wenig Einordnung durch den Journalismus erfolge und dass nicht transparent genug berichtet werde. Meiers lesenswerte Analyse „Halb voll ist eben auch halb leer: Studie zur Corona-Berichterstattung“, kann im Magazin Medienwoche nachgelesen werden. Insgesamt hinterließ die bisherige Berichterstattung auch bei Journalist*innen selbst mitunter einen zwiespältigen Eindruck.

Dass die Berichterstattung aus ihrer persönlichen Beobachtung nicht schlecht gewesen sei, betonte Leunissen und wies darauf hin, dass die Kolleginnen und Kollegen häufig unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten mussten.

Leunissen zeigte anschließend kurze Impressionen aus der Berichterstattung der Augsburger Kollegen: Auf Markus Bärs Artikel „Mediziner befürchten schwere Spätschäden durch Corona“ (07.08.2020) kamen von den Leser*innen Vorwürfe der „Panikmache“. Beiträge wie Daniel Wirschings „Die Erleuchteten“ (26.10.2020) über Corona-Leugner erzeugten wiederum Wut in einschlägigen Kreisen.

Kritiker in die Redaktion eingeladen
Seit März beobachteten die Redakteure die intensiven Reaktionen ihrer Leser*innen. Wann immer ein Bericht über Corona erscheint, hagelt es Leserbriefe und Online-Kommentare. Und zuweilen begründeten Abonnenten ihre Kündigungen auch mit der angeblich einseitigen Berichterstattung über Covid-19.

Mehrere Redakteure entschlossen sich im Sommer, diese Covid-Berichterstattungs-Kritiker zu einer Diskussionsrunde mit der Redaktion einzuladen. Sechs ehemalige Leser*innen sagten zu. „Wir wollten die Leute verstehen und nicht mit ihnen streiten“, erklärte Wirsching. Er beschrieb den Verlauf dieses Gesprächs ausführlich in der Zeitung „Verstehen wir uns noch? Ein Gespräch mit Corona-Kritikern“ (22.10.2020).

Das Gespräch, an dem auch der Chefredakteur und die stellvertretende Chefredakteurin teilnahmen, sei zwar in einer angenehmen und sachlichen Atmosphäre erfolgt, doch die Redakteure merkten auch, dass die Kritiker mit einer anderen Erwartungserhaltung in die Redaktion gekommen seien: „Die wollten uns überzeugen“, sagte Bär in der BJV-Zoom-Runde. Die Journalisten transkribierten die Gesprächsinhalte und schickten sie zur Freigabe an die Gäste. Nur einer der Teilnehmer akzeptierte die Publikation in dieser Form. Die anderen Teilnehmer holten erneut zur Kritik an der Zeitung aus, u.a. kam der Vorwurf sie seien „in die rechte Ecke gestellt“ worden.

Auch in der Gesprächsrunde betonten die beiden Redakteure nochmals, dass dies nicht der Fall gewesen sei und dass sie sehr intensiv an der korrekten Wiedergabe des Gesprochenen gearbeitet hätten.

Regelrechter Glaubenskrieg
Was macht das mit Euch?, frage Miriam Leunissen die Kollegen. „Man muss im Gespräch bleiben“, sagte Daniel Wirsching, „Wir müssen noch genauer mit den Zahlen umgehen und noch klarer mit Kritik“. Ein Interview mit dem „Querdenken-711“-Initiator Michael Ballweg – wie noch Anfang September in der Augsburger Allgemeinen – könne er sich indes nicht mehr vorstellen: „Der hat sich inzwischen radikalisiert“. Sein Kollege Markus Bär betonte ebenso, dass ein noch sorgfältigerer Umgang mit Zahlen erfolgen müsse. In der aufgehitzten Debatte rund um das Thema sei „ein regelrechter Glaubenskrieg“ entstanden.

Hatespeech & Paywalls
Ein Kollege monierte, dass die Facebook-Seite der Augsburger Allgemeine bei ihrer Themenauswahl „regelrecht darauf aus ist, Ressentiments zu schüren“. Wirsching räumte ein, dass dieses Problem bei anderen Zeitungen auch zu beobachten sei. Bei Nutzeräußerungen, die nach Ansicht der Redakteure das rechtlich zulässige Maß überschritten, unterstütze die bayerische Initiative „Konsequent gegen Hass“ von Medien und Justiz die Medienhäuser sehr gut (wir berichteten im BJVreport 5/2020, S. 40: „Hatespeech trotzen“).

Problematisch für das Medienunternehmen seien auch Beschwerden von Nutzern, die sich über die nicht freie Zugänglichkeit von einigen Themen zu Corona beschwerten. Hier hatte die Augsburger Allgemeine bereits zum Anfang der Krise darauf gesetzt, „Artikel, die nicht überlebenswichtig sind“ hinter die Bezahlschranke zu setzen, wie der stellvertretende Chefredakteur/Digitale Transformation, Yannick Dillinger, im Frühjahr erklärte (wir berichteten im BJVreport 2/2020, S. 4: „Tag für Tag Überzeugungsarbeit“).

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