Viele Herausforderungen, praktische Lösungen
Abbildung eines Sandwiches und der Vortragenden Barbara Brodnig
Was es mit dem „Truth Sandwich“ im Kampf gegen Verschwörungsmythen auf sich hat, erklärte die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig
„Die Digitaldenker:innen – Journalismus gemeinsam gestalten“, lautete das Motto der DJV-Tagung Besser Online
„Eine ganze Menge Menschen wartet darauf, dass jemand anderes die Zukunft erfindet“: Mit diesem Satz brachte Lina Timm, Gründerin und Managing Director des Media Lab Bayern, bei der Tagung Besser Online recht kernig ein zentrales Problem der deutschen Medienbranche auf den Punkt.
Umso schöner, dass der Kongress des DJVs unter dem Motto „Die Digitaldenker:innen – Journalismus gemeinsam gestalten“ in zahlreichen Panels eben jene Menschen in den Mittelpunkt rückte, die die Herausforderungen der Branche praktisch anpacken. Im Folgenden ein Besuch in vier digitalen Räumen.
Einspruch! Verschwörungsmythen kontern
Für die Keynote hatte das DJV-Besser Online-Team (u.a. mit den Fachausschuss-Mitgliedern Thomas Mrazek und Eva Werner) heuer die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig gewonnen. Für ihr Buch „Hass im Netz“ hatte sie den Bruno-Kreisky-Sonderpreis für das politische Buch bekommen. Zuletzt erschien ihr fünftes Buch „Einspruch! Fake News und Verschwörungsmythen kontern”.
Verschwörungsmythen signalisierten, man könne sein Leben fortsetzen wie bisher – das wirke verlockend, sagte die Autorin. Sie lieferten schlüssig scheinende Erklärungen der Welt, gäben Kontrolle zurück und das Gefühl, Teil einer erleuchteten Minderheit zu sein. Wie aber lässt sich Einspruch erheben, wenn etwa im eigenen Umfeld Verschwörungsmythen kursieren?
In einem Vortragssprint lieferte Brodnik Antworten. Weil Vertrauenswürdigkeit einen größeren Stellenwert habe als Expertise, empfahl sie, beim Argumentieren Quellen heranzuziehen, denen der Adressat noch glaube.
Entlarvt: Fragen, die gezielt Misstrauen säen
Sie appellierte an die Kollegen, bei gezielten Attacken auf Personen wie etwa Christian Drosten keinesfalls aufzuspringen wie etwa BILD, sondern den Schulterschluss zu zeigen, um Mindeststandards zu verteidigen. Brodnik empfahl, in Sozialen Medien für Mitlesende rhetorische Mittel zu erklären wie etwa „Loaded Questions“. Dabei handelt es sich um Fragen, die gezielt Misstrauen säen, ohne den eigentlichen Vorwurf konkret auszusprechen.
Und, um Falschem nicht zu viel Raum zu geben, riet sie zum „Truth Sandwich“: Man sollte mit dem Richtigen einsteigen, dann erklären, warum eine Aussage falsch ist und mit dem Richtigen aus dem Text rausgehen. Zu Vorsicht riet sie gerade auch bei Überschriften: Wer Falsches verneine, halte den Vorwurf dennoch am Leben. Schreiben sollte man, was richtig ist.
Im Kongo und Belarus unter Druck
Auf Journalist*innen unter Druck blickte Miriam Leunissen, Vorsitzende des BJV-Bezirksverbands Augsburg – Schwaben sowie stellvertretende Vorsitzende der DJV-Kommission Europa, gemeinsam mit der belarussischen Exil-Fotojournalistin, Youtuberin und Bloggerin Violetta Savchits sowie der ehemaligen SZ-Redakteurin Judith Raupp, die inzwischen seit mehr als einem Jahrzehnt im Kongo Journalist*innen ausbildet.
Sehr ähnlich klang der Appell, mit dem sich die Beiden an deutsche Kolleg*innen wandten. „Berichtet über die Situation hier“, bat Judith Raupp. Darüber, dass sich jede Nacht Massaker ereigneten; darüber, dass nach dem Vulkanausbruch im Mai etliche Menschen alles verloren und in dieser Situation auch von NGOs allein gelassen wurden. Informationen zu verbreiten über die Situation in Belarus sei der wichtigste Weg, um die Menschen zu unterstützen, betonte auch Violetta Savchits.
Unsichere Zeiten als Startup-Booster
Wo geht die Reise hin? Wie wird Journalismus zukunftsfähig? Diesen und weiteren Fragen von Moderator Johannes Meyer stellten sich in einem Panel Lina Timm, Gründerin und Managing Director des Media Lab Bayern, sowie Maximilian Nowroth, Wirtschaftsjournalist und Gründer des YouTube-Kanals „WasMitWirtschaft“.
Als sie 2015 das Konzept fürs Media Lab Bayern geschrieben habe, gab es nahezu keine Journalismus-Start-ups, erinnerte sich Lina Timm. Seither habe sich wahnsinnig viel getan – und gerade auch die letzten eineinhalb Jahre Pandemie hätten einen weiteren Schub bewirkt, nach dem Motto: „Wenn die Zeiten eh schon unsicher sind, ist’s egal, dann kann ich auch noch ein Start-up gründen.“
Das Media Lab Bayern unterstützt Gründer*innen dabei mit verschiedenen Fellowships, die sich – je nachdem – an Menschen mit einer ersten Idee, an Start-up-Teams mit Prototyp oder auch an Alumni des Media Labs wenden.
Team suchen, Strukturen schaffen
Maximilian Nowroth gab angehenden Gründer*innen, aufgehängt an seinen praktischen Erfahrungen, mehrere Ratschläge mit auf den Weg. Anfangs habe man die rosarote Brille auf; es sei aber schwer, anschließend allein die Motivation hochzuhalten.
Raten würde er deshalb zu einer Teamgründung. „Ich kann sehr empfehlen, Strukturen zu schaffen“, betonte er zudem. Und: „Es ist total wichtig, sich nicht zu lange einzubuddeln.“ Er selbst startete deshalb sehr schnell bei Insta, um rasches Feedback der Nutzer*innen zu erhalten.
Der Gesellschaftsspaltung begegnen
Medienwissenschaftlerin trifft Mediennerd: So umschrieben die Moderator*innen Thomas Mrazek, Vorsitzender der BJV-Fachgruppe Online, und Eva Werner das Panel „Welche Aufgabe hat der Journalismus in Zeiten der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft?“, bei dem Marlis Prinzing und Daniel Bouhs aufeinandertrafen. 2009 wurde Prinzing als Professorin für Journalistik an die Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Köln berufen; Bouhs berichtet über Medienunternehmen, Journalismus, Medien- und Netzpolitik – für TV, Radio, Print und Online.
Prinzing nahm kein Blatt vor den Mund: Medien würden helfen, dass sich Querdenker als Märtyrer inszenieren können, indem ihnen eine entsprechende Plattform geboten wird. Es sei zwar Aufgabe, über Konflikte zu berichten, aber nicht zu sensationalisieren. „Medien tragen dazu bei, dass sich die Grenzen dessen, was gesagt werden darf, verschieben“, kritisierte die Medienwissenschaftlerin. Bouhs riet zudem zu mehr Transparenz: „In vielen Medien ist zu kurz gekommen zu erklären, warum man bestimmte Leute nicht hört.“
Mehr Transparenz, mehr Medienkompetenz, mehr Medienkritik
Wie aber kann man der Spaltung der Gesellschaft als Journalist*in begegnen? Prinzing und Bouhs hoben von Medienunternehmen initiierte Dialogplattformen wie das Zeit Online-Projekt „Deutschland spricht“ als positive Beispiele hervor, um zum gesunden Diskurs beizutragen; sie rieten zu noch mehr Transparenz, wie Journalist*innen arbeiten; sie forderten Medienkompetenz stärkende Projekte nicht nur im Schulunterricht, sondern quer durch alle Altersgruppen; sie wünschten sich mehr konstruktive Medienkritik im Stile von Formaten wie ZAPP.
Und: Medienunternehmen hätten keine andere Wahl, als sich mit neuen Finanzierungsmodellen des Journalismus‘ zu beschäftigen. „Journalismus ist das Rückgrat jeder demokratischen Gesellschaft. Wir können es uns nicht leisten, dass er erodiert“, sagte Prinzing.
Michaela Schneider
Videos der einzelnen Panels
In den kommenden Tagen finden Sie auf der DJV-Youtube-Seite die Videos der meisten Panels (Programmübersicht). Wir weisen Sie – u.a. in unserem Newsletter und natürlich hier – dann darauf hin.
Besser Online 2022
Der DJV-Vorsitzende Frank Überall kündigte in seiner Abschlussrede die nächste Besser Online-Tagung an: Sie wird am Samstag, 17. September 2022 stattfinden.