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Krieg in der Ukraine: Orientierung im Netz

23.01.2022

Zwei Demonstrationsteilnehmer zeigen jeweils ein Plakat mit der Aufschrift „Freiheit statt Corona-Diktatur!!!!“

Das Bild entstand bei einer Corona-Demonstration in München im Dezember 2021 – siehe unten stehenden Artikel aus der Netz-Szene im BJVreport 1/2022

Handwerkliche Tipps, ethische Debatten, gut aufbereitete Information

BJVreport 2/2022, Netz-Szene

Die Corona-Krise ist noch längst nicht überstanden,da ist die nächste journalistische Großlage mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und all seinen Folgen zu bewältigen. Dabei liefert uns das Netz immer wieder vielseitige Hilfen für unsere Arbeit, aber auch neue Facetten und Nachdenkliches.

„Krieg in der Ukraine: Die Orientierung vor lauter Podcasts nicht finden“, betitelte Sandro Schroeder (@SaSchroeder) seinen Artikel bei Übermedien. Der Podcast-Experte hat sich rund ein Dutzend journalistischer Podcasts angehört und diese subjektiv aber sachlich und lehrreich beschrieben. Eine große Recherchearbeit, die auch für Kolleg*innen hilfreich ist: bjvlink.de/podcast-orientierung.

Eine wöchentliche Orientierung bietet bei Übermedien die Podcast-Reihe „Holger ruft an“. Der Podcaster und ehemalige Hörfunk-Moderator Holger Klein (@holgi) hat ein gutes Händchen bei der Wahl seiner Themen und Gesprächspartner. Die Telefonate mit einer Person dauern zumeist nicht länger als 30 Minuten. „Muss Satire in Kriegszeiten vorsichtiger sein?“, fragte er beispielsweise den Satiriker Tim Wolff (@titatimwo), Autor beim ZDF Magazin Royale und Herausgeber der Titanic: bjvlink.de/satire-krieg [Dauer: 18:45 Min.].

TikTok in der Kriegskommunikation
Propaganda gegen Geld bei TikTok Ein feines Hörformat hat Eva-Maria Schmidt, die Chefredakteurin des Branchenmagazins Horizont, gestartet: „HORIZONT Newsfluence! Der Podcast für erfolgreichen Qualitätsjournalismus in Sozialen Medien.“ Zusammen mit ihrer Kollegin Mandy Schamber befragt sie Marcus Bösch (@m_boesch), Journalist und TikTok-Researcher, über TikTok bei der Kriegsrecherche. Am Ende des Podcasts gibt es konkrete Tipps und Tricks: bjvlink.de/tiktok-krieg [Dauer: 24:10 Min.].

Eine interessante Einordnung zu TikTok liefert Jonathan Lindenmaier (@JoniLindenmaier) in der Augsburger Allgemeinen. Der Redakteur schreibt „über eine Plattform zwischen Propaganda und wahrhaftigen Einblicken in den Kriegsalltag“: bjvlink.de/tiktok1. In der FAZ klärt Nina Rehfeld über das Wirken einiger Influencer*innen auf: „Gegen Geld sagen sie bei TikTok Propagandatexte von Putin auf“: bjvlink.de/tiktok2.

Datenjournalismus im Krieg
Mit ihrem „Sanktionstracker“ bieten die Kolleg*innen von Correctiv wieder mal eine innovative Variante dessen, was Journalist*innen alles systematisch recherchieren können, um den Nutzer*innen möglichst vielseitige Informationen und Aspekte zu präsentieren. Mehrmals täglich aktualisiert, werden hier die Sanktionen gegen Russland dokumentiert: bjvlink.de/sanktionstracker. Die Inhalte sind auch für Medien kostenfrei zu nutzen.

Vom Krieg dominiert sind auch die wöchentlichen „Top 10 in Data Journalism“ des Global Investigative Journalism Network (GIJN), die zeigen, wie Datenjournalist* innen dieses Thema weltweit aufbereiten. Auch für Kolleg*innen, die nicht im Datenjournalismus tätig sind, bieten die Listen interessante Einsichten: bjvlink.de/data-journalism.

Was für Bilder sollen die Medien zeigen?
Einsichten gewährt auch die Süddeutsche Zeitung mit ihrem „Transparenz-Blog“: „Fotos und Videos zum Krieg in der Ukraine fluten das Netz. Die SZ versucht, diese zu verifizieren“, schreibt Digital-Volontärin Lea Weinmann (@LWe97). Sie schildert unter anderem die Möglichkeiten von „Open Source Intelligence“ im Journalismus: bjvlink.de/bilder-prüfen. Und immer wieder stellt sich bei den Bildern die Frage: „Wie sollen Medien die Brutalität des Krieges zeigen?“. Oliver Mark (@Oli_Mark) war im Standard einer der Ersten: „Ein Cover der New York Times mit drei Leichen sorgt für eine Debatte über Medienethik in Zeiten des Krieges“: bjvlink.de/medienethik1. Hier seien nur zwei weitere Beiträge zum Thema erwähnt: Yannick Dillinger (@ydillinger) und Daniel Wirsching in der Augsburger Allgemeinen: „In eigener Sache: Bilder des Ukraine-Kriegs: Wieso wir keine Toten zeigen“ (bjvlink.de/medienethik2) und Andrej Reisin in einem Kommentar bei Übermedien: „Bilder des Krieges: Warum wir zeigen sollten, was wir nicht sehen wollen“: bjvlink.de/medienethik3.

„Sechs Sekunden gegen Putin: Kriegsgegnerin unterbricht Hauptnachrichtensendung“, titelte Oliver Klasen (@OliverKlasen) in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung (bjvlink.de/sechs-sekunden). „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“, steht in Russisch auf dem Plakat und: „Russians against war“. Dazu rief die Journalistin mehrmals laut auf Russisch: „Nein zum Krieg!“. Marina Ovsyannikova heißt die mutige Mitarbeiterin des Senders. Vor ihrem TV-Auftritt hatte sie sich in einer einminütigen Video-Botschaft erklärt. Bei Twitter und in anderen sozialen Netzwerken finden sich die Videos schon tausendfach: bjvlink.de/Ovsyannikova.

Bleiben Sie zuversichtlich!
Und was macht das Ganze mit uns? Spiegel-Redakteur Lenne Kaffka zählt in seinem Podcast „Smarter Leben“ auf: „Wir leben in einer Pandemie, in der ein Angriffskrieg mitten in Europa immer weiter zu eskalieren droht, der zugleich die Klimakrise in den Hintergrund rückt und die Inflation beinahe zu einem Randproblem degradiert, genau wie all die anderen täglichen Herausforderungen.“ Kaffka spricht mit der Ärztin Mirriam Prieß in der Folge „Ohnmachtsgefühle: Wie bleiben wir zuversichtlich?“: bjvlink.de/zuversicht [Dauer: 32 Min.]. Mehr zum Thema Trauma und Journalismus in diesem BJVreport auf Seite 16 und in einem älteren Dossier des Autors:.

Über den Bookmark-Dienst Diigo sammele ich selbst Links zum Thema Krieg in der Ukraine und Journalismus: bjvlink.de/ukraine.

Thomas Mrazek

BJVreport 1/2022, Netz-Szene
Beleidigungen, Gewalt, Morddrohungen
Die „Querdenker“-Proteste betreffen zunehmend auch Journalist*innen

Es nimmt kein Ende mit der Pandemie und ihren Folgen. In den letzten Monaten machten beinahe täglich Meldungen die Runde, dass Journalist*innen bei ihrer Berichterstattung über Corona-Demonstrationen oder neuerdings bei sogenannten „Spaziergängen“ gestört wurden – zumeist waren es verbale oder tätliche Aggressionen Protestierender.

Die Rolle der Polizei ist dabei nicht selten zweifelhaft, mal werden Sympathien für die Proteste gezeigt. Und zuweilen werden Journalist*innen regelrecht schikaniert, wie dem BJV etwa ein Münchner Kollege schilderte. Nachzulesen sind solche Vorfälle vor allem in einschlägigen Tweets.

Der Frust bei Kolleg*innen ist groß. „Nicht wenige Reporter*innen – darunter auch ich selbst – haben sich aus der Berichterstattung von Demonstrationen und Corona-‚Spaziergängen‘ zurückgezogen“, berichtet Sarah Ulrich (@ulrich_srh) Ende 2021 in der taz im Artikel „Kollektives Presse-Burnout“.

Unter dem Hashtag „#AusgebranntePresse“ hatte sich ein Hamburger Fotograf auf seinem Account @ResiLucetti Luft verschafft, und einige Kolleg*innen tun dies immer noch. Ulrich zählt auf, was die Reporter*innen alles erlebten: „Gewalt, Morddrohungen, Verfolgungen, Feindeslisten, Beleidigungen.“

Tötungsfantasien bei Telegram
Allen Widrigkeiten zum Trotz machen die meisten Kolleg*innen ihre Arbeit weiterhin und lassen auch Twitter-Nutzer*innen daran teilhaben. Einer von ihnen ist Alexander Roth. Seit anderthalb Jahren beobachtet der Waiblinger Redakteur (@00schneemann) die Querdenker-Szene und hat dabei vor allem den Messengerdienst Telegram im Blick.

Ihm gehe es vor allem darum, die Köpfe hinter der Querdenker-Szene zu recherchieren und zu berichten, was sie im Verborgenen machen, schreibt der Deutschlandfunk zu einem Interview mit Roth unter der Überschrift „Wie sich die Querdenker-Szene bei Telegram radikalisiert“ (Audio 10:30 Min.).

Roth schildert bei Twitter sachlich, was ihm im Netz auffällt: „Eines der ersten Dinge, die ich viel zu oft bei Dienstbeginn sehe: Tötungsfantasien in #Querdenker-Kanälen auf Telegram. Man sollte davon ausgehen, dass diese Leute das ernst meinen“, schreibt Roth im Januar in einem Tweet und dokumentiert ein Posting, in welchem eine Person zu sehen ist, die einen zugebundenen Seilstrick in Form einer Krawatte am Hals trägt, versehen mit dem Text: „Krawattenpflicht kommt!“. (Wir verzichten hier auf eine Verlinkung.) „Ein #Querdenker-Telegramkanal mit fast 5.000 Follower*innen hat vor ein paar Tagen eine ‚Initiative Privatadressen‘ gestartet. Politiker*innen und andere bekannte Menschen sollen ‚nicht mehr privat und anonym ein unbeschwertes Leben führen‘ #Feindesliste #Telegram #Querdenken“.Leider sei er „ziemlich oft schon“ bedroht worden, sagt Roth im Interview „Wir müssen uns auf etwas gefasst machen“ mit dem BR-Zündfunk.

Überwiegend in Bayern unterwegs ist der Münchner Journalist Thomas Witzgall. Er verantwortet seit 2012 das von der Bayern-SPD

betriebene Angebot „Endstation Rechts Bayern – das Informationsportal über Neonazis und Rechtsextremismus in Bayern“. Witzgall dokumentiert nahezu alle Demonstrationen, bei denen Rechtsextremisten auftreten (siehe auch BJV.de-Interview mit Thomas Mrazek 2019). Bei Twitter dokumentiert er das Demonstrationsgeschehen ausführlich und übersichtlich: @ER_Bayern. Beeindruckend ist immer wieder das Szene- und Detailwissen des Kollegen.

Mehr als 30 Jahre berichtet Andreas Speit über Rechtsextremismus. In der taz nord schreibt er die wöchentliche Kolumne „Der Rechte Rand“. Er ist Autor zahlreicher Bücher, hält regelmäßig Vorträge und ist mehrfach ausgezeichnet.

Erst am 6. Januar ist Speit bei Twitter eingestiegen, nach drei Wochen folgen ihm schon 11.000 Nutzer*innen. Dort weist er auch auf die zweite Auflage seines Werkes „Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“ hin (@AndreasSpeit).

Netzwerke der Demokratiefeinde
Ebenfalls als Buchautor positiv aufgefallen ist Matthias Meisner (@MatthiasMeisner). Von dem freien Berliner Journalisten kann man täglich mehrere nutzwertige Tweets rezipieren. Sehr lesenswert

ist das von ihm und Heike Kleffner (@HeikeKleffner) herausgegebene Werk „Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“ (Leseprobe und Rezensionen).

In diesem Buch findet sich auch ein Beitrag des Münchner Kollegen Robert Andreasch: „‚Geschichte wiederholt sich‘ Bayerische ‚Coronarebellen‘ im Sophie-Scholl-Widerstand“. Der Fachjournalist, der 2019 für seine Arbeit den Publizistikpreis der Stadt München erhielt, warnte im Frühjahr 2021 in einem BJVreport-Artikel des Autors („Medien sind zu zentralem Feindbild geworden“) noch eindringlich vor der Gefährlichkeit der „Querdenker“. Andreaschs Twitter-Account ist ebenfalls sehr zu empfehlen: @robertandreasch.

Über den Bookmark-Dienst Diego sammele ich selbst Links zum Thema Rechtsextremismus/-populismus im Kontext mit Journalismus: bjvlink.de/rechts-links.

Der Autor Thomas Mrazek (@tmrazek) arbeitet als freier Journalist und Dozent in München, er betreut die Netzaktivitäten des BJV, u.a. @bjvde.