FREItag 2024
KI-Sprachmodelle als „Redaktionspraktikant“
Steffen Kühne, Tech Lead im „AI und Automation Lab“ des Bayerischen Rundfunk, zeigte vielfältige KI-Anwendungen im Journalismus
Beim FREItag der BJV-Fachgruppe Freie ging es unter anderem um die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz
Mit einem völlig neuen Konzept ist der FREItag, die langjährige Traditionsveranstaltung der Fachgruppe Freie im Bayerischen Journalisten-Verband (BJV), in diesem Jahr an den Start gegangen. Es sei die beste BJV-Veranstaltung gewesen, die sie seit Jahren besucht habe, sagte eine langjährige Engagierte am Ende des intensiven Netzwerktags im House of Communication im Münchner Werksviertel. Die 50 zur Verfügung stehenden Plätze waren nach wenigen Tagen ausgebucht.
Fast alles neu im Jahr 2024
Und neu war fast alles – angefangen beim Frühjahrstermin. Die Fachgruppe Freie um den Vorsitzenden Johannes Michel hatte sich überdies gegen die bisherigen parallelen Workshops in kleinen Runden entschieden. Stattdessen standen zwei große thematische Panels für alle Teilnehmer*innen auf dem Programm zu den Themen „Künstliche Intelligenz im Journalismus – Chancen und Risiken“ sowie „Denken wie ein Unternehmer – der Schlüssel zur Freiheit“.
In einer Gesprächsrunde mit verschiedenen Fachgruppenmitgliedern ging es außerdem um „Tools, die den Arbeitsalltag leichter machen“. Netzwerken konnten die Teilnehmer*innen außerdem beim gemeinsamen Mittagessen, einer Führung durchs Münchner Werksviertel und dem Ausklang im Wirtshaus.
Doch wo liegen nun die Chancen und Risiken von KI? Steffen Kühne, Tech Lead im „AI und Automation Lab“ des Bayerischen Rundfunk geht dieser Frage seit inzwischen drei Jahren nach. Die Abteilung arbeitet gleichzeitig eng zusammen mit „BR Data“ und „BR Recherche“. Zum einen, erzählte er den freien Journalist*innen beim FREItag, gehe es darum, die neuen Möglichkeiten für investigativen Journalismus zu nutzen, zum anderen darum, automatisierte Formate und Anwendungen zu entwickeln.
Sprache modellieren, Texte transformieren
„KI ist eine Software, die im Idealfall das macht, worauf sie trainiert wurde“, so Kühne. Bei Anwendungen wie ChatGPT handle es sich um Sprachmodelle, die sich hervorragend eigneten, um Sprache zu modellieren und zur Texttransformation. „Hey, KI, mache mir aus dem langen Text einen Vorschlag für eine Radiominute!“ „Mache die Sprache weniger wissenschaftlich!“ „Schlage mir eine Überschrift zum Text vor!“ Das sind zum Beispiel Prompts, die gut funktionieren. Allerdings haben KI-Systeme laut Kühne „die Tendenz, sprachlich „boring“ zu sein“, schlicht weil sie Durchschnitt lieferten.
„Anwendungen haben kein Verständnis von der Welt“
„Die Anwendungen haben kein Verständnis von der Welt“, erklärte der Referent überdies. Mit anderen Worten: Sie taugen für Übersetzungen, die Ideen- und Artikelgenerierung, die Überschriftenformulierung, für Social-Media-Texte, die Rechercheunterstützung oder auch das Textredigieren.
Sie taugen indes nicht, wenn es um eine Faktenrecherche, auch im Sinne von Zahlen geht, denn: Sprachmodelle hätten kein Weltwissen und tendierten dazu, Fakten zu halluzinieren. Kühne zog den Vergleich: Mit der KI sei es wie mit einem Redaktionspraktikanten: Er werde mit einer Aufgabe betraut und nehme dem Redakteur dadurch durchaus Arbeit ab. Das Ergebnis aber müsse geprüft und gegebenenfalls noch optimiert werden.
Weitere KI-Anwendungen um Texte zu generieren sind neben Open AI ChatGPT etwa Google Gemini, Bing Chat, Anthropic Claude, Perplexity AI, Neuroflash, Writesonic, Jasper, LLM-Playground oder auch Open Source Modelle wie Meta oder Llama.
Bildverarbeitende KI-Modelle
Auch aufs Thema Bildgenerierung ging Referent Kühne ein. Das mächtigste Programm sei – neben zahlreichen anderen Anwendungen wie etwa dem in Photoshop integrierten Adobe Firefly – derzeit Midjourney. Bildverarbeitende KI-Modelle können laut Kühne Aufgaben erfüllen wie Bildsynthese, Stiltransfer, Bildrestaurierung, Farbkorrektur, 3D-Modell oder etwa auch eine Bild-zu-Text-Übersetzung. Und auch Avatare und Sprache lassen sich inzwischen mittels Anwendungen wie HeyGen (Avatare) oder Eleven Labs (Sprache) generieren.
So lassen sich KI-generierte Bilder erkennen
Gleichzeitig ist im Journalismus wichtig zu wissen, wie sich KI-generierte Bilder – zumindest noch zum jetzigen Zeitpunkt – erkennen lassen. Kühne rät, auf folgende Dinge zu achten: eine weiche oder gezeichnete Optik, Auffälligkeiten in Texturen oder Haut, unterschiedliche Augenfarben bei einer Person, einen unnatürlichen Haaransatz oder Strähnen, merkwürdige Proportionen vor allem der Extremitäten, auf Ansätze von Schmuck, sinnfreie Texte oder verzerrte Logos, einen inkonsistenten Hintergrund oder auch Wasserzeichen und Logos. Überdies gibt es Onlinedienste wie den Advanced AI Image Detector, der KI-generierte Bilder erkennen soll.
Die Vorteile der KI
Wo liegen nun die Vorteile der KI gegenüber der menschlichen Arbeit? Vorneweg laut Kühne in der Geschwindigkeit, spezifische Aufgaben ließen sich schnell – teils in Millisekunden – erledigen; als nächstes in der Skalierbarkeit, weil sich viele Aufgaben gleichzeitig bearbeiten lassen bei gleichbleibender Qualität und geringen Kosten; weiter in der Konsistenz, der Referent nannte Stichworte wie eine hohe Präzision, vergleichbare Ergebnisse, wiederholbare Prozesse und keine Ermüdungseffekte; und schließlich im Bereich Datenanalyse – große Datenmengen ließen sich speichern, analysieren, zusammenfassen und Muster und Trends ließen sich entdecken.
Das können die Menschen besser
Anderes indes können laut Kühne die Menschen besser:
Erstens nennt er die komplexe Kommunikation – das Zuhören, Verhandeln, Erklären, Interpretieren, soziale und emotionale Intelligenz und Empathie.
Zweitens verweist er auf flexibles Denken und damit einhergehend Kreativität, das Reagieren auf nicht erwartbare Ereignisse und das unstrukturierte Verarbeiten von Informationen.
Drittens führt der KI-Experte das Kontextualisieren an, sprich Informationen und Aussagen einzuordnen, Folgen abzuschätzen, Irrelevantes zu ignorieren, Ironie, Sarkasmus und Humor zu verstehen.
Und viertens kann KI laut Kühne kein Expertenwissen nutzen und so Probleme mit Fachwissen lösen, Strategien entwickeln und neue Informationen priorisieren.
KI-Experimente beim Bayerischen Rundfunk
Und in welchen Bereichen wird beim BR bereits ganz konkret mit KI-Anwendungen experimentiert? Kühne nannte drei Beispiele. Der Prototyp „BR: Regional Update“ von Bayern 1 zielt darauf ab, Nachrichten zu segmentieren, zu verschlagworten und personalisiert auszuspielen mit der Zielsetzung, regionale Nachrichten noch genauer auf den Standort des Nutzers zuzuschneiden. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die aufwändig von Journalisten generierte Arbeit noch besser zu den Leuten bringen, so Kühne.
Der „BR: Text Summarizer“ liefert Redaktionen des Weiteren passende, extraktive Textkürzungen. Und „BR: Dein Argument“ wiederum durchsucht Kommentare unter anderen nach Fragen und bestimmten Hinweisen an die Redaktion.
Journalist*innen, dessen ist sich Kühne sicher, wird es weiterhin brauchen, weil KI-Systeme schlecht darin seien, komplexe Sachverhalte zu kontextualisieren, weil sie keine echte Beziehung zu Menschen aufbauen können sowie kein echtes Verständnis von Emotionen hätten und weil sie nicht „vor Ort“ sein könnten. KI sei in Unternehmen längst angekommen – ihr Einsatz brauche aber klare Regeln, forderte der Experte überdies, und verwies in dem Zusammenhang auch die DJV-Position zu „KI im Journalismus“.
Tipps für die Berichterstattung über KI
Abschließend gab Kühne den Kolleg*innen noch einen Katalog an Aspekten an die Hand, die sie bei der Berichterstattung über KI beachten sollten. Er empfahl, den Anwendungsfall/Kontext klar zu beschreiben, Fähigkeiten nicht zu übertreiben sowie Limitationen nicht zu unterschätzen, klischeehafte Bilder, vor allem Roboter, zu vermeiden – und die menschliche Rolle nicht zu vergessen.
Mehr zum FREItag, unter anderem zum Vortrag „Denken wie ein Unternehmer“, im nächsten BJVreport. Er erscheint Mitte April
Michaela Schneider