Mitglied werden

BJVreport

Interview mit Pressefoto-Bayern-Sieger Raymond Roemke

21.01.2025
Artikel aus dem BJVreport von
Michaela Schneider

"Gemeinsam gegen Rechts" - Gesamtsieger Pressefoto Bayern 2024

Ein Fotochronist seiner Zeit - Raymond Roemke ist Gesamtsieger des Wettbewerbs "Pressefoto Bayern 2024".

Vom 21. Januar bis 1. Februar ist die Ausstellung zum Pressefoto Bayern 2024 im Brücken-Center Ansbach zu sehen. Weitere Termine finden Sie unter bjv.de/pressefoto.

Mit „Gemeinsam gegen Rechts“ gelingt dem Fotografen Raymond Roemke das „Pressefoto Bayern 2024“. Mehr als 100.000 Menschen hatten sich am 21. Januar 2024 in München versammelt, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Die Veranstalter sprachen gar von 250.000 Teilnehmenden.

Sie hatten keinen redaktionellen Auftrag, über die Demonstration zu berichten, gingen aber trotzdem mit der Kamera raus. Warum?

Der Bildjournalist ist auch immer ein Chronist seiner Zeit. Ich hatte den Eindruck: Was hier geschieht, ist von Relevanz. Ich war zum Beispiel auch bei Demonstrationen von „Fridays für Future“ oder „Black Live Matters“ mit der Kamera auf der Straße. Solche Ereignisse sind ganz wichtige Zäsuren.

Was bewegte Sie mit Blick auf die Demonstration gegen Rechtsextremismus?

Vorausgegangen waren die Sandkastenspielchen der AfD-Oberen und auch einiger Leute aus dem rechtskonservativen Lager der CDU, die den Begriff „Remigration“ salonfähig gemacht hatten. Mit anderen Worten sagten sie: Wir könnten gut und gerne auf 25 Prozent der Menschen verzichten, die hier in Deutschland leben. Auch die Nationalsozialisten hatten solch euphemistische Sprachfindungen für ganz schreckliche Sachen entwickelt. Das gipfelte im Terminus „Endlösung“ für einen millionenfachen Mord an jüdischen Menschen. Als dann Correctiv im Januar über das Potsdamer Treffen berichtete, löste dies riesige Proteste in der  Bevölkerung aus. Die Menschen sagten: Diese Sandkastenspielchen gehen zu weit. Dadurch geschah plötzlich Großes.

Unter welchen Bedingungen entstand Ihr Foto „Gemeinsam gegen Rechts“?

Um 14 Uhr sollte die Demonstration losgehen. Als ich mit meinem Rad in der Innenstadt ankam, waren sämtliche Zufahrtstraßen und auch die U-Bahn-Zubringer voller Menschen. In der einen Hand meine Kamera, in der anderen mit meinem Presseausweis wedelnd arbeitete ich mich so durch die Massen bis zum Sieges­tor. Das Headquarter der Organisation war abgesperrt und man fragte mich nach meiner Akkreditierung. Das war fast wie beim Rolling-Stones-Konzert… Zum Glück traf ich auf einen Münchner Stadtrat, der mich kannte, und mir Zutritt verschaffte. Ich konnte auf einer Leiter hochklettern und sah die riesengroße Menschenmasse. Danach schaffte ich es bis zur Bühne am Siegestor. Dort waren Quader aufgebaut für Gebärdendolmetscher. Auf einen stieg ich hoch – hier entstand das Siegerfoto.

Warum entschieden Sie sich für eine Farbgestaltung mit reduzierten Tönen?

Wir leben in einer medial überbordenden Zeit. Als ich zuhause war, schaute ich in verschiedene Newskanäle und merkte, dass sich die vielen bunten Bilder der Demonstration in einer Beliebigkeit verloren. Auch bei meinen eigenen Fotografien merkte ich, dass es an Trennschärfe fehlte. Da waren die Menschen, die vielen Plakate, die Münchner Gebäude – mit dieser realen Farbigkeit kam die Gesamtaussage, die ich haben wollte, nicht rüber … Ich probierte Verschiedenes aus und kam so auf den filmischen, auf drei Farben reduzierten Look: ein ins Bläuliche gehendes Schwarz, ockerfarbenes Weiß und gedämpftes Rot. So entstanden drei Ebenen: Die dunkle Masse der Demonstrierenden mit dem Plakat „Faschismus ist keine Meinung“ im Vordergrund, die roten Plakate im Mittelteil wie eine Art Demarkationslinie und dann die geschichtsträchtigen Häuser der Ludwigstraße.

Was meinen Sie mit „geschichtsträchtige Häuser“?

Rechts im Bild ist die Ludwig-Maximilians-Universität zu sehen – jener Ort, an dem die Geschwister Scholl 1943 Flugblätter verteilten – eine Aktion, für die die Nationalsozialisten sie hinrichten ließen. Der Gedanke kam mir, als ich mit der Kamera auf dem Quader stand, und für einige Augenblicke innehielt. 80 Jahre später stehen hier mehr als hunderttausend Menschen und demonstrieren gegen den wieder erstarkten Faschismus, obwohl man doch nach 1945 gesagt hatte: So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren. Natürlich sind wir noch nicht so weit, aber auch die Weimarer Republik war eine Demokratie, die zerbrach. Das kann ganz schnell passieren.

Eigentlich hatten Sie eine Serie eingereicht. Welche Intention stand dahinter?

Ich bin der Jury sehr dankbar, dass sie mein Bild als Siegerfoto ausgewählt hat … Aber: Diese Fotografie war eher so eine Art „Sicherheitsschuss“, um Demonstration, Menschen, Plakate und Protest in der Totalen abzubilden. Meine eigentliche Intention der Serie war es, einzelne Menschen im Protest zu zeigen, um zu veranschaulichen: Es ist nicht immer die große Masse, der Geschichte widerfährt, sondern es sind Menschen. Es geht um das Schicksal des Einzelnen. Und daraus kann sich dann Großes entwickeln.

Was bedeutet es Ihnen, dass „Gemeinsam gegen Rechts“ das Pressefoto des Jahres 2024 ist?

Das ist grandios! Ich bin seit mehr als 30 Jahren Fotograf mit allen möglichen Hochs und Tiefs. Es fühlt sich für mich an, als werde ein Stück weit auch mein Lebenswerk gewürdigt – zumal mich die Nachricht, dass mein Bild als Siegerbild ausgewählt wurde, zufällig genau an meinem 60. Geburtstag erreicht hatte. Das war für mich wie ein sehr großes Geburtstagsgeschenk.

Das Interview wurde zuerst im BJVreport 5/2024 veröffentlich.
 


 
Zur Person

Raymond Roemke, 60 Jahre, stammt ur­sprünglich aus Jena. Über die ungarische Botschaft flüchtete er 1989 nach Westdeutschland. Er machte eine Fotografenausbildung in den Quelle-Modestudios in Nürnberg; Assistenzen bei Jürgen Dommnich (Modefotografie) und Herlinde Koebl (Portrait) folgten. An der Macromedia München studierte er Media Design. Als freiberuflicher Fotograf arbeitete er für Die Zeit, Focus, Süddeutsche Zeitung und Vogue. Als Standfotograf ist er seit 2013 international tätig unter anderem für ARD, Bayerischer Rundfunk, Disney +, Netflix, RTL und ZDF.

raymondroemke.com

Bildjournalisten
Bildjournalisten Foto

Weitere Artikel im BJV-Blog

BJVreport
BJVreport

21.01.2025

Interview mit Pressefoto-Bayern-Sieger Raymond Roemke

Ein Fotochronist seiner Zeit - Raymond Roemke ist Gesamtsieger des Wettbewerbs "Pressefoto Bayern 2024".

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

20.01.2025

Warnstreikaufruf Süddeutsche Zeitung 21.01.25

Wir bestreiken die Süddeutsche Zeitung ab Dienstag, den 21.01.2024, von 00:00 Uhr bis Mittwoch, den 22.01.2024, 24:00 Uhr an allen Standorten.

Mehr
BJVreport
BJVreport

07.01.2025

Officestory: Der Ethiker im Haus

Die medienethischen Aspekte im Journalismus treiben Sascha Borowski seit frühen Reportertagen um – auch als Redaktionsleiter der Allgäuer Zeitung.

Mehr
BJVreport
BJVreport

19.12.2024

Interview: „Es gibt keinen sicheren Ort für Journalisten“

Der Vorsitzende des ukrainischen Journalistenverbands Sergiy Tomilenko spricht über die Situation der Kolleg*innen in der Ukraine. Der BJV ruft zu Spenden für ukrainische Lokalzeitungen auf.

Mehr
Freie Journalist:innen
Freie Journalist:innen

18.12.2024

Tipps zum Altersvorsorge-Zuschuss der VG Wort

Viele wissen nichts von diesem Zuschuss bis zu 10.000 Euro – Jetzt Antrag stellen!

Mehr
BJVreport
BJVreport

17.12.2024

Veränderter Fokus - Entwicklungen im Bildjournalismus

Statt klassischer Fotojournalist*innen setzen Redaktionen heute auf „Visual Reporter“ und Multimedia. Die Ausbildung wird breiter.

Mehr
Nachruf
Nachruf

16.12.2024

Karl Stankiewitz mit 96 Jahren verstorben

Ein unnachgiebiger Menschenfreund.

Mehr
Pressefoto Bayern 2024
Pressefoto Bayern 2024

29.11.2024

„Von größter Bedeutung für unsere Demokratie“

Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner lobt die Sieger*innen bei Pressefoto Bayern 2024 – Münchner Fotograf gelingt das Pressefoto des Jahres.

Mehr
Social Media
Social Media

25.11.2024

Der Bayerische Journalisten-Verband verlässt Twitter/X

In Zukunft ist der Verband bei Bluesky zu finden.

Mehr
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

22.11.2024

So kommuniziert der Nürnberger IT-Gigant DATEV

Die BJV Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist zu Gast bei der DATEV eG.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

19.11.2024

Verhandlungsergebnis im BR erzielt: Das sind die Eckpunkte

Das Paket nimmt vor allem die jungen Beschäftigten des BR in den Fokus.

Mehr
Fachgruppe Internationales
Fachgruppe Internationales

14.11.2024

Lokaljournalismus an der Front

Auf Einladung des BJV erklärt Sergiy Tomilenko im PresseClub München, wie es um unabhängige Medien und die Pressefreiheit in der Ukraine steht.

Mehr
München-Oberbayern
München-Oberbayern

13.11.2024

Neues Vorstands-Team für Oberbayern

Der BJV-Bezirksverband München-Oberbayern verabschiedet seine Vorsitzende Marlo Thompson und wählt einen neuen Vorstand.

Mehr
Deutscher Journalisten-Verband
Deutscher Journalisten-Verband

12.11.2024

Impressionen vom DJV-Verbandstag in Ingolstadt

Rund 200 Delegierte, 45 davon vom BJV, trafen sich zum Bundesverbandstag des DJV in Ingolstadt und feierten das 75-jährige Jubiläum des DJV.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

08.11.2024

10. Verhandlungsrunde: Bereitschaft - Enttäuschung - Hoffnung?

Nur wenig Bewegung beim BR

Mehr
Fachgruppe Chancengleichheit
Fachgruppe Chancengleichheit

06.11.2024

Resilenz-Tools im Gepäck

Das „Work & Well“-Wochenende der Fachgruppe Chancengleichheit des Bayerischen Journalisten-Verbandes im Tiroler Oberndorf.

Mehr
BJVreport
BJVreport

04.11.2024

Künstliche Intelligenz in Redaktionen - Mit Algorithmen zur besseren Geschichte?

Die Automatisierung im Journalismus nimmt an Fahrt auf – doch der Mensch bleibt unverzichtbar.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

03.11.2024

Warnstreikaufruf Bayerischer Rundfunk 04.11.

Wir bestreiken den Bayerischen Rundfunk ab Montag, den 04.11.2024, von 03:30 Uhr bis Dienstag, den 05.11.2024, 03:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr
Journalistenpreis
Journalistenpreis

31.10.2024

Presseclub Regensburg ehrt zwei hervorragende Journalist*innen

Der Eberhard-Woll-Preis des PresseClubs Regensburg geht in diesem Jahr an die Viechtacher Daniela Albrecht und Alexander Augustin.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

20.10.2024

Warnstreikaufruf Bayerischer Rundfunk

Wir bestreiken den Bayerischen Rundfunk ab Montag, den 21.10.2024, von 03:30 Uhr bis Dienstag, den 22.10.2024, 03:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr