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„Eine Art Kinderfernsehen für Erwachsene“

20.07.2020

Zwei Dinge treiben Claus von Wagner an: gute Pointen und Menschen, die sich bisher nicht für hippe Themen wie Waffenexporte, Klimakrise, Außenhandelsungleichgewichte oder die Genese des EEG-Gesetzes interessieren, den Einstieg in eine, auf den ersten Blick, trockene Materie zu erleichtern. Dafür gibt’s dann hinterher Lachen zur Belohnung.

Viel Meinung, aber auch viele Fakten: Claus von Wagner ist die eine Satirehälfte der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ und mehr als „nur Kabarettist“.

Langform des E-Mail-Interviews von Senta Krasser mit Claus von Wagner im BJVreport 4/2020.

Was Fallhöhe, Informationsvermittlung und Differenzierungsvermögen betrifft, sei „Die Anstalt“ im ZDF „moderner Fünfkampf“, lobte jüngst der Tagesspiegel. Na dann, auf in den (Interview-)Kampf mit Anstaltsleiter Claus von Wagner.

Sagen Sie mal, Herr von Wagner, sind Kabarettisten die besseren Journalisten?
Claus von Wagner: Gegenfrage: Sind Aquarellmaler die besseren Fotografen? Vor allem dann, wenn die Aquarellmaler sich entscheiden, immer fotorealistischer zu malen?!

In der „Anstalt“ gehen Sie vorbildlich journalistisch, geradezu investigativ vor. Unterscheiden Sie sich da nicht von der alten Kabarettschule eines Dieter Hildebrandt oder Georg Schramm?
Vielen Dank, freut mich sehr, dass sie unsere Vorlieben für schräge Perücken und Akzente gnädig unter den Tisch haben fallen lassen. Zunächst mal: Investigativ bedeutet für mich eine akribische Recherche in bisher eher unbearbeiteten Themengebieten – diese ehrenwerte Mühe machen wir uns ja in der Regel nicht. Wir machen oft etwas weniger Exploratives, aber doch zunehmend Exotischeres: Wir lesen Bücher. Ich frage mich allerdings, was das über eine Gesellschaft aussagt, dass man, wenn man Ideen aus klugen, aber dicken Wälzern oder Aufsätzen präsentiert, bereits als investigativ gilt. Die Themen erarbeiten wir uns vor allem nach dem Motto: Wer ist hier der Schwächere? Für den kämpfen wir dann. Und so sehen wir uns durchaus in der Tradition dieser alten Kabarettschule.

Was darf Kabarett, was im Journalismus nicht erlaubt ist?
Offiziell: für die Schwachen kämpfen. Damit meine ich übrigens nicht diesen schrecklichen Ausdruck sozial schwache Menschen – denn Menschen mit geringeren finanziellen Möglichkeiten sind nicht sozial schwach, man hat sie sozial schwach gemacht. Das ist ein Unterschied. Wir müssen auch nicht abwarten, bis sich ein Unternehmen wie Daimler äußert, bis wir einen Beitrag über ihre Werksverträge machen dürfen. Wir können einfach gleich loslegen. Wir dürfen auch einfach sagen, dass Bernd Höcke ein Faschist ist. Oh, Moment! Das darf laut dem Verwaltungsgericht in Meiningen ja jeder.

Die Jungen, sofern sie überhaupt fernsehen, informieren sich eher bei der „heute-show“ als dem „heute-journal“. Wie gut taugen Satiresendungen als Ersatz für klassische Informationsangebote?
Es gibt ja zwei Dinge, die mich antreiben: gute Pointen und Menschen, die sich bisher nicht für hippe Themen wie Waffenexporte, Klimakrise, Außenhandelsungleichgewichte oder die Genese des EEG-Gesetzes interessieren, den Einstieg in eine, auf den ersten Blick, trockene Materie zu erleichtern. Dafür gibt’s dann hinterher Lachen zur Belohnung. Man könnte sagen: Wir sind eine Art Kinderfernsehen für Erwachsene. Wer sich aber entscheidet, nur noch Kinderfernsehen rezipieren zu wollen, der sollte schon mal den Grund dafür hinterfragen.

In der „Anstalt“ fühlt man sich fundiert und differenziert informiert. Mehr Fakten, Fakten, Fakten als Meinung – umschreibt das ungefähr Ihren Ansatz?
Nein, nein! Das klingt ja eher wie die alte Focus-Werbung. Und wenn es etwas gibt, wonach wir NICHT klingen wollen, ist es der Focus. Natürlich recherchieren wir gewissenhaft, aber den reinen Fakt, der von jeder Trübung durch Wertvorstellungen frei wäre, gibt es ja in freier Wildbahn nicht. Allein die Auswahl der präsentierten Fakten ist bereits eine Art der Meinungsäußerung. Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Kunstform, die Satire, per Definition nichts anderes will, als Meinung zu sein. Will sagen: Wir meinen schon sehr viel, machen das aber transparent, indem wir versuchen, die Grundlage, also Fakten, die zu unserer Meinung geführt haben, auch in den Sketchen unterzubringen. Darunter leidet zugegeben manchmal die Komik. Manchmal wird sie dadurch aber auch erst erzeugt. Denn bei Themen, bei denen die Diskrepanz zwischen dem, was politisch getan wird, und dem, was getan werden müsste, zu groß ist, entsteht Komik von ganz alleine. Manchmal nur durch pures Erzählen von dem „was ist“. Das wirkt dann vielleicht aus Versehen wie Journalismus. Als Beispiel nehme man alles, was Andreas Scheuer tut.

Was treibt Sie an, wenn Sie in praktisch jeder Sendung komplizierte Zusammenhänge auf einem Tafelbild veranschaulichen?
Wir wollen nachvollziehbar machen: Wie sind wir in das jeweilige Schlamassel reingeraten? Um auf der Basis dieser Informationen die Debatte in einem bestimmten Themenbereich nicht nur anzustoßen, sondern wiederzubeleben. Eine Art evidenzbasierte Eigenbluttherapie. Wir wollen dabei eben nicht einzelne Überschriften zu einer aktuellen Entwicklung kommentieren, wir wollen eine Gesamtübersicht bieten zu den Entscheidungen, die zu der aktuellen Überschrift geführt haben. Deswegen: Tafel. Die Tafelbilder sollen aber nicht zeigen, dass wir hoffnungslos irgendwelchen Interessen ausgeliefert sind, sondern, dass man manche Missstände nicht hinnehmen muss, etwa in der Pflegeversicherung oder beim Klimawandel, denn sie sind menschengemacht. Das erklärt vielleicht auch, warum einige enttäuscht waren über unsere Haltung zum Virus SARS-CoV-2, denn wir konnten nichts finden, was seriös darauf hinweist, dass er menschengemacht ist.

Wie viel Recherche steckt in diesen Tafelbildern? Sprich: Wer hilft Ihnen und Herrn Uthoff im Hintergrund?

Das Wort Hintergrund klingt dubios. Nicht nur in diesem Zusammenhang. Die Nummern entstehen im Grunde zu dritt. Verantwortlich sind Max Uthoff, meine Wenigkeit und unser Co-Autor Dietrich Krauß, ein Journalist, der selber mal auf die schiefe Kleinkunstbretterbahn geraten ist. Und dass er einen Doktor in Politologie hat, werfen wir ihm nur manchmal vor. Wir lesen, recherchieren und schreiben gemeinsam. Hilfe beim Einstieg in die Themen bekommen wir entweder von Expert*innen aus den jeweiligen Fachbereichen oder von unseren Rechercheur*innen Anne Zetsche und Ingrid Knorr – und Rückendeckung bekommen wir von unserem Faktenchecker Ekkehard Siecker.

Warum gibt es zu jeder „Anstalt“-Ausgabe einen Faktencheck zum Download? So was bietet sonst nur ARD-Talker Frank Plasberg oder Rezo.

Das fragen wir uns auch grade. Die Faktenchecks sind etwas zu ausführlich geworden. Da arbeiten wir aber dran. Sie sollen im Grunde dem Zuschauer das Selber- und vor allem Weiterdenken nach der Sendung erlauben. Und transparent machen, auf welcher Grundlage wir unsere Bewertungen treffen.

Apropos Rezo: Die Zunft ist uneins, ob Rezo Journalist ist oder „nur“ Youtuber. Was meinen Sie?
Sagen Sie der Zunft: Wenn man jemanden pejorativ als „nur Kabarettist“, „nur Journalist“ oder „nur Youtuber“ bezeichnet, will man nur eines: ihm Kompetenzen absprechen. Das Stilmittel habe ich auch selbst verwendet – und ich bin nicht stolz drauf. Ich halte Rezo für jemanden, der sich engagiert mit vielen Themen auseinandersetzt und kommuniziert, auf welcher Grundlage er das tut. Welchem Genre man das zuordnen will, ist für mich nicht spielentscheidend. Ich sag‘ mal so: Speziell bei dieser Debatte ist die FAZ für mich aber auch nur `ne Zeitung.

Für die Juni-Sendung haben Sie sich ganz tief in verschwörungstheoretische Erklärungsmuster der Pandemie eingegraben und gleich mal sich selbst und Ihre Ansätze zur Diskussion gestellt. Wie kamen Sie auf den Kniff, mit einem von Max Uthoff gespielten „Corona-Kritiker“ über Bill Gates, die Pharma-Lobby und die richtige Interpretation von Infektionskurven zu diskutieren?
Na, weil wir das so erlebt haben: Wir standen ja in der Kritik, im Rahmen von Corona zu „regierungsfreundlich“ zu sein. Wir haben uns also einen Prototyp dieses Kritikers eingeladen und versucht, ihn unterhaltsam, aber nicht als Witzfigur darzustellen. Obwohl das immer wieder geschrieben wurde: Der von Max verkörperte Kritiker war von uns nicht als Verschwörungstheoretiker angelegt. Klar, er hatte Argumente und Experten von unterschiedlicher Qualität. Ich als Figur habe aber auch in unterschiedlicher Qualität auf seine Argumente reagiert, also eben auch ungerecht. Man darf da nicht den Darsteller mit dem Dargestellten verwechseln.

Wir haben den Kritiker ja sogar ausgestattet mit einem wirklich renommierten Experten, den man nun wahrlich nicht mit dem Etikett Verschwörungstheoretiker abtun kann: John Ionannidis. Nicht nur Professor für Medizin und Epidemiologie in Stanford, sondern auch einer der meist zitierten Wissenschaftler der Welt, dem Godfather of Qualitätsdebatte in der Wissenschaft. Der Kritiker zitiert ihn, um zu beweisen, dass die potenzielle Sterblichkeit von SARS-CoV-2 übertrieben werde. Meine Figur setzt dann die berechtigte Kritik an Ionannidis Studie dagegen. Es war also eine Sendung über Wissenschafts-Kommunikation in Zeiten von Unsicherheit. Speziell: über Kritik in Zeiten einer Pandemie, ausgelöst durch ein neuartiges RNA-Virus über dessen Genom, Spike-Proteine und Lipidschicht man zwar unglaublich schnell Bescheid wusste, aber dessen Raubzug durch unseren Körper und die Übertragung bis heute viele Rätsel aufgibt. Es war unser Versuch, angesichts eines potenziell tödlichen Virus den Humor nicht zu verlieren.

Wo beginnt bei Corona die Verschwörungstheorie, wo endet berechtigte Kritik?
Das Wort Verschwörungstheorie ist mit Vorsicht zu genießen, weil es eben oftmals benutzt wird, um berechtigte Kritik zu diffamieren. Vielleicht sollten wir alle mal den Begriff zu den Akten legen, er ist ja wirklich nicht mehr sehr hilfreich. Bei Corona ist epidemiologisch ja vieles nicht so klar, wie man das gerne hätte. Welche Maßnahmen sind verhältnismäßig? Und vor allem: im Verhältnis zu was? Zu Menschenleben? Zur Wirtschaft? Diese Bewertung haben wir im Angesicht einer weltweit unübersichtlichen Lage ja auch nicht explizit gemacht. Wir haben nur vorsichtig drauf hingewiesen, dass, wer jetzt noch versucht, pauschal alle Maßnahmen gegen die Verbreitung eines neuartigen Virus im Nachhinein und mit zum Teil bereits widerlegten Argumenten zu verurteilen, ist in unseren Augen kritikwürdig.

Man kann natürlich gerne reden über die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen wie der Maskenpflicht auf Schulhöfen, wir können über die Ignoranz gegenüber den Soloselbständigen reden, oder über die unterschätzte Gefahr für Frauen durch häusliche Gewalt während einer Quarantäne-Situation. Aber das macht für mich die bisherigen Maßnahmen nicht alle per se zu einer „Diktatur“, vor allem in einer Zeit, in der man vor den ordentlichen Gerichten gegen die Maßnahmen klagen und sogar gewinnen kann. Was mich in dieser Zeit geleitet hat, war die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Vorsorgegedanke. Da hat die Politik ja auch immer drauf verwiesen. Was natürlich eine interessante Frage für andere Themengebiete aufwirft: In der Klimakrise sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse viel besser abgehangen als in der Coronakrise – wieso wird da von der Politik das Vorsorgeprinzip nicht so überzeugt vorangetrieben?

„Seit Corona gucke ich euch nicht mehr“, hält Ihr „kritischer“ Gast alias Max Uthoff Ihnen in jener Sendung vor. Was läuft aus Ihrer Sicht gerade grundsätzlich schief in der Corona-Berichterstattung?
Wir haben in der öffentlichen Kommunikation noch zu wenige, die eine Sprache gefunden haben für vorläufige Erkenntnisse. Wenn etwa Wissenschaftler*innen ihre Studien als Preprints „veröffentlichen“, damit die Forschungsergebnisse schneller verbreitet und kritisiert werden können, darf man das, vor allem in einer Überschrift, nicht als Gewissheit verkünden. Jeder einzelne Artikel, auch auf Seiten der Wissenschaft, und jede einzelne Überschrift, die die Grenzen des Wissens nicht zumindest andeutet, trägt eine Mitschuld an der kommunikativen Schieflage, die wir derzeit haben.

Rückmeldungen changierten zwischen „beste Sendung ever“ und „voll auf Linie im Darm der Pharmaindustrie“. Alles richtig gemacht, oder?
Etwas kann richtig sein, obwohl es die Pharmaindustrie auch sagt. Und etwas kann falsch sein, obwohl es ein alter linker Haudegen in seinem Kampf gegen den Mainstream gesagt hat. Erwachsen werden muss man schon aushalten.

Wenn Sie sich selbstkritisch hinterfragen – welche Fehler entdecken Sie bei sich im Umgang mit heiklen Themen, sei es Corona, die Flüchtlingskrise oder die Lobby-Verflechtungen von Journalisten?
Für mich war es keine Flüchtlingskrise, es war eine Verwaltungskrise auf dem Rücken geflüchteter Menschen, in der wir für vernünftige Empathie eingetreten sind. Da nehmen wir nichts zurück. Und unsere Nummer über Lobby-Verflechtungen hatte sogar vor dem BGH Bestand. Was kein Wunder war, denn die zugrunde liegende Doktorarbeit von Uwe Krüger war grundsolide. Generell kann man aber sagen: Unser Fehler ist vielleicht, dass wir es nicht immer schaffen, NICHT den Eindruck zu hinterlassen, wir wüssten alles besser.

Um eine „Anstalt“-Sendung von 2014, in der Sie Alpha-Journalisten wie Josef Joffe, dem Herausgeber der Zeit, Mitgliedschaften in NATO-freundlichen Elitenetzwerken vorwarfen, wurde jahrelang bis zum Bundesgerichtshof gestritten. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Recherchiere einfach weiter gründlich. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Und: die Kunstfreiheit wird in diesem Lande geschützt. Das ist gut. Denn sie ist ein Recht, keine Gnade.

Wie steht es heute um das Verhältnis zu Joffe & Co.?
Wir sitzen oft zusammen im Café Einstein in Berlin und trinken einen Chateau Margaux 1787 – zusammen mit Andreas Scheuer, der mir regelmäßig Tipps für die Interpretation seiner Wenigkeit gibt. So in etwa.

Zurück zu Corona: Wie erklären Sie sich, dass so viele Menschen in den sozialen Netzwerken alternativen Experten mit starker Meinung trauen, aber nicht renommierten Wissenschaftlern?
Interessantes Phänomen. Finde einen der spannenderen Aufsätze, die ich dazu gelesen habe – und das nicht nur, weil unsere Sendung darin erwähnt wird – ist von Mandy Tröger, einer Kommunikationswissenschaftlerin. Sie sagt darin genau nicht, dass man nicht kritisch hinterfragen sollte, aber sie fragt auch, was denn bleibt, wenn Expertendiskurse grundsätzlich NUR noch als interessen- oder machtgesteuert bewertet und damit entwertet werden. Und ihre Folgerung teile ich: nichts als Misstrauen. Skepsis ja – aber man sollte dabei nicht vor sich selbst Halt machen.

Und wie erklären Sie sich, dass eben jene Menschen sich voller Misstrauen von den klassischen Medien, vulgo „Staatsmedien“ abwenden, also auch von Ihnen?
Wir waren dieses Jahr für den – nicht dotierten – Deutschen Fernsehpreis nominiert. Diese Tatsache wurde von einigen als Beweis genommen, dass wir gekauft sind. Da wäre jede Erklärung vergebliche Liebesmüh. Aber man muss auch sagen, es finden sich eben viele Beispiele, die einem Misstrauen durchaus einen Grund geben. Und das quer durch die Medienlandschaft. Ich weiß gar nicht, gibt es eigentlich inzwischen eine gute medienkritische Aufarbeitung der Medienleistung im Falle Griechenlands und der sogenannten Eurokrise? Wo unstimmige Argumentationsmuster wie das der „faulen Griechen“, die „unser Geld ausgegeben haben“, zu unkritisch übernommen wurden? Und das ist ja nur ein Beispiel. Vielleicht sollte sich die Zunft nicht nur Gedanken über Rezos Berufsbezeichnung machen, sondern Wege finden, transparenter und aktiver mit Kritik umzugehen. Wie es etwa das journalistische Projekt Krautreporter tut.

Wie kann man aus Ihrer Sicht das Problem des Misstrauens lösen?
Mit Demut. Und einer neuen Wertschätzung für Nichtwissen. Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft eher Menschen und Institutionen zu trauen, die es wagen, ihre Unsicherheit zuzugeben und die Grenzen ihres Wissens zu kommunizieren.

Für die Transparenz: Warum führen wir dieses Interview, entgegen der „Sagen Sie mal“-Gepflogenheit, schriftlich?
(lacht) Mensch, jetzt haben Sie es verraten. Hätte man doch bis hierher gar nicht gemerkt . . . Dafür sind wir jetzt ein gutes Lehrbeispiel für das Fach Medienkompetenz. Lieber Leser*innen: Ja, zu lesende Interviews sind zum Teil nur Konstrukte eines Gesprächs. Aber auch von Angesicht zu Angesicht geführte Interviews werden nach dem Abtippen dem Interviewten nochmal zum Drüberlesen zur Verfügung gestellt. Ich war also nur pragmatisch und dachte, wir sparen uns einfach jeder einen Schritt. (lacht bis er merkt, dass ja niemand im Raum ist)

Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Interviewern gemacht? Oder sind Sie ein Perfektionist, der nichts dem Zufall überlässt?

Ehrlich? Beides. Ich wurde mal vom Regionalteil einer größeren Tageszeitung interviewt. Als das Interview herauskam, hatte mir der Journalist eine Anekdote in den Mund gelegt, die ER mir erzählt hatte. Ich habe ihn gefragt, warum er das getan hat. Seine Antwort: „Ich wollte Sie lustiger machen.“ Das schlimme: Es WAR lustiger. Seitdem schlagen zwei Seelen in meiner Brust: Ich teile die Skepsis vieler Journalisten daran, dass Pressestellen von Konzernen oder Ministerien Interviews oft bis zur Unkenntlichkeit in Quarksprech verwandeln. Als Interviewter bin ich dagegen dankbar, die Möglichkeit zu haben, die Dinge so zu schreiben, wie ich sie gesagt haben möchte.

Aus Ihnen wäre beinahe ein Journalist geworden. Wieso kam es anders?

Wenn Sie mir eine Redaktion sagen, wo ich nach dem Vortragen eines Artikels über Finanzderivate Applaus von 300 Menschen und eine eigene Garderobe kriege, komme ich sofort zurück. Vielleicht muss ich das eh. Mein eigentlicher Beruf, der darin besteht, in engen, schlecht belüfteten Räumen vor dicht sitzenden, aerosol-produzierenden Menschen zu spielen, von denen nicht wenige zur sogenannten Risikogruppe gehören, gibt es zur Zeit ja eher nur noch theoretisch.

In einer Selbstbeschreibung, von Ihnen in dritter Person verfasst, heißt es, Sie hätten u.a. bei der Süddeutschen Zeitung „feuilletonistisch gesehen geradezu alfredkerrianische Kritiken verfasst – zumindest was die Länge betrifft. Er kann Kritiker also gut verstehen – meistens jedenfalls“. Gilt das noch heute?
Uneingeschränkt. Meistens jedenfalls.

Über welche Art von Kritik freuen Sie sich am meisten?
Über die, die auf den exzessiven Gebrauch von Beleidigungen, Satzzeichen wie IIIII??????? oder permanente GROSSSCHREIBUNG verzichtet. Die lese ich dann sogar. Der Rest wandert in den Papierkorb. Darf man noch Müll sagen, ohne den Innenminister zu fragen? Ach nein, ist ja immer noch Kunstfreiheit.

Vita

Claus von Wagner
wurde 1977 in München geboren, wo er heute noch lebt. Der Juristensohn norddeutscher Eltern verfasst schon zu Schulzeiten satirische Texte. Sein erstes Soloprogramm hat 1997 Premiere. Nach dem Abitur studiert er Kommunikationswissenschaft, Geschichte und Medienrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität. Seine Magisterarbeit widmet er dem „Politischen Kabarett im deutschen Fernsehen“. Er arbeitet frei für Süddeutsche Zeitung und Antenne Bayern, konzentriert sich dann aber auf die Karriere als Kabarettist und sammelt Preise. So bekommt er 2016 den allerersten Dieter-Hildebrandt-Preis der Stadt München. 2014 wird er mit Max Uthoff neuer Gastgeber der „Anstalt“ im ZDF. Mit „Die Theorie der feinen Menschen“, einer kritischen Aufarbeitung der Finanzkrise, ist er im Herbst auf Tour.

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