Slapp-Klagen: Juristische Störfeuer
Teilnehmer an der Diskussion zu Slap-Klagen im Münchner Presseclub
Diskutierten über Slap-Klagen (v.l.): Dr. Renke Deckarm, Verena Nierle, Martin Schippan, Uwe Ritzer und Jürgen Schleifer (Moderator)
Wie strategische Klagen investigative Journalist*innen einschüchtern sollen
Der Wirtschaftskorrespondent und Investigativreporter Uwe Ritzer und sein Kollege Markus Balser berichteten 2013 in der Süddeutschen Zeitung über „dubiose Deals“ des fränkischen Unternehmens Solar Millenium.
Der Unternehmer Kuhn habe Insiderhandel betrieben und gegen sein eigenes Unternehmen gewettet, berichtete die SZ. Aufgrund eines verpassten Deals mit einem Schweizer Investor forderte Kuhn von Ritzer, Balser und der Süddeutschen Zeitung 78,5 Millionen Euro Schadensersatz. Kuhn klagte und verlor bisher in zwei Instanzen, zuletzt im Februar 2021 (siehe BJV.de) nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden.
Unter anderem diesen Fall nahm der BJV zum Anlass, eine Diskussionsrunde „Strategische Klagen gegen Journalist*innen“ anzubieten. Im PresseClub München diskutierten neben Ritzer auf Einladung des BJV-Bezirksverbands München – Oberbayern Dr. Renke Deckarm, stellvertretender Leiter und Pressesprecher der Vertretung der EU-Kommission in München, die Journalistin Verena Nierle, Bayerischer Rundfunk, und Dr. Martin Schippan, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Jürgen Schleifer, Redakteur BR Landespolitik, moderierte die Runde. Wegen der Corona-Beschränkungen konnten nur 25 Teilnehmer*innen die Diskussion im Presseclub anschauen, die Kolleg*innen boten jedoch zusätzlich einen Livestream an.
Slapp-Klagen als europäisches Phänomen
So eine Klage mit riesiger Schadensumme gegen Journalist*innen nennt sich „Slapp“-Klage (engl. strategic lawsuit against public participation = Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung; engl. slap = Ohrfeige, Schlag ins Gesicht). „Das Ziel einer Slapp-Klage ist es, Einfluss auf die Presse zu nehmen, die Presse einzuschüchtern, und damit darauf hinzuwirken, dass keine Berichterstattung mehr passiert”, erläuterte Rechtsanwalt Martin Schippan. Slapp-Klagen seien in Deutschland seltener, im europäischen Ausland häufiger. Das liege an den unterschiedlichen Rechtssystemen.
47 Klagen gegen Daphne Caruana Galizia
Der Pressesprecher der Vertretung der EU-Kommission in München, Dr. Renke Deckarm, erklärte im Presseclub München, dass die Pressefreiheit in der Europäischen Union durch Slapp-Klagen gefährdet sei. Gerade in Ländern wie Kroatien oder Italien, in denen es regelmäßig zu Klagen gegen Journalist*innen kommt, etwa durch die Mafia.
Als in Malta am 16. Oktober 2017 eine Autobombe Daphne Caruana Galizia (s.a. Wikipedia) tötete, liefen 47 Klagen gegen die Journalistin. Solchem pressefeindlichen Vorgehen möchte die EU-Kommission entgegenwirken. Da die Kommission keine direkte Gesetzgebungskompetenz für das Recht hat, werden Empfehlungen ausgesprochen, um bei den Mitgliedsländern ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen oder beispielsweise Richtlinien erlassen, erläuterte Deckarm.
Eine schriftliche Dokumentation „EU-Maßnahmen zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren (SLAPP-Klagen)“ findet sich auf der Website der EU-Kommission.
Drohungen verhindern Berichterstattung
Aber auch im Kleinen sind die Probleme sichtbar, denn nicht erst die tatsächliche Klage, sondern bereits die Androhung einer Klage vor der Berichterstattung könne sich negativ auf die Pressefreiheit auswirken. Dann nämlich, wenn kleinere Verlage, die sich keinen größeren Rechtsstreit leisten können, von einer Berichterstattung absehen. Ritzer sieht eine negative Entwicklung: „Das Problem ist größer geworden. Die Schwelle zu klagen um bereits im Vorhinein die Berichterstattung zu torpedieren, ist im Laufe meiner 30 Berufsjahre gesunken“.
Blackbox Schufa
Und auch die „Tricks und Spielchen“ nehmen zu, sagte Verena Nierle, Teamleiterin Recherche und Data beim Bayerischen Rundfunk. „Bei einer Recherche zur Schufa, gemeinsam mit dem Spiegel, haben wir das Unternehmen konfrontiert und erhielten als Antwort eine zehn Seiten lange Stellungnahme zurück. Uns wurde gesagt, wir dürften nicht Teile daraus zitieren, sondern müssten die ganze Stellungnahme veröffentlichen, sonst wäre es rechtswidrig“, berichtete die BR-Journalistin.
Justiz und Konfrontation
Rechtsanwalt Schippan erklärte, dass vor einer Verdachtsberichterstattung die Konfrontation der gegnerischen Seite mit dem erhobenen Vorwurf nie fehlen dürfe: „Sonst ist das ein Faktum, das mir als Anwalt jegliche Verteidigungsmöglichkeit abschneidet.“ Ein weiterer wichtiger Tipp: Beweise, Dokumente müssen akribisch mindestens bis Ende des Jahres und dann noch drei Jahre aufgehoben werden.
Bis es zu einer Verhandlung kommt, kann es Jahre dauern. Auch „die Unterbesetzung der Justiz“ habe negative Auswirkungen auf die Pressefreiheit, merkte Ritzer an. Gerade wenn man so eine Millionenklage jahrelang mit sich rumschleppt”, sagte der Journalist. „Das hält einen einfach von der Arbeit ab: Schriftsätze, Telefonate, Treffen. Da ist ein Tag schneller vorbei als man denkt“.
Mehr Solidarität unter Medien gefordert
Doch wie kann man sich wirksam gegen strategische Klagen wehren? Nierle sieht eine Lösung in der Solidarität verschiedener Medien, wie es etwa das Beispiel von „forbidden stories“ zeige: „Wenn ein Medium eine Recherche aufgeben muss, stehen andere Redaktionen bereit, diese Arbeit zu übernehmen. So lässt sich die Geschichte nicht einfach aus der Welt schaffen“.
Ritzer hätte sich in seinem Fall auch mehr Solidarität gewünscht. Bis auf zwei Ausnahmen hätten Medien nicht berichtet, sondern abgewartet, bis das erste Urteil feststand.
Daniel Hinz/mgo/tm
Weitere Informationen
- Übermedien/Holger ruft an (Podcast, 21:11 Minuten): Wie gehen Journalisten mit Einschüchterungsklagen um?
- Livestream des Presseclubs München auf Youtube (1 Stunde, 18 Minuten)
- BJVreport 2/2018: „Rachefeldzug oder geplatzter Mega-Deal“, blätterbare / PDF-Version mit vier Regeln zur Verdachtsberichterstattung.