„Journalisten wissen oft nicht mehr, was richtiger Journalismus ist“
Porträtbild von Judith Raupp während einer Zoom-Sitzung
Judith Raupp lebt und arbeitet seit zehn Jahren im Ostkongo
Judith Raupp lebt seit einem Jahrzehnt in Kongo und bildet dort Kolleg*innen fürs Radio aus
Angriffe auf Journalist*innen in Deutschland häufen sich. In der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland erstmals aus der Spitzengruppe herausgefallen und von Rang elf auf Platz 13 abgestiegen. Auf die Situation in EU-Ländern wie Polen oder Ungarn schaut man hierzulande längst mit Sorge. Dass beim Blick auf die Reporter-ohne-Grenzen-Karte in Afrika große Teile des Kontinents rot leuchten, spielt in deutschen Medien indes nur sehr selten eine Rolle.
„Zwischen Angst und Versagen“
Die Fachgruppe freie Journalist*innen ermöglichte Kolleg*innen nun einen immerhin kleinen Einblick in die Arbeitssituation einer Kollegin in einem afrikanischen Land: „Medien im Kongo – Zwischen Angst und Versagen“ hatte sie den Abend vor dem Tag der Pressefreiheit (Montag, 3. Mai) überschrieben, den die stellvertretende BJV-Vorsitzende Andrea Roth moderierte.
BJV-Mitglied Judith Raupp schaltete sich aus Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo zu. Sie lebt dort seit inzwischen einem Jahrzehnt, bildet Radiojournalisten aus und berichtet aus der Region unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und die Deutsche Welle. Carl Wilhelm Macke, der mit Raupp seit Jahren in engem Kontakt steht, erzählte zudem über die Arbeit der Organisation Journalisten helfen Journalisten.
Durch Kriege und Krisen bitterarm
Sehr eindrücklich schilderte Raupp die Situation im Kongo – ein Land, das durch Kriege und Krisen bitterarm wurde. Nach dem Genozid in Ruanda im Jahr 1994 flüchteten etliche Menschen über die Grenze ins Nachbarland aus Angst vor Rache. Inklusive Völkermördern. Seither sind Gewalt, Willkür und blutige Konflikte durch Milizen an der Tagesordnung.
„Die Werte sind dadurch andere als bei uns“, sagte Raupp. Es gehe sehr roh zu, die Menschen seien auf den Moment bedacht, keiner traue dem anderen. „Dafür kann man den Leuten nur bedingt einen Vorwurf machen. Man muss wissen, woher Rohheit und Gewalt kommen“, erklärte die Journalistin.
Gewalt, Einschüchterung, Willkür
In der Rangliste der Reporter ohne Grenzen belegt die Demokratische Republik Kongo Platz 149 von 180. „In keinem anderen Land südlich der Sahara verzeichnet Reporter ohne Grenzen mehr Verletzungen der Pressefreiheit: Dazu gehören Gewalt, Einschüchterung, willkürliche Verhaftungen, Medienschließungen und Plünderungen. Angriffe auf Journalist*innen bleiben in der Regel ungestraft“, heißt es im aktuellen Länderbericht.
Raupp erzählte, wie ein Lied im Radio dazu führen kann, dass der Chefredakteur durchs Fenster fliehen muss, um einer Verhaftung zu entgehen. Sie schilderte eindrücklich, wie gefährlich Kolleg*innen leben, die über Landbesitzfragen oder Korruption berichten. Viele tauchten eine Weile im Ausland unter, für manche werde es auch dort zu gefährlich. „Große internationale Sender kommen und machen tolle Storys“, erzählte Raupp. Dabei arbeiteten sie mit Einheimischen zusammen. Und gerade sie lebten anschließend extrem gefährlich.
Journalist*innen anfällig für Korruption
Die direkten Angriffe auf Journalist*innen betrachtet Raupp mit Blick auf eine freie Presse jedoch längst nicht als das größte Problem im Land. „Kein Radio bezahlt Gehalt, die Leute haben keine Verträge“, berichtete sie. Das mache Journalist*innen entsprechend anfällig für Korruption. Raupp nahm kein Blatt vor den Mund: „Journalisten wissen oft nicht mehr, was richtiger Journalismus ist.“
NGOs zahlen Journalist*innen „Transportgeld“ zu Presseterminen: Radiostationen, die die Beiträge später senden, erhalten dafür Geld. „NGOs schütten das Füllhorn aus ohne Sinn und Verstand“, sagte Raupp. Manche bieten inzwischen eine „Journalistenausbildung“ an – und die Anführungszeichen sind sehr bewusst gesetzt. Dabei lerne man zwar, wie die Journalistin erzählte, wie ein Aufnahmegerät funktioniert. Themen und Gesprächspartner aber werden vorgegeben, was Recherche, was kritischer Journalismus bedeutet, lerne dort niemand.
Termine ausgesucht nach Lukrativität
All dies führe dazu, dass kaum einer kritisch berichte. Es bewirke, dass Termine ausgesucht werden nach Lukrativität. Und was Werbung und was Journalismus sei, werde nicht gekennzeichnet. „Kaum einer wird verfolgt wegen kritischem Journalismus, weil es ihn eigentlich nicht gibt.
Das Schlimme ist, dass sich dessen kaum einer bewusst ist“, sagte die langjährige SZ-Redakteurin. Weder die Journalist*innen, noch – vor allem auf dem Land – die Konsumenten. Anders als beim Staatsradio, hier weiß laut Raupp jeder, dass es sich um reine Regierungspropaganda handelt.
Im Ausland kaum differenzierte Berichterstattung
Wer doch Wert auf eine neutralere Berichterstattung legt, versuche ausländische Sender zu schauen. Doch gerade auch mit Blick auf deutsche Medien sprach Raupp von einer „selten differenzierten Berichterstattung“, oft würden vor allem Klischees bestätigt. Was den Kongo angehe, sei es schwierig, Themen über Bodenschätze, Berggorillas und Konflikte hinaus zu verkaufen.
Wie aber sieht Raupps Arbeit mit angehenden Radiojournalist*innen im Kongo konkret aus? In den Ostkongo ging sie seinerzeit im Auftrag von „Brot für die Welt“. Raupp sollte anfangs helfen, eine NGO-Pressestelle aufzubauen. Sie unterrichtete später eine Weile an der Universität. Für den Kommunalverband der Lokalradios bildete sie dann Journalist*innen aus. Zum Jahresende ist Raupps Vertrag bei „Brot für die Welt“ ausgelaufen, sie arbeitet inzwischen als freie Journalistin. Ausbildungskurse bietet sie als Freelancerin weiter an.
„Leute, die wirklich lernen wollen“
Viele kleine Radios hätten kein Internet, entsprechend schwierig gestalte sich Recherche. Manche einer kam nur wegen des „Sitzungsgeldes“ in Raupps Kurse. „Aber es kommen auch Leute, die wirklich lernen wollen“, sagte sie – und das mache ihr Hoffnung. So erzählte sie von einer jungen Kollegin, die sich entschied, kritisch über die Unsitte der Polizei zu berichten, der Presse Menschen bei voller Namensnennung als Verbrecher zu präsentieren. Anschließend wanderten diese ohne Verhandlung und Prozess ins Gefängnis.
Workshops speziell für Frauen
Teilweise bietet Raupp spezielle Workshops für Frauen an, deren Rolle sie als „ganz schwierig in der Gesellschaft“ beschrieb: „Manche Kolleginnen trauen sich zunächst nicht, einem Mann im Interview eine Frage zu stellen. Daran muss man dann arbeiten.“ Viele junge Journalistinnen heirateten nicht, um sich nicht vom Mann das Arbeiten verbieten zu lassen „Das sind kulturelle Eigenheiten, mit denen man kämpft und auf die man eingehen muss“, sagte die Journalistin.
„Ich bin relativ geschützt durch meine weiße Haut“
Und in wie große Gefahr begibt sich eine deutsche Journalistin, die im Ostkongo arbeitet? Es gibt laut Raupp gefährliche Situationen, auch sie habe schon eine Morddrohung bekommen bei Recherchen zu einer Ölplantage. Sie sagte aber auch: „Ich bin relativ geschützt durch mein weiße Haut.“
Dass diese nicht immer rettet, zeigte sich, als im Februar ein italienischer Diplomat und sein Leibwächter überfallen und ermordet wurden. Das sorgte weltweit für Medienresonanz. Und es sei natürlich schlimm gewesen, sagte Raupp. Dass allerdings am gleichen Tag 15 Menschen im Norden ebenfalls massakriert wurden, blieb unerwähnt. „Einheimische Kollegen sind weitaus gefährdeter als ich“, betonte die Journalistin mehrfach.
Wie Journalisten helfen Journalisten unterstützt
Und welche Rolle für die Kolleg*innen weltweit spielen Organisationen wie Journalisten helfen Journalisten (JHJ)? Der Verein hat es sich laut dem Geschäftsführer Carl Wilhelm Macke zur Aufgabe gemacht, bedrohten und in Not geratenen Kolleginnen und ihren Familien in Kriegs- und Krisenregionen weltweit zu helfen. Gegründet wurde er 1993, als der Krieg im einstigen Jugoslawien erste Opfer forderte, unter ihnen der SZ-Reporter Egon Scotland. JHJ zählt heute rund 150 Mitglieder.
Kontaktpersonen wie Judith Raupp informieren, wenn Journalist*innen in Ost- oder Zentralafrika, auf den Philippinen, in Belarus, der Türkei oder Balkanländern bedroht werden, wenn ihr Equipment zerstört wurde, wenn sie im Gefängnis landen. „Wir versuchen direkt zu helfen“, sagte Macke. Häufig mit Geld, manchmal mit Öffentlichkeit. Journalistinnen und Bloggerinnen aus dem Iran verhalf der Verein zur Flucht.
Und JHJ versucht unermüdlich, medial und über die Leute in den eigenen Reihen auf Missstände weltweit aufmerksam zu machen. „Wahrnehmung ist ein ganz wichtiger Schritt“, sagte Macke und kritisierte gleichzeitig: Das Interesse an internationaler Politik habe abgenommen, manche Medien interessierten sich nur noch, „wenn es kracht“.
Verstöße gegen die Pressefreiheit melden
Am Rande verwies Andrea Roth, die sich als Vorsitzende der Kommission Europa im Deutschen Journalisten-Verband wie auch innerhalb der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF) für die Belange der Kolleg*innen in Europa stark macht und sich mit europäischen Fragestellungen auseinandersetzt, auf das EJF/ECPMF-Projekt „Mapping Media Freedom“. Hier können Verstöße gegen Journalist*innen in den eigenen Ländern eingetragen werden, um diese wie in einem Monitoring zu dokumentieren. Roth sprach von einem „ganz wichtigen Instrument“, um das hohe Gut der Pressefreiheit zu schützen.
Michaela Schneider
Wettbewerb: Der BJV sucht die besten Beiträge zum Thema Pressefreiheit 2020/2021
Bitte beachten Sie auch den BJV-Wettbewerb zum Tag der Pressefreiheit 2021 – Einsendeschluss war am Mittwoch, 5. Mai 2021; auf dieser Seite finden Sie auch alle Preisträger*innen des seit 2015 vom BJV angebotenen Wettbewerbs. Die Sieger*innen werden Ende Mai bekanntgegeben.