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BJVreport

Künstliche Intelligenz in Redaktionen - Mit Algorithmen zur besseren Geschichte?

04.11.2024
Ein Artikel aus dem BJVreport von
Barbara Weidmann

Das Bild wurde passend zum Thema KI generiert. Bildgenerierung kann ein langwieriger und iterativer Prozess sein, insbesondere wenn man eine sehr genaue Vorstellung vom Endergebnis hat. Viele Versuche und Anpassungen sind nötig, um das gewünschte Bild genau zu treffen. Der DJV fordert übrigens in seinem Positionspapier eine Kennzeichnungspflicht für journalistische Inhalte, die ganz oder teilweise mit Hilfe von KI erstellt wurden: bjv.de/positionspapier-ki

Die Automatisierung im Journalismus nimmt an Fahrt auf – doch der Mensch bleibt unverzichtbar.

„In den Redaktionen Bayerns weht ein frischer Wind – leise, aber mit gewaltigem Effekt. Künstliche Intelligenz (KI) hat ihren Weg in die Arbeit von Journalist*innen und Medienhäusern gefunden und verändert die Art und Weise, wie Nachrichten entstehen, verbreitet und konsumiert werden. Aber keine Sorge: Die Maschinen übernehmen nicht – sie assistieren.“ So fröhlich säuselt ChatGPT, wenn man die Anwendung auffordert, einen Artikel über den Einsatz von KI in bayerischen Medien zu schreiben. – Aber der Chatbot hat recht: In vielen Redaktionen steckt inzwischen ordentlich KI unter der Haube. KI in den Kinderschuhen freilich. Es wird experimentiert, was das Zeug hält. Und die Ergebnisse sind vielversprechend: KI transkribiert Interviews, hilft bei der Recherche und übersetzt. Sie formuliert Überschriften oder Bildbeschreibungen, erstellt aber auch schon vollautomatisch Radionachrichten und Podcasts.

Die meisten Redaktionen gehen bei der Einführung der Technologie durchdacht vor, statt in blinden Aktionismus zu verfallen. So auch die Vogel Communications Group. Die Anwendungsfälle für den Einsatz Generativer Künstlicher Intelligenz kommen direkt aus den Abteilungen. Das soll sicherstellen, dass konkrete Bedürfnisse und Herausforderungen adressiert werden. Eine interdisziplinäre übergreifende Arbeitsgruppe sowie eine redaktionelle Arbeitsgruppe gleichen Ergebnisse regelmäßig miteinander ab. Dabei ergäben sich stets ähnliche Fragestellungen: Was machen die anderen? Welche Anwendungsfälle sind für uns am sinnvollsten? Wo liegt das größte Potenzial? Und welche Werkzeuge sind nötig, um dies optimal umzusetzen?

Bilder beschreiben in 400 Zeichen

Die Unternehmensgruppe hat eine interne Plattform geschaffen, die verschiedene KI-Tools miteinander verknüpft. Mitarbeitende aus den Redaktionen testen selbst entwickelte Anwendungsfälle im direkten Vergleich mit und ohne KI. „Wir haben zum Beispiel gerade einen KI-Agenten gebaut, einen GPT, der Bildbeschreibungen in 400 Zeichen im Hinblick auf das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vornimmt“, sagt Saskia Sanner, Senior Manager Editorial Products & AI. „Diesem geben wir Bilder, Skizzen oder Grafiken und die KI beschreibt dann, was auf dem jeweiligen Bild zu sehen ist. Gerade im Bereich Fachbuch haben wir oft sehr komplexe Grafiken.“ Die Ergebnisse seien schon sehr gut, berichteten Kolleg*innen. Von kleinen Nachbesserungen abgesehen, nehme ihnen das viel Arbeit ab.

Der Ansatz bei Süddeutsche Zeitung ist ähnlich. Auch hier tüftelt ein interdisziplinäres Team. „Im Moment stellen wir uns, wie alle Medienhäuser, die großen Fragen und erarbeiten innerhalb unseres strategischen Rahmens Schritt für Schritt, wie wir mit KI arbeiten können“, sagt Elisabeth Gamperl, Chefin vom Dienst in der Entwicklungsredaktion. Im vergangenen Jahr mündete das in einen viel beachteten KI-generierten Jahresrückblick. In diesem Frühjahr beantwortete ein bereits deutlich komplexerer Chatbot Fragen rund um die Europawahl. Die Redaktion hatte ihn mit Informationen zu den Wahlprogrammen der Parteien, allgemeinen EU-Fragen und eigenen Artikeln gefüttert. Der Bot sollte neutral informieren, aber keine Wahlempfehlungen geben. Das machte das Prompting knifflig. Die Nutzer*innen versuchten, ihn mit allen Tricks aufs Glatteis zu führen. „Bist du traurig, dass du keine Wahlempfehlung abgeben darfst? “ Der Bot blieb standhaft. Und er kam gut an.

„Wenn man mit so einer KI arbeitet, merkt man, dass es mit der Intelligenz nicht so weit her ist. Es benötigt am Anfang Menschen mit Expertise, die diese Technologie einstellen, und am Ende wieder welche, die testen, evaluieren, nachjustieren. Es ist viel Arbeit, das zum Laufen zu bringen“, sagt Gamperl. KI vernünftig zu implementieren und in Arbeitsabläufe zu integrieren, ist aufwendig und teuer. Die Hoffnung, auf Knopfdruck großartige Inhalte zu erhalten, hat sich (noch?) nicht erfüllt. Stattdessen muss man den Algorithmen ständig auf die Bits und Bytes schauen, sonst geht schnell etwas schief.

Der Mensch in der Schleife

Ohne den „human in the loop“, den Menschen in der Schleife, gehe es nicht, bestätigt Markus Knall, Chefredakteur bei Ippen Digital. Auch hier formulieren Large Language Models Texte um, transkribieren oder schreiben Teaser. „Bei allen relevanten Prozessen sind Menschen involviert. Entweder bei der Entwicklung von Produkten oder am Anfang. Ganz klar aber bei der Kontrolle der Inhalte“, so Knall. Mit Zitaten etwa könnten die Maschinen nur sehr schwer umgehen. Knall sieht auch noch ein anderes Problem: Wenn irgendwann alle die gleiche KI einsetzten – mit ähnlich automatisierten Ergebnissen, werde man sich irgendwann die Frage stellen müssen: „Wo bin ich als Medienhaus unique?“ Ippen entwickelt deshalb eigene Hausmodelle, „damit ein Text klingt wie Merkur oder FR“.

Die eigene Stimme zu erhalten, ist wohl nirgends so bedeutsam wie im Radio. Hier sind die Veränderungen durch KI am deutlichsten spürbar. Weite Teile der Arbeitsläufe lassen sich automatisieren. Geklonte Stimmen können - wie bei bigGPT - bereits ganze Sendungen bestreiten. Chatbots schreiben Texte und Skripte, die automatisch in Audiodateien umgewandelt und gesendet werden. Redakteur*innen bleiben zunehmend Kon­trollaufgaben und ein bisschen Feintuning. „Ich sage niemandem, Du wirst deinen Job los sein. Aber dein Job wird sich auf jeden Fall sehr verändern“, sagt Marcel Tuljus, der Sender wie Radio Arabella und Radio Charivari in Sachen Digitalisierung berät. Derzeit seien die Stationen bei Text-to-Speach, also der Umwandlung von Text in Sprache, im Tagesprogramm noch extrem zurückhaltend. Nachts jedoch und für kleine Servicethemen wie Wetter und Verkehr, würden synthetische Stimmen ab und zu schon eingesetzt. Auch beim Radio wird KI vor allem genutzt, um Inhalte vorzusortieren und schneller zu erstellen. Die Unternehmen bevorzugen angepasste Modelle, die ihren spezifischen Ton treffen. Beispiele aus anderen Ländern deuten jedoch auf eine weitgehend automatisierte Zukunft hin.

Ein gewisser Freiraum ist wichtig, um Hemmschwellen gegenüber neuen Technologien abzubauen und herauszufinden, wie KI-Tools die Arbeit erleichtern können. Der Wort & Bild Verlag aus Baierbrunn setzt explizit auf den Ideenreichtum der Mitarbeitenden. „Jeder bei uns im Haus hat einen Freibrief, jede KI auszuprobieren, die er möchte“, sagt Geschäftsführer Dr. Dennis Ballwieser.  Das Angebot werde fleißig genutzt. „Perspektivisch wollen wir allen ermöglichen, dass sie sich Zeit von lästigen Pflichtaufgaben freischaufeln. Dass sie Zeit gewinnen für das wirklich Kreative.“

Der Verlag kooperiert gerne eng mit KI-Startups, um neueste Entwicklungen zu nutzen. Zusammen mit der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim und dem deutschen KI-Unternehmen SUMM AI entstand so ein KI-Übersetzungstool, das im Redaktionsalltag standardisiert eingesetzt werden soll. Es wandelt Texte in leicht verständliche Sprache um (siehe Seite 24). Mit dem kalifornischen Unternehmen You.com wird derzeit ein „hands-on“-Schulungsprogramm für die Mitarbeitenden entwickelt. Demnächst soll die alternative Suchmaschine auch den Nutzer*innen der Apotheken Umschau zur Verfügung stehen.

An neue Dinge heranwagen

Solch ein direkter Draht ins Silicon Valley fehlt freien Journalist*innen natürlich. Trotzdem müssen auch sie sich mit KI befassen, wollen sie nicht den Anschluss verlieren. Thomas Mrazek, freier Journalist, Dozent und Bildungsbeauftragter des BJV, sieht Vorteile für die Bewältigung von Aufgaben „die ich mit meinem technischen Unverständnis  eigentlich nie machen könnte. Da kann ich mich an Dinge heranwagen, die ich sonst einfach liegen lassen würde.“ Das komfortable Erstellen und Auswerten von Excel-Tabellen zum Beispiel. Mrazek sieht sich als „konservativer Nutzer von KI“, der sich erst herantasten müsse. Gerne nutzt er die Wolf-Schneider-KI der Reporterfabrik. „Die ist auf Leute wie mich zugeschnitten. Ich kenne die Leute, die da im Hintergrund arbeiten. Da weiß ich, wer das macht.“ Datenschutzbedenken schrecken immer noch viele Journalist*innen davor ab, die Werkzeuge der großen Player zu nutzen. Und wer möchte schon gerne mit seinen Texten das nächste Modell trainieren? Auch hier hilft es, sich mit den Funktionsweisen der Tools eingehend zu beschäftigen.


Tipps von Barbara Weidmann für den Einstieg in KI

1. Starten Sie mit einem der vielen kosten­losen oder gratis testbaren KI-Werkzeuge auf dem Markt. Spielen Sie ohne Druck und experimentieren Sie! Erweitern Sie die Tool-Palette nach und nach.

2. Suchen Sie in Ihrem Bereich nach unkomplizierten, aber effektiven Anwendungsfällen, die direkt Mehrwert versprechen. Besonders geeignete Aufgaben sind zum Beispiel die Transkription von Interviews, Übersetzungen, Zusammenfassungen, Titelgenerierung oder SEO.

3. Entwickeln Sie ein grundlegendes KI-Verständnis: Lernen Sie die Grundlagen Generativer KI zu verstehen und wo und wie sie verantwortungsvoll eingesetzt werden kann. Dieses Wissen macht es einfacher, eigene Ideen zu entwickeln und praktische Anwendungsfälle zu finden.

4. Überlegen Sie sich eine KI-Strategie. Wie kann KI langfristig Ihre Arbeitsweise verbessern? Setzen Sie klare Ziele, zum Beispiel die Automatisierung von Routineaufgaben oder den Feinschliff Ihrer Texte. Gratis-Tools bieten oft einen guten Einstieg, doch kostenpflichtige Software bringt in der Regel erweiterte Funktionen und bessere Leistung. Evaluieren Sie regelmäßig, welche Werkzeuge weiterhin optimal zu Ihrer Arbeit passen.

5. Bleiben Sie am Ball: Regelmäßige Weiterbildungen und ein offener Austausch über KI helfen, das Thema im Blick zu behalten und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Und schauen Sie doch einfach mal beim KI-Stammtisch des DJV vorbei. Online, immer am 28. des Monats ab 18:30 Uhr.

Die Autorin
Barbara Weidmann ist freie Journalistin und zertifizierte KI-Trainerin (TÜV Rheinland). Sie unterrichtet auch Digitales Storytelling, Multimedia-Produktion und Mobile Reporting, unter anderem beim BJV.


Dieser Artikel erschien zuerst im BJVreport 4/2024.

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