Mitglied werden

Keine Berichte über „intellektuelle Überflieger“

24.09.2020

Professorin Ismeni Walter sagt, Wissenschaftsjournalist*innen seien begehrt

Keine Berichte über „intellektuelle Überflieger“

Wissenschaftsjournalismus sei kein Übersetzungsdienst, der dem „normalen Volk“ vermittle, was Forscher*innen in ihren Elfenbeintürmen an schwer begreiflichen, aber spannenden Dingen betreiben, sagt Ismeni Walter. Seit 2011 ist sie Lehrbeauftragte und seit 2014 Professorin für Ressortjournalismus an der Hochschule Ansbach – und sie kommt als promovierte Biologin selbst aus der Wissenschaft. Ein Gespräch über die Ausbildung von Wissenschaftsjournalist*innen.

Das Interview führte Johannes Michel. Eine Kurzversion haben wir im BJVreport 5/2020 abgedruckt.


Für Wissenschaftsjournalismus gibt es verschiedene Ausbildungswege. Auf was kommt es in der Ausbildung an?

Meiner Meinung sind in der Ausbildung mehrere Dinge von Bedeutung:

  1. Wie für alle angehenden Journalist*innen die solide Vermittlung des Handwerks, mit Allem, was dazugehört, insbesondere der journalistische Berufskodex. Für angehende Wissenschaftsjournalist*innen ist natürlich besonders wichtig zu lernen, wie man speziell wissenschaftliche Themen recherchiert, welche Quellen valide sind, das Zwei-Quellen-Prinzip, und dass man auch bei Wissenschaftler*innen auf Interessenskonflikte achten muss.

    Unabdingbar ist in meinen Augen auch, dass die Ausbildung auf multi- und crossmediales Arbeiten vorbereitet, also Ausbildung in allen Mediengattungen, und wie man sie optimal im multimedialen Kontext einsetzt, sowie auf Arbeiten auf allen Plattformen, auch in Social Media.

    Möglichst zumindest Grundlagen in den Naturwissenschaften (in meinem Fall: Biologie, Ökologie und Geowissenschaften) zu vermitteln, und damit ein Grundverständnis für das Fach schaffen, in dem man recherchiert.
  2. Angehenden Wissenschaftsjournalist*innen zu vermitteln, wie „die Wissenschaft“ ganz allgemein tickt und wie wissenschaftliches Publizieren funktioniert: Was für Studiendesigns es gibt und wie wissenschaftliche Daten/Ergebnisse generiert werden.

    Was der Peer-Review-Prozess ist und wo seine Schwächen liegen, wie in Peer-Review-Fachjournalen publiziert wird (Open Access vs. Standard Subscription) und die Problematik von nicht peer-reviewed (pseudo)wissenschaftlichen Journalen, Predatory Publishing, Fake Science etc.

    Und entsprechend, wie man wissenschaftliche Publikationen einordnen kann, und dass man nicht automatisch alles glauben muss, nur weil es in einer Fachzeitschrift publiziert wurde. Ebenfalls wichtig ist es zu vermitteln, dass auch Forschungsinstitute in zunehmendem Maße PR in eigener Sache betreiben, und man die Verlautbarungen und Aktivitäten der jeweiligen Kommunikationsabteilungen entsprechend kritisch hinterfragen muss.

  3. Klar zu machen, dass kritische Distanz wichtig ist gegenüber den Protagonist*innen und ihren Aktivitäten, über die man berichtet. Wissenschaftsjournalismus bedeutet nicht Hofberichterstattung über eine besondere Kaste intellektueller Überflieger. Ebensowenig ist er ein Übersetzungsdienst, der dem „normalen Volk“ vermittelt, was Wissenschaftler*innen in ihren Elfenbeintürmen an schwer begreiflichen, aber wichtigen und spannenden Dingen betreiben. Genau wie in der Politik und in der Wirtschaft, müssen Journalist*innen auch auf dem Gebiet der Wissenschaft immer kritisch einordnen und hinterfragen.

Ist statt eines Journalistikstudiums nicht eher ein Fachstudium sinnvoll, um im Wissenschaftsjournalismus zu arbeiten?

Ein Fachstudium ist auf jeden Fall sinnvoll. Mein persönlicher Weg führte auch aus der Wissenschaft (ich bin promovierte Biologin) in den Journalismus. Mit diesem Hintergrund hat man zum einen bereits viel nötiges Fachwissen, zum anderen kennt man den Wissenschaftsbetrieb ganz allgemein und kann mit seinen Protagonist*innen auf Augenhöhe sprechen.

Trotzdem ist eine solide journalistische Ausbildung in meinen Augen unabdingbar, wenn man als Wissenschaftsjournalist*in arbeiten möchte, da inzwischen die Anforderungen an die journalistische Aufbereitung und Präsentation wissenschaftlicher Themen ziemlich komplex sind, um spezifische Zielgruppen zu erreichen. Denkbar sind hier Volontariate oder Zusatzausbildungen/Aufbaustudien für Wissenschaftler*innen, die in den Journalismus wollen. Umgekehrt kann man sich natürlich auch als ausgebildete oder studierte Journalist*in in ein Fachgebiet hineinfuchsen. Das ist dann allerdings auch ein arbeitsintensiver Prozess, der einige Zeit in Anspruch nimmt.

In welchen Bereichen können Wissenschaftsjournalisten arbeiten – auch abseits von Print?

Ich denke, dass Print von jeher nur eines von mehreren Segmenten ist, in denen Wissenschaftsjournalist*innen tätig sein können. Der Vorteil dieses Mediums ist natürlich, dass man hier Themen sehr differenziert und in die Tiefe behandeln kann – in der Regel aber eben auch nur eine print-affine und grundsätzlich an Wissenschaftsthemen (stark) interessierte Zielgruppe erreicht.

Von jeher haben Wissen(schafts)themen auch im Hörfunk und im TV ihren Platz, sowohl im Magazinbereich als auch in langen Formaten. Mittlerweile ist das Internet ein immer wichtigerer Kanal zur Veröffentlichung journalistischer Inhalte geworden, und sie spielt sich auf vielen unterschiedlichen Plattformen ab, soziale Medien wie Youtube, Facebook oder Instagram eingeschlossen. Das eröffnet auch für Wissenschaftsjournalist*innen neue Betätigungsfelder, beispielsweise als (multimedial aufgestellte) Onlineredakteur*innen der klassischen Wissenschaftsredaktionen von Printmedien oder der öffentlich-rechtlichen Senderfamilie.

Auch in eigenständigen Kanälen unter den öffentlich-rechtlichen Dächern von FUNK (ARD unter der Federführung des SWR) oder puls (BR) sind Wissenschaftsjournalist*innen wie Mai Thi Nguyen-Kim oder das Team von Kurzgesagt (In a Nutshell) tätig.

Daneben wenden sich Wissenschaftsjournalist*innen zunehmend mit eigenen Angeboten zu ihren Spezialthemen an sehr spitze Zielgruppen. Die „Flugbegleiter“ bei den Riffreportern, mit ihren Artikeln für Vogelbegeisterte, sind ein solches Beispiel.

Jenseits des klassischen Journalismus sind fundiert ausgebildete Wissenschaftsjournalist*innen aber auch in der Wissenschaftskommunikation begehrt, da Forschungseinrichtungen und Universitäten stärker denn je auf „Public Outreach“ setzen. Ebenso ist ihre Kompetenz in der klassischen Unternehmenskommunikation gefragt, v.a. in Branchen mit Wissenschaftsbezug, wie Medizin-/Pharma, Energieversorgung, Entsorgung, aber auch generell Infrastruktur, Verkehr, Entsorgung etc. Hier sind sie insbesondere auch in der internen Unternehmenskommunikation oder Kommunikation zwischen Unternehmenspartnern (B2B) gefragte Mitarbeiter*innen oder Auftragnehmende.

Hat sich der Wissenschaftsjournalismus verändert – insbesondere mit Blick auf die Corona-Pandemie?

Wie in anderen Ressorts auch, nehme ich einen zunehmenden Trend zur „Storyfizierung“ wahr. Das ist grundsätzlich in meinen Augen nichts Schlechtes. Gut recherchierte und fundierte Information darf und soll gerne auch emotional packen und unterhalten.

In den vergangenen Jahren war daneben jedoch mein Eindruck, dass es – abgesehen von wenigen, explizit in die Tiefe gehenden Wissenschaftsformaten –  auch im Wissensressort verstärkt einen Trend und Druck gibt, hin zu Verknappung, Beschleunigung und „Snackable Content“, im Stil von: „Fünf Dinge die Du wissen musst über…“ oder: „So sieht die Welt nach dem großen Insektensterben aus“.

Das ist per se nicht unbedingt verwerflich, so lange die Aussagen auf gründlicher und fundierter Recherche fußen und nicht falsch vereinfachen, und so lange man den Rezipient*innen Quellen an die Hand gibt, mit denen sie sich mit dem Thema eingehender auseinander setzen können, so sie das möchten. Dennoch ist die Gefahr, dass bei solcher Verkürzung etwas „schiefgeht“ und am Ende aus Grautönen eben doch holzschnittartiges Schwarz-Weiß wird, relativ hoch. Insbesondere, wenn die Recherche, wie leider recht häufig, nicht angemessen bezahlt wird, und deswegen aus ökonomischem Zwang zu kurz kommt.

Mit Beginn der Corona-Pandemie schien dann ein unaufgeregter, differenziert erklärender, aber eben auch entsprechend etwas langatmigerer Wissenschaftsjournalismus seine Sternstunde zu erleben. Als Paradebeispiel wurde und wird immer wieder der „Coronavirus-Update“-Podcast des NDR mit Christian Drosten genannt, der Abrufzahlen im zweistellige Millionenbereich erzielte und mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde.

Aber auch auf vielen anderen Kanälen, insbesondere den so genannten Qualitätsmedien und öffentlich-rechtlichen Medienangeboten, erschienen zahlreiche ausführliche Artikel, Hörstücke, Magazinbeiträge und Erklärstrecken.

Ich persönlich befürchte aber, dass die neue Hochzeit des tiefschürfenden, sich Zeit nehmenden und genau erklärenden Wissenschaftsjournalismus nicht von Dauer sein wird. Die Berichterstattung über Corona war gerade zu Beginn der Pandemie in meinen Augen ein Sonderfall. Hier trafen sehr komplexe, und dazu auch in der Forschung noch nicht völlig begriffene Zusammenhänge auf den Umstand, dass das Thema die Menschen im Innersten traf und betraf. Es ging buchstäblich um Leben und Tod, es ging um die wirtschaftliche Existenz, und das gesellschaftliche Leben, wie wir es kannten, war bedroht. Entsprechend groß waren Angst und Unsicherheit, und dadurch der Wissensdurst, der Wunsch zu begreifen und „richtig“ zu reagieren.

Das ist bei den meisten Wissensthemen in dieser Form nicht gegeben, auch wenn sie objektiv betrachtet genauso dringlich sind und Alle angehen, wie z.B. der Klimawandel. Aber wenn diese Dringlichkeit nicht unmittelbar spürbar ist, ist auch die Geduld vieler Mediennutzender häufig nicht in dem Maße vorhanden, sich zu vertiefen und so lange dabei zu bleiben, bis das Thema differenziert beleuchtet ist. Ich denke also, dass Verdichtung, Zuspitzung und Verkürzung im Wissenschaftsressort nach wie vor Gebote bleiben werden, mit denen wir umgehen müssen.

Wie sind die Verdienstmöglichkeiten von Wissenschaftsjournalisten?

Mein Eindruck ist: Genauso wie die aller anderen Journalist*innen auch. Wissenschaftsjournalist*innen werden in der Regel nicht besser bezahlt, es ist vielmehr so, dass sie bestimmte Aufträge aufgrund ihrer speziellen Expertise bekommen, sowohl in den wissenschaftlichen Stammredaktionen als auch in allen anderen Ressorts.

Denn inzwischen gibt es kaum ein Ressort, in dem nicht regelmäßig wissenschaftlicher Input, oder eine Einordung gefragt sind, egal ob es um die CO2-Bilanz des Autorennsport geht, im Aktuellen zur Zeit natürlich permanent um medizinische und epidemiologische Expertise, in der Landwirtschaftspolitik um das Schmerzempfinden männlicher Ferkel, oder in der Verkehrspolitik um die Sinnhaftigkeit von E-Scootern.

Selbiges gilt für die Kommunikation: Einschlägiges Expertenwissen auf einem wissenschaftlichen Gebiet wird in der (Wissenschafts-)Kommunikation nicht notwendigerweise besser bezahlt, es verschafft einem den jeweiligen Job. Der hier, das muss man hier leider auch sagen, dann meist deutlich lukrativer ist, als die Tätigkeit als Journalist*in.

Welche Bereiche sind für Quereinsteiger geeignet?

Ich würde sagen, für einen Quereinstieg prädestiniert sind in erster Linie Menschen mit einem (natur)wissenschaftlichen Hintergrund. Und für sie dann genau der Bereich, in dem sie ihre Fachexpertise haben. Das ist das Pfund, mit dem sie wuchern können, da gelernte Journalist*innen sich das Fachwissen, über das Quereinsteigende verfügen, erst mühsam erarbeiten müssen.

Für Mediziner*innen zum Beispiel wären dann Medizinredaktionen oder Wissenschafts- bzw. Unternehmenskommunikation in Universitäten, Kliniken oder Pharmafirmen ein gutes Feld. Oder für Biolog*innen und Ökolog*innen das Umweltressort oder Kommunikation in Sachen Nachhaltigkeit für öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen.

Wichtig ist, dass Quereinsteiger sich, gegebenenfalls über eine Zusatzausbildung, das journalistische Handwerk gründlich aneignen. Sowohl Redaktionen als auch andere Auftrags- und Arbeitgeber erwarten inzwischen, dass das beherrscht wird, unabhängig davon, was man sonst an Fachwissen mitbringt.