Wer hat Angst vor künstlicher Intelligenz?
Rechtsanwalt Chan-jo Jun spricht zu den Zuhörer*innen, im Hintergrund ist Ralph Bauer zu sehen
KI lässt sich nicht so einfach regeln wie Soziale Netzwerke, weiß Rechtsanwalt Chan-jo Jun
Gemeinsame Info-Veranstaltung des BV Mainfranken und der FG Internationales mit Rechtsanwalt Chan-jo Jun
Am Ende war es wie einst beim Literarischen Quartett: der Vorhang zu und alle Fragen offen. So zumindest lautete das Resümee des mainfränkischen BJV-Bezirksvorsitzenden Ralph Bauer im Anschluss an eine gemeinsame Info-Veranstaltung des Bezirksverbands Mainfranken und der BJV-Fachgruppe Internationales am Donnerstag (27. Juli) in Würzburg. Unter dem Titel „Rette sich, wer kann“ sprach Rechtsanwalt Chan-jo Jun über die Folgen von Hate-Speech und den Einfluss von KI auf den Journalismus.
In die legendäre Glaskugel wollte der als „Facebook-Schreck“ bundesweit bekannte Jurist tatsächlich nicht gucken. Er warnte aber davor, sich auf lineare Fortschreibungen zu verlassen. Wären die Zukunftserwartungen der 1950er-Jahre Wirklichkeit geworden, würden heute alle Autos mit Nuklearantrieb fahren. Offensichtlich sei dies aber nicht eingetreten!
KI kennen lernen und staunen
Sicher war sich Chan-jo Jun hingegen, dass die Künstliche Intelligenz nicht mehr verschwinden werde: „KI geht nicht mehr weg!“ Das Spiel gehe heute anders. Presseleute seien daher gut beraten, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Wer jetzt den Umgang mit KI erlerne, sei in der Zukunft klar im Vorteil. „Machen Sie sich die Maschine schneller zu Nutzen als Ihr Kollege!“, rät Chan-jo Jun, der sich von seiner Würzburger Kanzlei aus schon mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und zuletzt mit Elon Musk angelegt hatte.
Die Frage sei ohnehin, welche Jobs aufgrund Künstlicher Intelligenz in Zukunft verschwinden würden? Ein Chatbot wie Chat GPT etwa sei nach seiner Einschätzung nur für einfache Meldungen geeignet: „Maschinen können nicht mehr als das, was ein Praktikant auch könnte, wenn er genug Zeit hätte.“ Bei komplexen Sachverhalten ließe sich KI kaum einsetzen.
Andererseits verkannte Chan-jo Jun auch nicht, dass in den vergangenen Jahren „die Maschinen besser geworden sind“ – und wohl in Zukunft noch besser werden. Darin sah er eine große Chance für die Anwender. Früher seien im IT-Bereich die Programmierer die Stars gewesen. Dank so genannter Prompts, also konkreter Anweisungen an die KI, sei es heute wesentlich leichter, die Maschine dazu zu bringen, entsprechende Aufgaben zu erledigen.
Die Probe aufs Exempel lieferte Chan-jo Jun unverzüglich nach: er klappte sein Mobiltelefon auf, flüsterte seinen Wunsch nach einem Foto von einer Weinstube mit 20 Besucher:innen ins Mikro – und zeigte nach einigen Minuten vor, was das Programm in seinem Display erzeugt hatte: den holzgetäfelten Innenraum einer Kneipe mit zahlreichen fröhlichen Zechern.
„Lernen Sie die KI kennen und staunen Sie!“ sagte Chan-jo Jun insbesondere an die Adresse der jüngeren Journalistinnen und Journalisten. Die Stärke der Maschine sei ihre Fähigkeit, viele Daten zu verarbeiten. Dies bedeute aber andererseits auch, zurückhaltend mit seinen eigenen Daten umzugehen: „Alles, was digitalisierbar ist, ist Futter für die Krake!“
Politik ist bei KI noch unsicher
Aber was macht eigentlich die Politik mit Blick auf all diese Herausforderungen? Nach Einschätzung Juns weiß man wohl in den Parlamenten noch nicht so recht, wie man mit der Künstlichen Intelligenz umgehen solle.
Unstrittig scheint zu sein, dass die damit zusammenhängenden technischen Entwicklungen rechtlich eingehegt werden müssten. Kein leichtes Unterfangen, wie Jun durchblicken lässt. „Aber nur weil etwas nicht hundertprozentig funktioniert, heißt das nicht, dass es nutzlos ist“, wie das Beispiel der Kennzeichnungspflicht gezeigt habe.
Fortschritte bei Sozialen Medien
Klar dürfte aber auch sein, dass sich die KI nicht so einfach regeln lässt wie Soziale Medien. Beim Umgang mit so genannten Hassreden habe man in den vergangenen Jahren juristisch Boden gutgemacht, sagt Jun. „Seit 2016 haben wir einiges dazugelernt“ – damals hatte der Würzburger Jurist weltweit für Aufsehen gesorgt, als er im Fall Anas Modamani ein Ermittlungsverfahren gegen Mark Zuckerberg und andere Top-Manager wegen Beihilfe zur Volksverhetzung ins Rollen brachte.
Nicht zuletzt der tragische Freitod der österreichischen Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr (siehe auch Juns Video vom 28.07.23: Versagt StA iS Kellermayr?; er erwähnt darin auch diesen Vortrag und die Reaktionen der Journalist*innen auf die KI, 16:51 Min.), die vor ziemlich genau einem Jahr durch anonyme Drohmails in den Suizid getrieben wurde, habe zum Umdenken im Umgang mit Hassmails im Internet beigetragen. Heute sei man sich einig, dass „das Internet ohne Regeln nicht geht“.
Zu Aristoteles‘ Zeiten gab es kein Internet und keine Künstliche Intelligenz. Sein Rat gilt dennoch bis heute: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“
Markus Mauritz
Weitere Informationen:
- BJVreport 01/2023, S. 20 f.: „Wenn es leicht wäre, würde es jeder machen“ – Der Anwalt Chan-Jo Jun kämpft seit acht Jahren vor Gericht gegen Hass im Internet. Morddrohungen und Klagen schüchtern ihn nicht ein
- BJV.de, 27.07.2023: „Konsequent gegen Hass“: BJV ruft dazu auf, Hass im Netz anzuzeigen – „Mit der Beteiligung an der Initiative ‚Konsequent gegen Hass‘ schützen unsere Kolleginnen und Kollegen sich selbst und andere davor, Opfer von Hass und Hetze zu werden“, sagt die stellvertretende BJV-Vorsitzende Andrea Roth.
- journalist 6/2023: „Wir sagen ja zur KI - aber als Werkzeug“
Künstliche Intelligenz ist im Journalismus angekommen. Der DJV sieht Chancen, aber auch Gefahren – und hat ein Positionspapier verabschiedet. Außerdem fordert der Verband eine Vergütung für das sogenannte Text und Data Mining, das automatisierte Auswerten großer Text- und Datenmengen zum Training von Chatbots mit journalistischen Texten und Bildern. DJV-Justiziarin Hanna Möllers erklärt, wie das funktionieren könnte.
- DJV-KI-Stammtisch via Zoom