Recherchen, „die nicht mal einfach so vom Schreibtisch aus zu erledigen sind“
BJV bei den Medientagen München 29.10.2010 - Jonas Miller
Jonas Millers investigative Recherchen ziehen sich oft über Wochen, die Verflechtungen der süddeutschen Neonazi-Szene mit dem NSU-Umfeld untersucht er seit mittlerweile drei Jahren
Bei den Münchner Medientagen erzählte Jonas Miller, FG Junge Journalist*innen im BJV, über seine investigative Arbeit
Ja, nervenaufreibend und ermüdend seien investigative Recherchen manchmal. Wenn man seit Wochen an einer Geschichte sitze; wenn man an einer Stelle nicht weiterkomme. Und trotzdem liegt für Jonas Miller ein großer Reiz in seiner investigativen Arbeit. Dann zum Beispiel, wenn sich viele einzelne Informationen wie ein Puzzle zusammenfügen; wenn er im Idealfall Missstände an die Öffentlichkeit bringt; „wenn man am Ende doch etwas erreicht“.
„Im Trüben fischen“
Bei „Start into Media“, dem diesjährigen Aus- und Weiterbildungsbereich der Münchner Medientage, erzählte Miller, stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe Junge Journalist*innen im BJV, in einem Webinar unter dem Stichwort „Im Trüben fischen“ über seine investigativen Recherchen.
Miller arbeitet als Nachrichtenjournalist sowie Reporter für den Bayerischen Rundfunk und als Autor für ZEIT ONLINE. Er recherchiert zu sozialen Bewegungen, Corona-Leugnern, Innerer Sicherheit oder Terrorismus. Sein Spezialthema sind rechtsextreme Strukturen, deren Agitation und ihre Netzwerke.
Informationen von Whistleblowern
Im „Start into Media“-Webinar erzählte der Journalist von „sehr aufwändigen, langen Recherchen, die nicht mal einfach so vom Schreibtisch aus zu erledigen sind“. Miller pflegt Netzwerke, bekommt so immer wieder Informationen zu möglichen Missständen zugesteckt, auch von Whistleblowern.
„Man muss den Leuten die Möglichkeit geben, sich anonym und verschlüsselt mit einem in Verbindung zu setzen“, empfahl er. Er treffe sich mit Informanten, hole weitere Stimmen für einen Abgleich ein: Wurde eine Information interessensgesteuert zugespielt oder steht tatsächlich ein Missstand dahinter?
Und Miller spricht auch mit den Menschen, die wenig Interesse daran haben, dass bestimmte Themen veröffentlicht werden. Da käme es durchaus vor, dass man mit Unterlassungsklagen noch vor Veröffentlichung konfrontiert werde.
Medienübergreifende Zusammenarbeit
In Kooperation mit den Nürnberger Nachrichten hat der BR ein investigatives Rechercheteam gegründet, das sich insbesondere mit der rechtsextremen Terrorzelle NSU und deren Verstrickungen nach Süddeutschland beschäftigt. Diesem gehört Miller an. „Die medienübergreifende Zusammenarbeit ist extrem wichtig“, sagte er.
Zudem erstellte der Journalist unter anderem für den NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages ein Gutachten über die nordbayerische Neonazi-Szene und deren Verflechtungen mit dem NSU-Umfeld.
Undercover bei rechten Szeneevents
Nicht immer ist Jonas Millers Arbeit ungefährlich, vor allem, wenn er Undercover bei rechten Szeneevents recherchiert. 2019 etwa war er mit einem Kollegen bei einem solchen in Norditalien. Mehrere 1000 Nazis aus ganz Europa waren vor Ort. „Wir haben aus dem Auto heraus gefilmt“, erzählte er, „mehrfach waren wir kurz davor aufzufliegen.“ Polizei, die die Journalisten im Ernstfall geschützt hätte, war nicht vor Ort.
In solchen Fällen müsse man immer abwägen, sagte der Journalist. Anfeindungen per E-Mail, in sozialen Netzwerken oder auch per Post sieht Miller recht gelassen: „Man wird nicht als Mensch, sondern als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angefeindet.“
Fingierte Todesanzeige im Netz
Allerdings reichten in seinem Fall die Anfeindungen weiter: Über einen zugespielten Link gelangte Jonas Miller eines Tages zu seiner eigenen, fingierten Todesanzeige. In seinem direkten Wohnumfeld wurden Plakate mit Drohungen aufgehängt. Und bereits vor einem Jahrzehnt zündeten Rechtsextreme vor seiner Haustür sein Auto an.
Er erstatte immer Anzeige, meistens gegen Unbekannt, sagte Miller, die Polizei und die Sicherheitsbehörden seien hier die richtigen Ansprechpartner. Wer mit Unterlassungserklärungen konfrontiert werde, könne zudem als Mitglied die Rechtsberatung des Bayerischen Journalisten-Verbands in Anspruch nehmen.
Adresse bei Meldebehörden gesperrt
Man müsse bestimmte Sicherheitsvorkehrungen treffen, betonte der BR-Reporter zudem. Er habe seine Adresse bei den Meldebehörden gesperrt, auch stehe sein Name nicht am Klingelschild. „Man muss immer schauen, dass das persönliche Leben nicht unter den Einschüchterungsversuchen von Rechtsextremen leidet“, ergänzte er.
Von Kolleg*innen lernen
Und wie wird man investigativer Journalist? Jonas Miller hatte zunächst Journalistik studiert, allerding habe es in der Ausbildung kein Modul zur investigativen Recherche gegeben. Seine Empfehlung: Praktika nutzen, um zu lernen, wie Kolleg*innen mit Informationen umgehen, Interviews führen, recherchieren.
Die investigative Recherche habe ihn immer schon interessiert. In Politikmagazinen habe er vor allem Geschichten gelesen, „die darüber hinausgehen, Background haben und Missstände an die Öffentlichkeit bringen.“ Hinzu kam: Schon zu Schulzeiten habe er sich am Gymnasium gegen Rechtsextremismus engagiert.
Später sprach bei „Start into Media“ zudem Bernd Oswald, Mitglied des Faktenfuchs-Teams bei BR24 und Journalistentrainer, im Auftrag des BJV unter dem Motto „Was ist echt und was ist Fake?“ über den Einstieg ins Fact Checking.
Michaela Schneider
Weitere BJV-Webinare bei Start into Media“ auf den Medientagen München
- Chancen für Quereinsteiger und Online-Journalisten mit Michael Busch und Thomas Mrazek, 28.10.2020
- „Was bei den Münchner Medientagen vor Ort möglich war, geht auch digital“ mit Aileen Gonda, 26.10.2020