„Gemeinsam gegen verbale und körperliche Übergriffe“
Lutz Kinkel
Lutz Kinkel, Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF)
Die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ öffnet sich auch für freie Journalist*innen
Vor eineinhalb Jahren hatten das bayerische Justizministerium und die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) gemeinsam die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ gestartet. 110 Medienunternehmen beteiligen sich inzwischen, auch der BJV unterstützt die Initiative. Die Häuser können sich dabei etwa wegen volksverhetzender Kommentare oder anderer strafbarer Inhalte wie Bedrohungen in sozialen Medien in einem einfachen und effizienten Online-Verfahren mit einer Prüfbitte oder Strafanzeige an die Justiz wenden.
Fast 250 Prüfbitten gingen dort seit Oktober 2019 ein, die Aufklärungsrate liegt laut Justizminister Georg Eisenreich bei 90 Prozent, in 30 Fällen kam es inzwischen zu rechtskräftigen Verurteilungen. In einem nächsten Schritt soll das Online-Meldeverfahren nun auch für freie Journalist*innen geöffnet werden, spätestens bis Jahresende; darauf hatte der BJV mehrmals hingewiesen.
Wird Journalismus zur Mutprobe?
Zum europaweiten Aktionstags für die Betroffenen von Hasskriminalität hatten nun das Justizministerium und die BLM gemeinsam zur Online-Veranstaltung „Wird Journalismus zur Mutprobe? Auswirkungen von Hass – im Netz und auf der Straße“ geladen. Journalist*innen müssten ohne Schere im Kopf berichten können, betonte Siegfried Schneider. „Hass und Hetze sind Gift für unsere Gesellschaft“, sagte der BLM-Präsident.
Er werde das Gefühl nicht los, „dass wir in zwei Welten wohnen“, sagte Dr. Lutz Kinkel, Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) im Impulsvortrag zu Angriffen auf die Pressefreiheit und Gewalt gegen Journalist*innen. Eine dieser Welten befindet sich auf Papier, wenn etwa in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht: „Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“
Journalist*innen sterben, weil sie ihren Job machen
Die andere Welt ist die der Realität. Kinkel erinnerte in dem Zusammenhang an Menschen, die starben, weil sie ihren Job machten: Daphne Caruana Galizia in Malta 2017, Jan Kuciak in der Slowakei 2018, Girgos Karaivaz in Griechenland im April und Peter de Vries am 15. Juli in den Niederlanden. Das Wort gehe dabei vielfach der Tat voraus.
Mit Abstand die häufigste Art von gemeldeten Attacken innerhalb der EU waren laut dem Meldeportal „Media Freedom Rapid Response“ (MFRR) Belästigung und psychologischer Missbrauch (209), gefolgt von juristischer Bedrohung (138), körperlichen Angriffen (97), Angriff oder Bedrohung von Eigentum (74) und Zensur (58).
Urheber seien in den häufigsten Fällen private Personen, dies bezeichnete Kinkel als verstörend: Gewalt sei nicht mehr einer speziellen Gruppe zuzuordnen, sondern entspringe inzwischen auch aus der Mitte der Gesellschaft. Die Täter eine häufig die Anhängerschaft von Verschwörungserzählungen wie auch der Hass auf Medien.
69 tätliche Angriffe, die meisten bei Demonstrationen
Und wie ist die Lage in Deutschland? Mit 69 tätlichen Angriffen auf Journalist*innen wurden laut dem „Feindbild V“-Report 2020 so viele Angriffe wie nie zuvor verzeichnet, 71 Prozent fanden bei pandemiebezogenen Demonstrationen statt. 33 Fälle waren politisch nicht eindeutig zu bewerten, 31 wurden dem rechten Spektrum zugeordnet.
Drei Handlungstipps gab der ECPMF-Geschäftsführer mit auf den Weg: Verschwörungserzählungen sollte mit Medienkompetenzkunde und einer Regulierung der Plattformen begegnet werden. Der Schutz von Journalist*innen müsse ausgebaut und der unter anderem vom DJV ausgearbeitete Kodex für Medienhäuser implementiert werden. Und: Das Verhältnis von Medien und Polizei sei zu verbessern gemäß den Empfehlungen des Presserats und des Press Freedom Police Codex.
Herausforderungen in der Polizeiarbeit
Die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ sei da auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, sagte Erster Kriminalhauptkommissar Thomas Schedel. Der Leiter des Kommissariats Politisch motivierte Kriminalität (Rechts) des Polizeipräsidiums München, gab Einblicke in die Ermittlungsarbeit. Ziel der Ermittlungen bei strafbarem Hass im Netz sei es, die Aussagen einer konkreten Person zuzuordnen, so dass die Justiz den Urheber dann der konsequenten Strafverfolgen zuführen könne.
Das allerdings ist laut Schedel mit Herausforderungen verbunden, vorneweg der Masse an Fällen – einer Masse, die weiter zunimmt. Auch nannte er die Globalität der Plattformen, deren Sitze über die ganze Welt verteilt seien. Und: Viel Aufwand ist oft allein damit verbunden, abzuklären, welche Behörden in welchem Land für Ermittlungen zuständig zeichnen.
Wurde in sozialen Netzwerken ein Profil von Vornherein mit dem Ziel angelegt, die Identität der Person dahinter zu verschleiern, erschwert dies die Polizeiarbeit zudem. Und: Zwar verfolge man auch bei der Polizei den Grundsatz, dass strafbare Inhalte nicht im Netz stehen bleiben sollen. Wichtig allerdings sei es, dass Daten vorher so gesichert werden, dass sie später vor Gericht verwertbar sind. Löschen Plattformbetreiber etwa ganze Profile, gehen vielleicht auch andere wichtige Informationen verloren. Wird der Urheber dadurch gewarnt, kann auch dies die Strafverfolgung erschweren.
„Einen Shitstorm spürt man auch körperlich“
„Gegen Zensur mit der Faust – gemeinsam gegen verbale und körperliche Übergriffe“ war eine anschließende Diskussionsrunde überschrieben, es moderierte Rebecca Beiter. Was „Hass im Netz“ bedeutet, hat ZDF-Journalistin Nicole Diekmann (@nicolediekmann) inzwischen mehrfach selbst erlebt, verarbeitet hat sie diese Erfahrungen in ihrem Buch „Die Shitstorm-Republik“. Einen Shitstorm spüre man auch körperlich, er sei ein Angriff aufs Schmerzzentrum im Gehirn. Man fühle sich sehr allein.
Als bedrohlich beschrieb die Journalistin vor allem auch, dass eben nicht einschätzbar sei, „wann es zu kippen droht“, sprich wann aus digitaler vielleicht reale Gewalt wird. Über bestimmte Themen nicht schreiben, um dem Shitstorm zu entgehen, kommt für Diekmann, dennoch nicht in Frage. Die Schere sei da, aber sie schiebe sie weg. Sie habe das Glück, „dass ich ein dickes Fell habe“, verstehe aber Kolleg*innen, die Themen meiden.
„Lügenpresse“-Rufe, sobald die Kamera sichtbar ist
Willi Schreiner, Vorsitzender des Verbands Bayerischer Lokalrundfunk e.V. sieht vor allem in der aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung ein Problem, etwa wenn es um das Reizthema Impfen gehe: Sobald eine Kamera sichtbar sei, würden Kolleg*innen inzwischen als „Lügenpresse“ beschimpft. Ausdrücklich lobte er die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“. Das Verfahren, wenn man etwas melden oder anzeigen wolle, sei sehr einfach und sehr logisch. „Man kann was gegen den Hass machen“, sagte er.
Freien fehlt der Schutz der Verlage
Allerdings beobachtet Sylvie Ahrens-Urbanek, Teamleitung Kommunikation von Reporter ohne Grenzen, dass gerade freien Journalist*innen häufig der Schutz und Rückhalt der Verlage fehlt. Manche sagten, dass sie über bestimmte Dinge nicht mehr schreiben oder etwa auch den Twitter-Account abstellen, um Anfeindungen zu entgehen. Sie forderte, dass als effektivster Schutz für Journalist*innen vor allem wieder ein neues Bewusstsein geschaffen werden müsse, was Journalismus leisten könne „und warum er wichtig für uns ist“.
Initiative wird für freie Journalist*innen geöffnet
BLM-Geschäftsführer Thorsten Schmiege hob in dem Zusammenhang hervor, wie wichtig es sei, mit der Öffnung der Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ künftig alle Journalist*innen anzusprechen. Zumal Meldungen tatsächlich zu harten Strafen führen könnten. Schmiege verwies auf Geldstrafen von bis zu 100 Tagessätzen. Es kam schon zu Wohnungsdurchsuchungen. Und wenn Vorstrafen vorliegen, könne ein Post auch zur Gefängnisstrafe ohne Bewährung führen.
Spuren im Netz in hohem Maße flüchtig
„Es gibt keinen Straftatbestand ‚Hate Speech‘“, sagte Klaus-Dieter Hartleb, Oberstaatsanwalt und bayerischer Hate-Speech-Beauftragter. Sehr wohl aber gibt es den Straftatbestand etwa der Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung. Die verschiedenen Möglichkeiten gehe die Oberstaatsanwaltschaft der Reihe nach durch. Ein weiterer Schwerpunkt im Projekt sei die Beweissicherung: „Medienhäuser machen zwei, drei Screenshots, wir machen den Rest.“ Nicht zuletzt, weil Spuren von Tätern im Netz in hohem Maß flüchtig sind, IP-Adressen etwa werden häufig nur eine Woche lang gespeichert. „Wir müssen sehr, sehr schnell vorgehen“, sagte Hartleb.
Neue Pflichten für Soziale Netzwerke
Ab 1. Februar 2022 soll dann ein weiteres Instrument der Justiz in Kraft treten: Soziale Netzwerke werden ab diesem Zeitpunkt verpflichtet sein, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen und andere schwere Hassdelikte nicht mehr nur zu löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt zu melden. Das Gesetz wolle auch den landläufigen Eindruck beseitigen, „dass eine Anzeige eh nix bringt“, sagte Hartleb.
Hatespeech trotzen, Thomas Mrazek über „Konsequent gegen Hass“ im BJVreport 5/2020