Fachgruppe Internationales
Lokaljournalismus an der Front
Bericht von
Benedikt Frank
Ukrainische Zeitungen
Auf Einladung des BJV erklärt Sergiy Tomilenko im PresseClub München, wie es um unabhängige Medien und die Pressefreiheit in der Ukraine steht.
Der Vorsitzende der ukrainischen Journalisten-Union (National Union of Journalists of Ukraine, NUJU) Sergiy Tomilenko hat eine Mission: Auf die Situation der Journalistinnen und Journalisten in seinem Land aufmerksam zu machen. Und weile diese sich sonst absehbar verschlechtern würde, appelliert er unermüdlich an die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern, die Ukraine nicht aus den Augen zu verlieren. Seit Sonntag war Tomilenko in dieser Mission in Bayern unterwegs.
Auf Einladung des Bayerischen Journalisten-Verbands kam er zum Bundesverbandstag des Deutschen Journalisten-Verbands in Ingolstadt, wo man den Kollegen mit Standing Ovations begrüßte. Zum Dank für die Solidarität mit den ukrainischen Journalist:innen überreichte er dem DJV eine Ehrenauszeichnung. Am Morgen vor seinem Auftritt im PresseClub München waren Sergiy Tomilenko und der BJV-Vorsitzende Harald Stocker beim stellvertretenden Landtagspräsidenten Markus Rinderspacher im Bayerischen Landtag zu Gast. Am Tag davor sprach er am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (LMU) vor Studierenden der LMU und der Deutschen Journalisten-Schule.
Im PresseClub sollte es nun zum Abschluss der Reise um die Frage nach dem Stand der Pressefreiheit in der Ukraine gehen. Wie frei können Journalist:innen berichten, in einem Land, in dem seit Februar 2022 Krieg herrscht? Die stellvertretende BJV-Vorsitzende und Stellvertreterin im Vorstand der Europäische Journalisten Föderation (EFJ) Andrea Roth eröffnete den Abend. Sie erinnerte an den oft lebensgefährlichen Einsatz der ukrainischen Kolleg:innen und an die Journalistin Viktoria Roshchina, die im September in russischer Gefangenschaft starb. „Den unabhängigen Journalismus und das Funktionieren der Presse zu sichern, ist in Zeiten von Krieg eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt“, so Roth.
Was diese Herausforderung konkret bedeutet, war anschließend in einer 15-minütigen Kurzversion der Dokumentation „On the frontline” zu sehen, die Sergiy Tomilenko produziert hatte. Sie begleitet die Auslieferung der Zeitung Zorya + Visnyk Bohodukhivshchyny, die in der Region Charkiw in der Nähe der Front erscheint. Auch wenn der Strom ausfällt, versuche man alles, dass die Zeitung trotzdem gedruckt werde, erklärt der Protagonist, Chefredakteur Vasyl Miroshnyk. Er liefert die Zeitung persönlich an Verteilpunkte bis einige Kilometer vor der Front. Dort übernehmen private Bürger:innen. Die schusssichere Weste, die ihn als Pressevertreter markiert, zieht Miroshnyk in manchen Gebieten aus – sie würde ihn nur als Ziel markieren und gegen die großen Kaliber schütze sie ohnehin nicht.
Im anschließenden Gespräch mit dem BJV-Vorsitzenden Harald Stocker berichtet Sergiy Tomilenko, dass kleine Zeitungen wie Zorya vor der russischen Invasion profitabel waren. Nun könnten sich die Leute bei all den anderen Nöten aber keine Abos mehr leisten. Insbesondere in den Frontgebieten, wo die Informationen der Presse besonders wichtig wären, könnten die Zeitungen nur dank großem Idealismus überleben. 40 Prozent der unabhängigen Medien hätten nach der Invasion aus finanziellen Gründen schließen müssen.
Zwar gäbe es im Moment in der Ukraine keine aggressive Zensur, aber kriegsbedingte Einschränkungen bei der Berichterstattung über das Militär, so Tomilenko. Schwerer wiege jedoch, dass die Regierung nur die großen nationalen TV-Sender finanziell unterstütze. Neben Geld, Produktions-Technik wie Fotokameras und Laptops oder Schutzausrüstung sei für die Journalist:innen and er Front im Moment die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit die wichtigste Hilfe. „Ja, wir sind alle Kriegsmüde, aber Putin ist nicht müde“, sagt Tomilenko.
Oleksiy Soldatenko, Programmdirektor beim Institute for Regional Media and Information (IRMI) ist an diesem Abend ebenfalls anwesend. Er unterstreicht die wichtige Rolle der lokalen Frontmedien durch Forschungsergebnisse seines Instituts. „Lokalmedien an der Front genießen mehr Vertrauen als die Regierung oder große Medien“, berichtet Soldatenko. Sie würden den Menschen auch dringend benötigte Hoffnung geben. Während die ukrainische Regierung aktuell nicht kommuniziere, wie es nach dem Krieg weitergehen soll, würden Medien im komplett zerstörten Bachmut Leserdialoge führen, wie die Stadt wieder aufgebaut werden könnte. Obwohl oder gerade eben, weil Krieg herrsche, sei solch konstruktiver Journalismus sehr wichtig.
Am Ende des Abends äußert Sergiy Tomilenko noch einen Wunsch: Dass internationale Medien wieder öfter in die Ukraine reisen, insbesondere in die Frontregionen. Dann überreicht er Harald Stocker und Andrea Roth eine Flagge der NUJU, als Zeichen des Danks für die Solidarität, Freundschaft und Unterstützung.
08.05.2023
Video-Mitschnitt zur Podiumsdiskussion „Zwischen Trauma und Zensur – Journalismus im Ukrainekrieg“
Pressefreiheits-Preisträgerin Caroline Schmidt, Reuters-Fotograf Kai Pfaffenbach und der frühere BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky lieferten eine kurzweilige Diskussion zur Lage in der Ukraine.
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