BJVreport
Officestory: Der Ethiker im Haus
Ein Artikel aus dem BJVreport von
Senta Krasser
Als Polizeireporter hat Sascha Borowski in Augsburg viel Gutes, aber auch viel Böses dieser Welt erlebt.
Die medienethischen Aspekte im Journalismus treiben Sascha Borowski seit frühen Reportertagen um – auch als Redaktionsleiter der Allgäuer Zeitung.
Als der BJVreport Sascha Borowski für eine „Officestory“ in der Oktober-Ausgabe anfragte, sagte er ab. Respektive bat um Verschiebung. Sein Argument war bestechend: Er wolle im November beim DJV-Verbandstag in Ingolstadt wieder für einen Sitz im Presserat kandidieren, für den er sich seit 2014 engagiert, und es sei nicht sicher, ob er auch tatsächlich gewählt werden würde. Er fände es persönlich etwas komisch, im Artikel über die Arbeit im freiwilligen Selbstkontrollorgan der Presse zu schwärmen und zu dem Zeitpunkt womöglich gar kein Mandat mehr zu haben.
Seit dem Elften im Elften ist klar: Der Redaktionsleiter und Chief Digital Editor der Allgäuer Zeitung kann bedenkenlos „schwärmen“. Er wurde von den Delegierten des DJV für das Ehrenamt im Presserat bestätigt. Alles andere wäre ja auch wirklich seltsam gewesen. Auf nach Kempten!
An Borowskis Chefbüro dort ist nichts Außergewöhnliches, alles sehr funktional, wenig persönlich – bis auf eine kleine Polizeifigur auf dem Schreibtisch. Es ist eine Erinnerung der Kolleg*innen an seine wilde Zeit als Polizeireporter bei der Augsburger Allgemeine: Jeden zweiten Freitagabend stand der Streifenwagen vor der Tür und setzte ihn am nächsten Morgen um fünf wieder ab, mit ganz vielen Geschichten im Block. Viel Gutes, aber auch viel Böses dieser Welt erlebte Borowski auf diesen Nachtfahrten. So was prägt. Schon damals trieb ihn die Frage um: Was darfst du eigentlich als Reporter? Wie gehst du mit Hinterbliebenen nach einem Tötungsdelikt oder einem Unfall um? Wie sprichst du mit ihnen auf der Suche nach der Geschichte, ohne ihnen zu schaden? Persönlichkeits- und Opferschutz, diese medienethischen Aspekte im Journalismus, beschäftigen ihn noch heute, nicht zuletzt auch im Presserat.
Viermal im Jahr tagt das Gremium, um über journalistisches Fehlverhalten von Zeitungen und Zeitschriften zu beraten. Die Zahl der Beschwerdefälle, um die 2000 pro Jahr, ist ungefähr gleichgeblieben in Borowskis Amtsperiode. Bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht und gegen das Persönlichkeitsrecht sieht er allerdings einen Trend nach oben, vor allem im Boulevard. Schwer für ihn zu sagen, ob das daran liegt, dass die Leser*innen, die Beschwerde einreichen, sensibler geworden sind. „Vielleicht schauen wir im Presserat da genauer hin?“
„Die zehn teuersten Immobilien in der Region –
auch solche Berichte kann man medienethisch sauber gestalten.“
Nach wie vor problematisch sei auf jeden Fall die fehlende Trennung von Redaktion und Werbung. Neben dem klassischen Fall von Product Placement hätten sie es vermehrt mit Geschichten zu tun, in denen es zum Beispiel um „Die zehn teuersten Immobilien der Region“, „Die zehn besten Restaurants“ oder neu eröffnete Geschäfte in der Stadt geht. Klar, so was interessiere die Leute, „das ist Conversion-relevant und bringt Abos“. Aber es sei auch ein schmaler Grat: „Wo handelt es sich noch um neutrale Berichterstattung oder wo fängt das Werbliche an?“
Bringt diese Frage ihn, in dessen Brust ja nicht nur das Herz des Presseethikers schlägt, manchmal in die Zwickmühle? Als Redaktionsleiter ist er schließlich verantwortlich dafür, dass seine Zeitung sich verkauft. „Nicht unbedingt“, antwortet Borowski, „denn auch diese Berichterstattung kann man medienethisch sauber gestalten, indem man eine neutrale, nicht werbliche Sprache verwendet, Distanz bewahrt, Dinge einordnet.“
„Keine Grenzen überschreiten!“
Seine Erfahrung im Presserat sieht er als „sinnvolle Ergänzung“ im Alltagsgeschäft. Immer wieder komme es vor, dass Kolleg*innen ihn fragen: „Wir haben ein krasses Unfallfoto, können wir das zeigen?“ Oder: „Jemand will, dass wir einen Artikel löschen, können wir das machen?“ Alles Fälle, die er aus der Presseratspraxis kennt. Und auch wenn sie auf all-in.de, dem Blaulicht-Reichweitenportal der Allgäuer Zeitung, die Leitplanken „vielleicht ein bisschen weiter“ aufmachten als bei allgäuer-zeitung.de, gelte immer die Regel: Keine Grenzen überschreiten! Dafür sorgten sie alle gemeinsam.
Dieses Adjektiv benutzt Sascha Borowski sehr häufig. Am Ende unseres Gesprächs wird er sogar explizit darum bitten, dass man herausstellen möge, dass er ohne sein Team „gar nicht funktionieren“ würde. Diesen feinen Charakterzug, sich ungern in den Vordergrund zu stellen, immer ein Ohr für die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeitenden zu haben, das wird auch auf Nachfrage von seinem Umfeld gespiegelt. Absolut kein schlechtes Wort ist zu hören. Im Allgäu sind sie froh, so einen wie ihn als Chef zu haben.
Wie er, der 1971 in Landsberg am Lech geboren wurde, dort überhaupt hinkam? Kurz: Es war der klassische Weg. Schülerzeitung, freie Mitarbeit bei der Heimatzeitung, Volontariat in der Augsburger Allgemeine, Jungredakteur in Landsberg, Polizei- und Gerichtsreporter – und Digital-Pionier. In diese Schiene rutschte er, weil er es zunehmend mit dem Thema Online-Kriminalität zu tun hatte. Es war die Frühzeit des Internets. Borowskis Berichte über Online-Abzocke wurden viel gelesen. Das blieb der Chefredaktion nicht verborgen. 2007 beförderte sie ihn an den neuen Crossmedia-Desk in der Zentrale, 2009 stieg er zum Leiter der Digitalredaktion auf.
Die Verwunderung war bei manchen dann groß über Borowskis Wechsel 2019 zur kleineren Allgäuer Zeitung, an der die Mediengruppe Pressedruck mit 50 Prozent beteiligt ist. Aus Augsburger Sicht liegt das Allgäu arg weit vom Schuss. Für ihn selbst war es „ein guter Karrieresprung“ und die Region gar nicht fremd. Da seine Frau aus dem Allgäu stammt, Teile der Familie im Allgäu wohnen, seine Geburtsstadt Landsberg an der Grenze zum Ostallgäu liegt und er in der Jugend viel mit dem Allgäu zu tun hatte, war der Übergang „wirklich nicht schwer“.
Geholt wurde er vom damaligen Redaktionsleiter in Kempten, Uli Hagemeier. Die Redaktion sollte digitaler arbeiten, nicht mehr das Digitalgeschäft in eine Tochtergesellschaft auslagern. Und so stieß Borowski auf ein kleines Team, das bis dato das Freizeitportal Allgaeu.life betreut hatte und mit den Hufen scharrte, um endlich durchzustarten. Neue technische Strukturen, Workflows, Themen und Geschäftsmodelle, der Start von allgäuer-zeitung.de als Markenportal und die Weiterentwicklung von all-in.de zum Reichweitenportal: All das hätten sie (sic!) gemeinsam geschaffen.
So war es eine Teamleistung, als in diesem November mit dem zweiten Website-Relaunch die nächste Transformationsstufe gezündet wurde: Als zweiter Standort in der Mediengruppe nutzt die Allgäuer Zeitung das Redaktionssystem CUE. Wie alle Häuser versuchten auch sie, die Editor*innen von den Reporter*innen besser zu trennen, „also den Kollegen bei der Blattplanung den Rücken freizumachen, damit sie sich wieder als Reporter fühlen können“, erklärt Borowski. Klar falle manchen der Abschied schwer, aber er müsse sein. „Wir wollen Ballast abwerfen, um uns für die Menschen da draußen noch gezielter und intensiver um relevante Inhalte kümmern zu können.“
Das verlagsübergreifende Großprojekt trägt den Titel „Gemeinsames Publizieren“ und weckt die Befürchtung, dass die Zeitungen in Augsburg, Würzburg, Konstanz und Kempten inhaltlich noch enger aneinanderrücken. Tatsächlich ist Einsparen von Zeit und Ressourcen das Ziel. Borowski macht es an einem Beispiel deutlich: „Wir streben auf Neuwahlen zu. Anstatt dass jede Lokalredaktion für sich den Infokasten ,So laufen Neuwahlen ab‘ erstellt, wird dieser Inhalt einmal zentral gemacht.“ Auch bei SEO-Inhalten nutzten sie „die Kraft der gegenseitigen Verlinkung“.
Die Frage, ob sich da in ihm nicht der Presse-Ethiker regt, der auch auf den Erhalt von Medienvielfalt schaut, muss man ihm natürlich stellen. Borowski antwortet mit einer Gegenfrage: „Na ja, dann hätte man vor 60 Jahren die dpa abschaffen müssen, oder?“ Das sei doch letztlich das Prinzip von Medienverbünden: „Es gibt eine Zentralredaktion, die sich um Inhalte kümmert, die nicht 15 Mal neu erfunden werden müssten. So kann sich jede Redaktion um das kümmern, was sie am besten kann. Das ist bei uns der lokale Journalismus.“
Dieser Artikel erschien zuerst im BJVreport 5/2024
Warum ich im BJV bin
„Ich bin als Volontär eingetreten, weil mein damaliger Ausbilder gesagt hat: Es ist wichtig, im BJV zu sein, weil er für Pressefreiheit kämpft und für die Rechte von Journalistinnen und Journalisten. Und weil es da guten Austausch untereinander gibt. Das sind die Punkte, die ich bis heute so wahrnehme. Und als ich vor gut zehn Jahren einmal wegen einer Berichterstattung auf meiner privaten Webseite abgemahnt wurde, hat mich die BJV-Rechtsabteilung unterstützt – den Fall haben wir dann auch gewonnen.“ - Sascha Borowski