Mitglied werden

BJVreport

Warum verlassen so viele Top-Leute die SZ?

19.08.2024
Artikel aus dem BJVreport von
Senta Krasser

Das Leitmedium des Qualitätsjournalismus muss sparen. Es gehen aber auch die, die es nicht müssten.

Auch wenn die Meinungen auseinandergehen, ob die Geschichte über das antisemitische Pamphlet, das Hubert Aiwanger geschrieben haben soll, wirklich die beste des Jahres gewesen ist: Die Verleihung des Stern-Preis Anfang Juni in Hamburg an das Autorenteam der Süddeutschen Zeitung (siehe S. 4 im BJVreport 3/2024) war eine selten gewordene Gelegenheit, um sich und die eigene Zeitung zu feiern. Schließlich überwogen zuletzt die schlechten Nachrichten aus dem Glasturm.

Da war die Meldung im April, dass bis Ende des Jahres 30 von 500 redaktionellen Stellen entfallen sollen, weil die gedruckte Auflage stärker zurückgegangen sei als erwartet. Zwar beschwichtigte der Mehrheitseigentümer Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), dass betriebsbedingte Kündigungen nicht geplant seien, sondern auslaufende Verträge nicht verlängert würden und man sonst auf „natürliche Fluktuation“ und Altersteilzeit setze. Aber die Hiobsbotschaft war klar: Die SZ muss sparen. Bereits 2020 gab es ein „Effizienzprogramm“. Damaliges Verlagsziel: minus 50 Stellen.

Verschlankt sich die SZ personell noch mehr, befürchten BJV und Verdi nicht nur Auswirkungen auf die Qualität des Journalismus, sondern auch eine Arbeitsverdichtung für diejenigen, die noch an Bord sind. Sie müssen zusätzlich auf die festen Freien als redaktionelle Hilfskräfte verzichten, seit die SZ Compliance Regeln durchsetzt und Pauschalen gekürzt oder gestrichen hat (BJVreport 2/2024). Und weil die Sekretariate und die Bildredaktion stark eingedampft wurden, müssen jetzt Schreiber Organisatorisches erledigen wie Bildrechte klären und Reisen buchen, sofern sie überhaupt noch reisen dürfen. Die Ressorts müssen mit 15 bis 20 Prozent weniger Budget auskommen.

Die ökonomisch angespannte Lage mag nicht allein ursächlich sein, hat aber einen Trend in Gang gesetzt: Das Leitmedium des Qualitätsjournalismus verlassen auch viele Leute, die es nicht müssten und eigentlich auch nicht sollten, weil sie blattprägend sind, innovativ und engagiert.

Den Anfang machten im Frühjahr 2022 die Investigativ-Koryphäen Bastian Obermayer und Frederik Obermaier („Panama Papers“), die ihr eigenes Unternehmen paper trail media gründeten. Es folgten: die politische Edelfeder Nico Fried und die CvD Iris Spiegelberger (beide zum Stern), der Automobilexperte Max Hägler (Zeit) sowie die Auslandskorrespondenten Christoph Giesen, Nadia Pantel (beide Spiegel) und Isabel Pfaff (zum SRF).

Besonders auffällig und jung ist der Braindrain im Feuilleton: Die Ko-Leiterin Laura Hertreiter (40) wechselt zum 1. September in gleicher Position zur Zeit und nimmt mit Nele Pollatschek (36) und Marlene Knobloch (30) Talente mit, die genauso für den filouhaften SZ-Sound stehen wie Cornelius Pollmer (40), der ab Januar die Zeit im Osten leitet. Bereits im April wechselte Medienredakteurin Anna Ernst (35) als Chefreporterin zu Medieninsider. Auch in der Politik sind die aktuellen Abgänge schmerzhaft: Die innenpolitische Reporterin Leila al-Serori (35) wechselt zum Handelsblatt und Dunja Ramadan (33) mit ihrer Nahost-Expertise zum Spiegel.

Zu ihren Wechselgründen sagt Al-Serori gegenüber dem BJVreport, dass sie die SZ nach wie vor für eine „tolle Zeitung“ halte, „auch wenn gerade alles etwas schwierig ist“. Sie freue sich nun auf die Ressortleitung beim Handelsblatt, das „digital innovativ und auch bei der Führungskultur sehr weit“ sei. Ramadan sagt, dass sie „im Großen und Ganzen zufrieden“ gewesen, aber jetzt gespannt sei auf „das andere Arbeiten beim Spiegel, weg vom täglichen Rhythmus, ohne Redaktionsdienste und regelmäßige Redigieraufgaben, mehr Zeit für große Recherchen“. Ausschlaggebend war für sie eine abgesprochene Korrespondentenstelle ab Ende 2025.

Daraus lässt sich herauslesen, was auch andere Abgänger beklagen: Bei der SZ sind nicht nur die Arbeitsbedingungen schlechter als in anderen Häusern, es mangelt auch an strategischer Personalführung und Perspektiven gerade für die Jüngeren mit den nicht mehr so üppigen Verträgen.

Nachhaltig drückend wirkt sich auf die interne Stimmung derweil die „Maulwurf-Affäre“ aus: Infolge der in Medieninsider enthüllten Plagiatsvorwürfe gegen Vize-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid ließ die SZ-Spitze die gesamte Redaktion digital durchleuchten auf der Suche nach dem Informanten. Föderl-Schmid ist seit Februar außer Dienst. Auf Nachfrage, wann und ob überhaupt sie zurückkehrt, teilt ein SWMH-Sprecher mit: Es gebe „keinen neuen Sachstand bzw. noch keine Entscheidungen“.*

Dieser Artikel erschien zuerst im BJVreport 3/2024.

* Nach Druck dieser Ausgabe des BJVreports teilte die SWMH in einer Pressemitteilung vom 25.07.2024 mit, dass Alexandra Föderl-Schmidt im September als Nachrichtenchefin zur SZ zurückkehrt.

Weitere Artikel im BJV-Blog

BJV-Geschäftsstelle
BJV-Geschäftsstelle

20.12.2024

Weihnachtsgrüße

Der BJV wünscht schöne Feiertage. Bitte beachtet die Öffnungszeiten zum Ende des Jahres.

Mehr
BJVreport
BJVreport

19.12.2024

Interview: „Es gibt keinen sicheren Ort für Journalisten“

Der Vorsitzende des ukrainischen Journalistenverbands Sergiy Tomilenko spricht über die Situation der Kolleg*innen in der Ukraine. Der BJV ruft zu Spenden für ukrainische Lokalzeitungen auf.

Mehr
Freie Journalist:innen
Freie Journalist:innen

18.12.2024

Tipps zum Altersvorsorge-Zuschuss der VG Wort

Viele wissen nichts von diesem Zuschuss bis zu 10.000 Euro – Jetzt Antrag stellen!

Mehr
BJVreport
BJVreport

17.12.2024

Veränderter Fokus - Entwicklungen im Bildjournalismus

Statt klassischer Fotojournalist*innen setzen Redaktionen heute auf „Visual Reporter“ und Multimedia. Die Ausbildung wird breiter.

Mehr
Nachruf
Nachruf

16.12.2024

Karl Stankiewitz mit 96 Jahren verstorben

Ein unnachgiebiger Menschenfreund.

Mehr
Pressefoto Bayern 2024
Pressefoto Bayern 2024

29.11.2024

„Von größter Bedeutung für unsere Demokratie“

Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner lobt die Sieger*innen bei Pressefoto Bayern 2024 – Münchner Fotograf gelingt das Pressefoto des Jahres.

Mehr
Social Media
Social Media

25.11.2024

Der Bayerische Journalisten-Verband verlässt Twitter/X

In Zukunft ist der Verband bei Bluesky zu finden.

Mehr
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

22.11.2024

So kommuniziert der Nürnberger IT-Gigant DATEV

Die BJV Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist zu Gast bei der DATEV eG.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

19.11.2024

Verhandlungsergebnis im BR erzielt: Das sind die Eckpunkte

Das Paket nimmt vor allem die jungen Beschäftigten des BR in den Fokus.

Mehr
Fachgruppe Internationales
Fachgruppe Internationales

14.11.2024

Lokaljournalismus an der Front

Auf Einladung des BJV erklärt Sergiy Tomilenko im PresseClub München, wie es um unabhängige Medien und die Pressefreiheit in der Ukraine steht.

Mehr
München-Oberbayern
München-Oberbayern

13.11.2024

Neues Vorstands-Team für Oberbayern

Der BJV-Bezirksverband München-Oberbayern verabschiedet seine Vorsitzende Marlo Thompson und wählt einen neuen Vorstand.

Mehr
Deutscher Journalisten-Verband
Deutscher Journalisten-Verband

12.11.2024

Impressionen vom DJV-Verbandstag in Ingolstadt

Rund 200 Delegierte, 45 davon vom BJV, trafen sich zum Bundesverbandstag des DJV in Ingolstadt und feierten das 75-jährige Jubiläum des DJV.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

08.11.2024

10. Verhandlungsrunde: Bereitschaft - Enttäuschung - Hoffnung?

Nur wenig Bewegung beim BR

Mehr
Fachgruppe Chancengleichheit
Fachgruppe Chancengleichheit

06.11.2024

Resilenz-Tools im Gepäck

Das „Work & Well“-Wochenende der Fachgruppe Chancengleichheit des Bayerischen Journalisten-Verbandes im Tiroler Oberndorf.

Mehr
BJVreport
BJVreport

04.11.2024

Künstliche Intelligenz in Redaktionen - Mit Algorithmen zur besseren Geschichte?

Die Automatisierung im Journalismus nimmt an Fahrt auf – doch der Mensch bleibt unverzichtbar.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

03.11.2024

Warnstreikaufruf Bayerischer Rundfunk 04.11.

Wir bestreiken den Bayerischen Rundfunk ab Montag, den 04.11.2024, von 03:30 Uhr bis Dienstag, den 05.11.2024, 03:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr
Journalistenpreis
Journalistenpreis

31.10.2024

Presseclub Regensburg ehrt zwei hervorragende Journalist*innen

Der Eberhard-Woll-Preis des PresseClubs Regensburg geht in diesem Jahr an die Viechtacher Daniela Albrecht und Alexander Augustin.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

20.10.2024

Warnstreikaufruf Bayerischer Rundfunk

Wir bestreiken den Bayerischen Rundfunk ab Montag, den 21.10.2024, von 03:30 Uhr bis Dienstag, den 22.10.2024, 03:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr
BJVreport
BJVreport

18.10.2024

Wirtschaftsjournalismus - „Es geht nicht um dröge Zahlen“

Gute Regionaljournalist*innen arbeiten heraus, wie Wirtschaftsthemen das Leben der Menschen vor Ort beeinflussen.

Mehr
BR-Tarif 2024
BR-Tarif 2024

01.10.2024

8. Verhandlungsrunde: Wieder nichts!

Der BR geht keinen Schritt in unsere Richtung.

Mehr