„Hinter den Schlagzeilen“ und „Writing with Fire“
Zwei Männer schauen in einem Büro auf einen Bildschirm
Frederik Obermaier (links) und Bastian Obermayer sichten das Ibiza-Material mit Spezialbrillen
Sehenswerte Dokumentarfilme über investigativen Journalismus beim DOK.fest in München
„Juhu“ haben sie nicht gerufen bei der Süddeutschen Zeitung, als der Dokumentarfilmer Daniel Sager das Investigativteam mit der Kamera begleiten wollte. Bis das Vertrauen hergestellt war, musste er ein Jahr Überzeugungsarbeit leisten – und versprechen, nichts im Film zu verwenden, dass eine Quelle verraten oder gefährden könnte.
Eine zentrale Überlegung dabei: der Journalismus steht derzeit auf dem Prüfstand, es ist wichtig, zu erklären, wie er funktioniert. Deswegen – und weil er „von der Narration so spannend ist“, hat „Hinter den Schlagzeilen“ das DOK.fest in München eröffnet, erklärt die stellvertretende Festivalleiterin Adele Kohout.
Auch wenn der Film zwei Jahre auf 90 Minuten verdichtet und elektronische Musik mystische Stimmung verbreitet, erzählt er doch ruhig, fast schon distanziert, wie sorgfältig das Rechercheteam vorgeht. Wie sie Informationen zusammensetzen, wie viele Gespräche sie führen, wie sie zweifeln und dann Belege suchen und prüfen – und am Ende noch gemeinsam mit dem Juristen diskutieren und das Gesetzbuch aus dem Regal ziehen.
„Das waren die Situationen, die ich im Film haben wollte. Wo ich zeigen wollte: Das sind Redaktionen, wo es unterschiedliche Meinungen gibt, wo gerungen wird, wo diskutiert wird und wo am Ende Entscheidungen getroffen werden, die der journalistischen Sorgfaltspflicht standhalten müssen,“ sagt der Regisseur. „Und ich wollte nicht, dass die Protagonisten darüber sprechen, sondern, dass wir als Zuschauer miterleben können, wie sie es tun.“
Im Mittelpunkt stehen die Redakteure Frederik Obermaier und Bastian Obermayer und die Ibiza-Affäre. Am Ende bringt ihr Bericht die österreichische Regierung zu Fall, weil ein Video Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf der Baleareninsel dabei zeigt, wie er einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte seine Bereitschaft zur Bestechung und illegalen Parteienfinanzierung signalisiert.
Auch wenn man die Geschichte kennt, vermittelt sich die Spannung, dass die Redakteure nie wissen, ob der Whistleblower, der sich schon ein Jahr vorher gemeldet hat, am Ende wirklich das Video zur Veröffentlichung herausgibt, dass die SZ dann natürlich noch forensisch überprüfen lässt.
Der Film profitiert von diesem Glücksfall, doch für Daniel Sager war immer klar, „dass es ein entscheidender Strang wird, aber nicht der alleinige“. Die Journalisten treffen auch Edward Snowden oder recherchieren auf Malta die Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia, die mit an den Panama Papers gearbeitet hat. Hier wird Sebastian Obermayer ungewöhnlich emotional: „Wir wollen, dass die Leute sich merken, wenn sie eine Journalistin töten, dann wird ihre Geschichte eher mehr Aufmerksamkeit bekommen als weniger“.
Frauenredaktion „Writing with Fire“
Leider zeigt die Doku auch eine Männerwelt. Es dauert mehr als 40 Minuten bis bei der SZ die erste und einzige Kollegin ins Bild kommt. Wie gut, dass das DOK.fest da noch ein Kontrastprogramm anbietet: „Writing with Fire“ begleitet die reine Frauenredaktion von Khabar Lahariya in Indien bei ihren investigativen Recherchen: Ihre Berichte stürzen zwar keine Regierung, aber sie sorgen dafür, dass die Polizei endlich Anzeigen wegen mehrfacher Vergewaltigung aufnimmt oder Menschen in ihren Häusern Toiletten bekommen.
Die Journalistinnen sind alle Dalit-Frauen, sie stehen außerhalb des Kastensystems, stigmatisiert als „unberührbar“. Sie kämpfen damit, dass ihre Männer und Väter sie nicht arbeiten lassen wollen, dass sie in schlechten Wohnvierteln ohne Strom leben und deshalb den Akku des Smartphones nicht aufladen können. Doch mutig, unbestechlich und kämpferisch meistern sie im Film die digitale Transformation und ihr YouTube-Kanal hat heute über 500.000 Abonennt*innen und mehr als 160 Millionen Views. Eine ausführlichere Rezension von Angelika Knop finden Sie bei Journalistinnen.de: „Writing with Fire – Indische Journalistinnen kämpfen für Gerechtigkeit“.
Hinter den Schlagzeilen
Englischer Originaltitel: BEHIND THE HEADLINES. Produktion: Eine bauderfilm Produktion in Koproduktion mit ZDF „Das kleine Fernsehspiel“. Produzent: Marc Bauder. Länge: 90 min. Verleih: Real Fiction
Writing with Fire
Produktion: Black Ticket Films. Produzent: Sushmit Ghosh & Rintu Thomas. Länge: 93 min. Vertrieb: Autlook Filmsales
Ebenfalls zum Journalismus: Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller
Die intensiven Nachfragen, mit denen er zum Innersten seines Gegenübers vordringt, sind legendär. Im Alter von fast 100 Jahren erzählt Georg Stefan Troller davon, wie seine Herangehensweise als Filmemacher auch von eigenen Erfahrungen geprägt wurde. Faszinierendes Porträt einer Dokumentarfilmlegende.
131 Filme aus 43 Ländern
Alle Filme des DOK.festes sind noch bis 23. Mai 2021 unter für 6 Euro bzw. 7 Euro inklusive Kinosolidaritätsbeitrag zu sehen. Die Filme der Preisträger will das DOK.fest im Herbst auch im Kino zeigen. „Hinter den Schlagzeilen“ soll unabhängig davon ebenfalls in Deutschland und Österreich auf der großen Leinwand laufen.
Angelika Knop