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Tag der Pressefreiheit

„Wir sind noch in einer sehr privilegierten Situation“

03.05.2024
Ein Artikel von
Thomas Mrazek

Sprachen über ihre Erfahrungen mit der Pressefreiheit: (Von links) Johannes Reichart, Sebastian Lebert, Jürgen Schleifer, Maria Christoph und Christian Jakob

Podiumsdiskussion zum Thema „Feindbild Journalismus – Pressefreiheit unter Druck von rechts außen“ mit Maria Christoph, paper trail media; Christian Jakob, taz; Sebastian Leber, Tagesspiegel und Johannes Reichart, Bayerischer Rundfunk.

Unter einem neuen Namen verlieh der BJV am Freitag zum zehnten Mal seinen Pressefreiheitspreis: „Rainer-Reichert-Preis zum Tag der Pressefreiheit“. Gastgeber für die Preisverleihung und die anschließende Podiumsdiskussion war erstmals die Bayerische Landesbank.

Hier können Sie die Podiumsdiskussion „Feindbild Journalismus – Pressefreiheit unter Druck von rechts außen“ anschauen (Youtube, Dauer zirka eine Stunde). Teilnehmer*innen waren Maria Christoph, paper trail media; Christian Jakob, taz; Sebastian Leber, Tagesspiegel und Johannes Reichart, Bayerischer Rundfunk.

RSF-Ranking der Pressefreiheit: Deutschland auf dem zehnten Platz

Am Tag der Pressefreiheit veröffentlichten die Reporter ohne Grenzen (RSF) ihre Rangliste der Pressefreiheit. Deutschland ist 2024 zwar von Platz 21 auf Platz Zehn aufgestiegen, doch die Gesamtpunktzahl hat sich nur geringfügig verbessert – andere Länder haben sich auf der Rangliste verschlechtert. Grund zur Sorge besteht weiterhin wegen anhaltender Gewalt gegen Journalist*innen und Medien, wie die jüngste Nahaufnahme Deutschland: Pressefreiheit im Überblick von RSF belegt.

Daran knüpfte auch die von BJV-Schatzmeister und BR-Journalist Jürgen Schleifer moderierte Gesprächsrunde unter dem Titel  „Feindbild Journalismus – Pressefreiheit unter Druck von rechts außen“ an. Ob das bessere Ergebnis Deutschlands im RSF-Ranking eine „good news“ sei?, wollte Schleifer von Maria Christoph wissen. Die für das Münchner Recherche-Start-up  paper trail media tätige Investigativ-Journalistin habe nicht das Gefühl, dass es besser geworden sei, und nannte beispielsweise die schlechten Erfahrungen von Kolleg:innen beim Berichten über die AfD.

Frauen im Visier von Pressefeinden

Christoph schilderte ihre Eindrücke vom internationalen Rechercheprojekt „Storykillers“, an welchem sie 2023 beteiligt war. Dabei ging es auch darum, aufzuzeigen, „wie weibliche Journalistinnen immer mehr bedroht werden“. Christoph lernte eine irische Journalistin kennen, die aufgrund der Bedrohungen gegen sie mittlerweile ihren Job bei einer Tageszeitung aufgegeben habe und nur noch Podcasts macht (Irland hat im RSF-Ranking Platz 8 von 180). Auch sexualisierte Gewalt gegen Journalistinnen sei weltweit ein permanentes Problem.

Die Zahl der physischen Gewalttaten gegen Journalist*innen habe laut dem RSF-Report abgenommen, sagte Moderator Schleifer, aber gäbe es nicht eine hohe Dunkelziffer, fragte er Christian Jakob, Reporter bei der taz. Jakob bejahte die Frage, schränkte aber ein: „Es gehört zur Wahrheit dazu, dass man hier immer noch in einer sehr privilegierten Situation ist, auch wenn die Pressefreiheit erodiert oder unter Druck gerät“ – im Vergleich zu Kolleg*innen in anderen Ländern stünden wir hierzulande gut da.

Projekt gegen Desinformation

Bei seiner Arbeit für das Rechercheprojekt „Decoding the disinformation playbook of populism in Europe“, das vom International Press Institute in Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Faktencheck-Angebot Faktograf und taz durchgeführt wird, konnte Jakob einen guten Einblick über die Pressefreiheit in anderen Staaten gewinnen.

Hierbei habe sich gezeigt, wie in einigen Ländern versucht werde, mit Desinformation die Glaubwürdigkeit von Journalist*innen anzugreifen und sie einzuschüchtern um sie an der Berichterstattung zu verhindern. Im Maße wie sich Desinformation verbreite, verstärkten sich  auch Angriffe auf Journalist*innen, die der Desinformation entgegenstehen. Im Rahmen dieses Projektes entstand auch der mit dem Rainer-Reichert-Preis ausgezeichnete Artikel von Jakob und seinen Kolleg*innen Jean-Philipp Baeck und Luisa Kuhn: „Kämpfer an Orbáns Medienfront“.

Angst vor AfD-Regierungsbeteiligung

Podiumsteilnehmer Sebastian Leber stimmte Jakob zu, dass Medienschaffende in Deutschland in einer privilegierten Situation arbeiten können. Aber die bevorstehenden Wahlen in einigen Bundesländern bereiten dem Tagesspiegel-Reporter Sorgen. „Ich habe Angst, was passieren wird, wenn die AfD an der ersten Landesregierung beteiligt sein wird, wenn sie vielleicht Zugriff auf ein Innenministerium oder den Verfassungsschutz haben. Dann werden wir als Journalist*innen nicht mehr geschützt werden“.

Ob der Druck auf den Journalismus durch die kommenden Wahlen zunehmen würde, wie es etwa auch der DJV-Vorsitzende Mika Beuster am Tag der Pressefreiheit prognostiziert habe, fragte Schleifer denBR-Reporter Johannes Reichart. „Ich würde es nicht pauschal an Wahlen fest machen, dass dann der Druck zunimmt“, antwortete Reichart, „sondern eher an polarisierenden Themen, an der Spaltung der Gesellschaft“. Bei Corona seien Journalist*innen schon „an die Fronten geraten“, aber derzeit sei so etwas nicht vorherzusehen.

Internationale Kooperationen helfen

Wie schützen sich investigative Journalist*innen? Maria Christoph berichtete, dass man sich als erstes die eigenen Adressen sperren ließ, „damit man nicht mehr so einfach auffindbar ist“, auch sie betonte, dass man in Deutschland sicher arbeiten könne, ohne befürchten zu müssen, „dass irgendjemand im Büro aufschlägt und Leute bedroht“.

paper trail media arbeite „viel mit ausländischen Kolleg*innen zusammen, die häufig bedroht werden“. Beispielsweise habe man eine Kooperation mit Forbidden Stories, einem internationalen Journalismusprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten fortzusetzen, die bedroht, inhaftiert oder ermordet wurden. Man habe zudem vielseitige Sicherheitsvorkehrungen, so dass man nicht gehackt oder abgehört werden könne.

Erhöhtes Risko für Lokaljournalisten

Anders stellt sich die Situation für den Waiblinger Journalisten Alexander Roth dar. Über ihn berichteten die vorgenannten Kolleg*innen der taz in einer Langzeit-Reportage: „Rechte Hetze gegen Journalisten: Freiheit im Fadenkreuz“. U.a. wurde Roth durch einen ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten, Reichsbürger und Querdenker im Netz oder bei Veranstaltungen attackiert, berichtete Christian Jakob.

Im Lokaljournalismus setze man sich natürlich „einer anderen Angreifbarkeit aus“. Bei Veranstaltungen mit Roth musste etwa die Chefredaktion der Waiblinger Kreiszeitung jedes Mal Gespräche mit dem Polizeipräsidium führen: „Auf die Dauer macht das etwas mit einem“, hat Jakob erkannt.

„Und wie ist der Arbeitsalltag für den Kollegen jetzt?“, fragte Schleifer. „Ich würde sagen unverändert“, sagte Jakob, „die Menschen sind natürlich alle noch da“. Außerdem erwähnt er den Podcast „Bewegungsmelder“, den Roth gemeinsam mit einem Kollegen für den Verlag bereits in der dritten Staffel betreibt und der überregional wahrgenommen werde.

„Die AfD hat neue Saiten aufgezogen“

BR-Reporter Johannes Reichart kann nicht mehr uneingeschränkt über die AfD berichten. Am 1. März schrieb der Bayerische Rundfunk in einer Pressemitteilung, dass die Partei angekündigt habe, „mit einem AfD-Experten des BR nicht mehr ‚zusammenarbeiten‘ zu wollen und ihm zugleich ein Hausverbot für alle Veranstaltungen der AfD Bayern erteilt“.

Reichart berichtet seit sechs Jahren über die AfD: „Ich habe mir ein Netz an Kontakten aufgebaut und bin bei diversen Recherchen beteiligt gewesen wie etwa den Telegram-Chats mit Umsturzplänen oder im Februar, als rassistische Parolen in einer Diskothek im Umfeld des AfD-Parteitags gegrölt wurden“. Jetzt sei er von für die Parteispitze als „Persona non grata“ ausgewählt worden. Das sei für ihn „nicht ganz einfach“: Kontaktpersonen seien eingeschüchtert oder Führungspersonen legten bei Anrufen von ihm auf.

Sein Sender habe indes eine Pflicht zur Information über die Partei zu berichten: „Es ist ‚Neuland‘ für uns, das gab es in dieser Form noch nicht, dass vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Journalist von einer Partei verbannt wird“. Man wisse, dass die Kollegin Ann-Katrin Müller vom Spiegel ein Hausverbot bei der AfD habe und nicht mehr eingeladen werde. So sei es jetzt auch für ihn in Bayern: „Die AfD hat halt neue Seiten aufgezogen. Früher hat man sich das nicht getraut“, es sei eine „Machtprobe und ein ganz klarer Angriff auf die Pressefreiheit. Deswegen steht der BR auch ganz klar hinter mir, dafür bin ich auch dankbar, dass wir Journalisten jetzt nicht einfach austauschen, weil die einzelne Nase der Partei nicht gefällt, schicken wir nicht jemanden anderen hin“.

Freilich sei es für ihn immer wieder eine neue Herausforderung, da er O-Töne brauche. „Hast Du genügend Rückendeckung? Was macht so etwas mit einem?“, möchte Schleifer von seinem BR-Kollegen wissen: „Es ist auf jeden Fall etwas, was man sich nicht wünscht, in so einen Konflikt AfD gegen Bayerischen Rundfunk zu geraten“. Natürlich bekomme er Unterstützung von seinem Sender und auch vom BJV (wir berichteten und protestierten), aber wie erreiche man Menschen, die den Narrativen der AfD folgen, und „wie kann man die zurückholen – das ist eigentlich die viel wichtigere Frage“.

Traumatisches Erlebnis

Einfach nur ungestört recherchieren und berichten, dieser Wunsch erfüllt sich auch für Sebastian Leber nicht immer. 2021 wurde der Tagesspiegel-Journalist bei einer Recherche über die Situation von Flüchtlingen in Kroatien in der Grenzregion zu Bosnien von kroatischen Polizisten als Schlepper verdächtigt, verhaftet und vor Gericht gestellt. Er schilderte dem Auditorium wie es sich anfühlt, eine Nacht in einer Gefängniszelle zu verbringen: „Das ist fürchterlich gewesen, dem ausgeliefert zu sein und plötzlich sind die Rechte weg, die man hat“. In seiner Zeitung berichtete er darüber: „Wie an der EU-Außengrenze die Pressefreiheit missachtet wird“.

Auf Anraten seiner Chefredaktion ging er erstmal in eine Therapie, er war traumatisiert und nahm eine zweiwöchige Auszeit. Zudem gab es noch ein gerichtliches Nachspiel: Das rechtspopulistische österreichische Online-Magazin Exxpress hatte Leber „als verurteilten Schleuser“ dargestellt. Das Wiener Landgericht stellte fest, „dass dadurch der objektive Tatbestand der üblen Nachrede“ hergestellt wurde, berichtete der Tagesspiegel im Januar 2023.

Angriffe transparent machen

Leber schilderte zudem noch wie vor einigen Jahren Verschwörungsideologen eine Kampagne unter dem Titel „Leberschaden“ gegen ihn inszenierten. Im Tagesspiegel machte er auch diese Angriffe auf die Pressefreiheit transparent: „Hetzkampagne gegen Journalisten: Der geheime Plan der Verschwörungsfreaks“.

Transparenz stellte auch der Bayerische Rundfunk her, als Johannes Reichart 2022 auf dem Münchner Marienplatz nach einer Pressekonferenz von einem Rechtsextremen angegriffen wurde. Der Täter wurde 2023 zu einer Haftstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Reichart, der den Vorfall bei dem Podium sachlich beschrieb, konnte vier Wochen lang nach der Attacke nicht mehr als Videojournalist arbeiten und wurde kurze Zeit psychotherapeutisch betreut. Der BJV berichtete ausführlich.

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