Mitglied werden

Millionenklage gegen die Süddeutsche Zeitung: OLG Nürnberg weist Berufung zurück

04.02.2021

Lächelnder Mann, der in einem Büro den Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung liest

„Beeindruckende Entscheidung für die Pressefreiheit“: Rechtsanwalt Martin Schippan

Unternehmer hatte zwei SZ-Redakteure auf über 78 Millionen Euro Entschädigung verklagt

„Das Oberlandesgericht legt schonungslos offen, was für eine absurde und halbseidene Nummer diese Klage war. Herr Kuhn wollte uns einschüchtern und mundtot machen. Das ist ihm nicht gelungen“, kommentiert SZ-Redakteur Uwe Ritzer die am Mittwoch ergangene Entscheidung des OLG Nürnberg.

Die SZ habe von der Wirtschaftsressortleitung über das Justiziariat bis zur Chefredaktion große Haltung gezeigt, „sich konsequent vor uns gestellt und gekämpft. Dafür sind wir sehr dankbar“.

Das Nürnberger Gericht hat mit Beschluss vom 3. Februar 2021 die Berufung des Erlangener Solarunternehmer Hannes Kuhn zurückgewiesen, der die Süddeutsche Zeitung und ihre Redakteure Uwe Ritzer und Markus Balser auf über 78 Millionen Euro Schadenersatz wegen angeblich falscher Berichterstattung verklagt hatte und entschieden, die SZ habe nicht „pflicht- und rechtswidrig gehandelt“.

Gestritten wurde um einen Artikel, der am 25. Juni 2013 in der SZ unter der Überschrift „Wetten auf den Absturz“ veröffentlicht worden war. Darin hatten die beiden Redakteure unter anderem die Frage aufgeworfen, ob der Kläger Insiderwissen zu seinen Gunsten genutzt hatte.

Einen Tag später war im in der Schweiz verbreiteten Tages-Anzeiger ein Artikel erschienen, in dem inhaltlich auf den Bericht der Süddeutschen Zeitung Bezug genommen wurde. 

Unternehmer Kuhn machte geltend, aufgrund dieser Berichte seien eine bereits weit fortgeschrittene Vereinbarung über die Realisierung eines Kraftwerkprojektes in Indien und weitere Projekte in Indonesien geplatzt.

Ihm und den beteiligten Gesellschaften, die ihm ihre Anspräche abgetreten hätten, sei dadurch ein Gewinn in Höhe von 78.424.500 Euro entgangen (siehe auch BJVreport 2/2018: „Rachefeldzug oder geplatzter Mega-Deal“, blätterbare / PDF-Version).

Oberlandesgericht weist Berufung zurück
Um diese Schadensersatzsumme war bereits im Februar 2018 vor dem Landgericht Nürnberg verhandelt worden, der Unternehmer war mit seiner Klage gescheitert und hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. Diese wurde nun von der nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht Nürnberg, zurückgewiesen (Az.: 3 U 2445/18, siehe Pressemitteilung des OLG Nürnberg).

Die Richter wiesen in ihrer Begründung darauf hin, dass das Berufungsgericht an die Feststellungen und Würdigungen der ersten Instanz, also des LG Nürnberg, gebunden sei, soweit keine „konkreten Anhaltspukte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen bestünden“.

Außerdem unterscheide sich der im Tages-Anzeiger erschienene Artikel von dem der Süddeutschen Zeitung inhaltlich soweit, dass ein „ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem ursprünglichen Artikel und einem Scheitern der Geschäfte des Klägers“ entfalle. Die Süddeutsche Zeitung habe in dem Artikel deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich um eine bloße, wenn auch sehr starke Vermutung handle, dass der Kläger Insiderwissen ausgenutzt habe.

Schließlich sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass gerade die „möglicherweise im Artikel missverständlich dargestellten Details über die Optionsgeschäfte für den Abbruch der Geschäftsbeziehungen ausschlaggebend“ gewesen seien.

Wichtiger Sieg für die Pressefreiheit
Der BJV-Vorsitzende Michael Busch begrüßt das Nürnberger Urteil als „wichtigen Sieg für die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus“. Die Richter hätten den Versuch eines finanzstarken Klägers gestoppt, Redakteure mit völlig überzogenen Schadensersatzforderungen einzuschüchtern und mundtot zu machen.

„Dies ist auch ein positives Signal gerade für kleinere Zeitungsverlage, die sich einen solchen Rechtsstreit über mehrere Instanzen nicht leisten können und daher oft schon vorher nachgeben und auf kritische Recherchen verzichten.“

Weitgehende Auswirkungen auf den Investigativjournalismus
Der Anwalt der Süddeutschen Zeitung, Martin Schippan, sprach von „einer beeindruckenden Entscheidung für die Pressefreiheit: Der Senat des OLG Nürnberg hat dem Frontalangriff auf die Pressefreiheit mit starken Argumenten eine Absage erteilt“, zitiert SZ-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger in ihrem Artikel „Solarunternehmer scheitert mit Millionenklage gegen die ‚Süddeutsche Zeitung‘“ den Juristen.

„Die Entscheidung des OLG Nürnberg hat über den konkreten Fall hinaus weitgehende Auswirkungen auf den investigativen Journalismus in Deutschland – denn das Gericht stellte klar heraus, an was sich Journalisten halten müssen, wenn sie über einen bestehenden Verdacht berichten“, sagte Ramelsberger.

Bei einem Streitwert von 78 Millionen Euro müsse der unterlegene Unternehmer nun rund 1,5 Millionen Euro an Gerichts- und Anwaltskosten zahlen.

Gang vor den BGH ist noch möglich
Mit dem Urteil des OLG Nürnberg ist der Rechtsstreit noch nicht endgültig entschieden. Der Erlangener Unternehmer hat noch die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss beim Bundesgerichtshof einzulegen.

Nachtrag, 05.02.2021: Versuch der Einschüchterung von Journalisten ist gescheitert
Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach, sagte auf dpa-Anfrage zu der Entscheidung: „Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg ist ein Sieg für die Pressefreiheit und stärkt den investigativen Journalismus. Der Versuch, Journalisten durch Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe einzuschüchtern und unliebsame Berichterstattung zu verhindern, ist gescheitert.“

Maria Goblirsch/tm

Weitere Artikel im BJV-Blog

Neumarkt
Neumarkt

11.03.2025

BJV-Ortsverband bestätigt Vorstand

Der Ortsverband Neumarkt des Bayerischen Journalisten-Verbands (BJV) hat seinen bisherigen Vorstand im Amt bestätigt. …

Mehr
Medienforschung
Medienforschung

07.03.2025

Studie: Viele Journalist*innen in Deutschland psychisch belastet

Untersuchung zeigt u.a. hohes Depressionsrisiko, enorme „Berufsausstiegsneigung“ und Burnout-Risiko.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

06.03.2025

Gemeinsam für einen fairen Tarif

Der zweitägige Streik bei der Süddeutschen Zeitung sorgt für Ausfälle. Die Streikenden machen klar: Der Verlegerverband muss eine Tariferhöhung anbieten, die die Inflation ausgleicht.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

05.03.2025

Warnstreikaufruf Süddeutsche Zeitung 06.03.2025

Wir bestreiken die Süddeutsche Zeitung ab Donnerstag, den 06.03.2025, von 00:00 Uhr bis Freitag, den 07.03.2025, 23:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr
BJVreport
BJVreport

04.03.2025

Survival-Kit für Freischaffende

Beim FREItag für freie Journalist*innen am 14. März in Nürnberg wird Marion Trutter Tipps zur Stressbewältigung geben.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

25.02.2025

„Wir kämpfen gemeinsam“ – Warnstreik beim Main-Echo in Aschaffenburg

Redaktion und Technik streiken für einen Tag

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

25.02.2025

Warnstreikaufruf Main-Echo 25.02.2025

Wir bestreiken das Main-Echo ab Dienstag, den 25.02.2025, von 06:00 Uhr bis Mittwoch, den 26.02.2025, 06:00 Uhr an allen Standorten.

Mehr
München
München

21.02.2025

Trauer um Opfer

Am gemeinsamen Gedenken an die Opfer des Anschlags vom 13. Februar 2025, nahmen gestern im Namen des BJV und des DJV der BJV-Vorsitzende Harald Stocker und Vorstandsmitglied Jürgen Schleifer teil.

Mehr
Bezirksverband München-Oberbayern
Bezirksverband München-Oberbayern

19.02.2025

Schwer zu erreichen: Die Gen Z im Bundestagswahlkampf

Die Gen Z ist online – aber wer erreicht sie wirklich? Eine Expertenrunde diskutiert Social Media, politische Strategien und Medienkompetenz.

Mehr
Pressefreiheit
Pressefreiheit

10.02.2025

Rede von Harald Stocker bei "Demokratie braucht DICH!"

Auf der Theresienwiese München sprach der BJV-Vorsitzende zu den Gefahren für die Pressefreiheit. Über 250.000 Menschen nahmen an der Kundgebung teil.

Mehr
BJVreport
BJVreport

21.01.2025

Interview mit Pressefoto-Bayern-Sieger Raymond Roemke

Ein Fotochronist seiner Zeit - Raymond Roemke ist Gesamtsieger des Wettbewerbs "Pressefoto Bayern 2024".

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

20.01.2025

Warnstreikaufruf Süddeutsche Zeitung 21.01.25

Wir bestreiken die Süddeutsche Zeitung ab Dienstag, den 21.01.2025, von 00:00 Uhr bis Mittwoch, den 22.01.2025, 24:00 Uhr an allen Standorten.

Mehr
BJVreport
BJVreport

07.01.2025

Officestory: Der Ethiker im Haus

Die medienethischen Aspekte im Journalismus treiben Sascha Borowski seit frühen Reportertagen um – auch als Redaktionsleiter der Allgäuer Zeitung.

Mehr
BJVreport
BJVreport

19.12.2024

Interview: „Es gibt keinen sicheren Ort für Journalisten“

Der Vorsitzende des ukrainischen Journalistenverbands Sergiy Tomilenko spricht über die Situation der Kolleg*innen in der Ukraine. Der BJV ruft zu Spenden für ukrainische Lokalzeitungen auf.

Mehr
Freie Journalist:innen
Freie Journalist:innen

18.12.2024

Tipps zum Altersvorsorge-Zuschuss der VG Wort

Viele wissen nichts von diesem Zuschuss bis zu 10.000 Euro – Jetzt Antrag stellen!

Mehr
BJVreport
BJVreport

17.12.2024

Veränderter Fokus - Entwicklungen im Bildjournalismus

Statt klassischer Fotojournalist*innen setzen Redaktionen heute auf „Visual Reporter“ und Multimedia. Die Ausbildung wird breiter.

Mehr
Nachruf
Nachruf

16.12.2024

Karl Stankiewitz mit 96 Jahren verstorben

Ein unnachgiebiger Menschenfreund.

Mehr
Pressefoto Bayern 2024
Pressefoto Bayern 2024

29.11.2024

„Von größter Bedeutung für unsere Demokratie“

Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner lobt die Sieger*innen bei Pressefoto Bayern 2024 – Münchner Fotograf gelingt das Pressefoto des Jahres.

Mehr
Social Media
Social Media

25.11.2024

Der Bayerische Journalisten-Verband verlässt Twitter/X

In Zukunft ist der Verband bei Bluesky zu finden.

Mehr
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

22.11.2024

So kommuniziert der Nürnberger IT-Gigant DATEV

Die BJV Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist zu Gast bei der DATEV eG.

Mehr