BJVreport
Warum verlassen so viele Top-Leute die SZ?
Artikel aus dem BJVreport von
Senta Krasser
Das Leitmedium des Qualitätsjournalismus muss sparen. Es gehen aber auch die, die es nicht müssten.
Auch wenn die Meinungen auseinandergehen, ob die Geschichte über das antisemitische Pamphlet, das Hubert Aiwanger geschrieben haben soll, wirklich die beste des Jahres gewesen ist: Die Verleihung des Stern-Preis Anfang Juni in Hamburg an das Autorenteam der Süddeutschen Zeitung (siehe S. 4 im BJVreport 3/2024) war eine selten gewordene Gelegenheit, um sich und die eigene Zeitung zu feiern. Schließlich überwogen zuletzt die schlechten Nachrichten aus dem Glasturm.
Da war die Meldung im April, dass bis Ende des Jahres 30 von 500 redaktionellen Stellen entfallen sollen, weil die gedruckte Auflage stärker zurückgegangen sei als erwartet. Zwar beschwichtigte der Mehrheitseigentümer Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), dass betriebsbedingte Kündigungen nicht geplant seien, sondern auslaufende Verträge nicht verlängert würden und man sonst auf „natürliche Fluktuation“ und Altersteilzeit setze. Aber die Hiobsbotschaft war klar: Die SZ muss sparen. Bereits 2020 gab es ein „Effizienzprogramm“. Damaliges Verlagsziel: minus 50 Stellen.
Verschlankt sich die SZ personell noch mehr, befürchten BJV und Verdi nicht nur Auswirkungen auf die Qualität des Journalismus, sondern auch eine Arbeitsverdichtung für diejenigen, die noch an Bord sind. Sie müssen zusätzlich auf die festen Freien als redaktionelle Hilfskräfte verzichten, seit die SZ Compliance Regeln durchsetzt und Pauschalen gekürzt oder gestrichen hat (BJVreport 2/2024). Und weil die Sekretariate und die Bildredaktion stark eingedampft wurden, müssen jetzt Schreiber Organisatorisches erledigen wie Bildrechte klären und Reisen buchen, sofern sie überhaupt noch reisen dürfen. Die Ressorts müssen mit 15 bis 20 Prozent weniger Budget auskommen.
Die ökonomisch angespannte Lage mag nicht allein ursächlich sein, hat aber einen Trend in Gang gesetzt: Das Leitmedium des Qualitätsjournalismus verlassen auch viele Leute, die es nicht müssten und eigentlich auch nicht sollten, weil sie blattprägend sind, innovativ und engagiert.
Den Anfang machten im Frühjahr 2022 die Investigativ-Koryphäen Bastian Obermayer und Frederik Obermaier („Panama Papers“), die ihr eigenes Unternehmen paper trail media gründeten. Es folgten: die politische Edelfeder Nico Fried und die CvD Iris Spiegelberger (beide zum Stern), der Automobilexperte Max Hägler (Zeit) sowie die Auslandskorrespondenten Christoph Giesen, Nadia Pantel (beide Spiegel) und Isabel Pfaff (zum SRF).
Besonders auffällig und jung ist der Braindrain im Feuilleton: Die Ko-Leiterin Laura Hertreiter (40) wechselt zum 1. September in gleicher Position zur Zeit und nimmt mit Nele Pollatschek (36) und Marlene Knobloch (30) Talente mit, die genauso für den filouhaften SZ-Sound stehen wie Cornelius Pollmer (40), der ab Januar die Zeit im Osten leitet. Bereits im April wechselte Medienredakteurin Anna Ernst (35) als Chefreporterin zu Medieninsider. Auch in der Politik sind die aktuellen Abgänge schmerzhaft: Die innenpolitische Reporterin Leila al-Serori (35) wechselt zum Handelsblatt und Dunja Ramadan (33) mit ihrer Nahost-Expertise zum Spiegel.
Zu ihren Wechselgründen sagt Al-Serori gegenüber dem BJVreport, dass sie die SZ nach wie vor für eine „tolle Zeitung“ halte, „auch wenn gerade alles etwas schwierig ist“. Sie freue sich nun auf die Ressortleitung beim Handelsblatt, das „digital innovativ und auch bei der Führungskultur sehr weit“ sei. Ramadan sagt, dass sie „im Großen und Ganzen zufrieden“ gewesen, aber jetzt gespannt sei auf „das andere Arbeiten beim Spiegel, weg vom täglichen Rhythmus, ohne Redaktionsdienste und regelmäßige Redigieraufgaben, mehr Zeit für große Recherchen“. Ausschlaggebend war für sie eine abgesprochene Korrespondentenstelle ab Ende 2025.
Daraus lässt sich herauslesen, was auch andere Abgänger beklagen: Bei der SZ sind nicht nur die Arbeitsbedingungen schlechter als in anderen Häusern, es mangelt auch an strategischer Personalführung und Perspektiven gerade für die Jüngeren mit den nicht mehr so üppigen Verträgen.
Nachhaltig drückend wirkt sich auf die interne Stimmung derweil die „Maulwurf-Affäre“ aus: Infolge der in Medieninsider enthüllten Plagiatsvorwürfe gegen Vize-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid ließ die SZ-Spitze die gesamte Redaktion digital durchleuchten auf der Suche nach dem Informanten. Föderl-Schmid ist seit Februar außer Dienst. Auf Nachfrage, wann und ob überhaupt sie zurückkehrt, teilt ein SWMH-Sprecher mit: Es gebe „keinen neuen Sachstand bzw. noch keine Entscheidungen“.*
Dieser Artikel erschien zuerst im BJVreport 3/2024.
* Nach Druck dieser Ausgabe des BJVreports teilte die SWMH in einer Pressemitteilung vom 25.07.2024 mit, dass Alexandra Föderl-Schmidt im September als Nachrichtenchefin zur SZ zurückkehrt.