„Wo Vielfalt in Redaktionen fehlt, fehlt die vielfältige Sicht“
MTMDigitalk Vol. 3 - Sheila Mysorekar
Jim Sengl im Gespräch mit Sheila Mysorekar: Nicht nur von Diversität schwärmen
Bei den dritten #MTMDigitalks ging es um die Debatte um einen strukturellen Rassismus – auch in den Medien
Die Medien und die Rassismus-Debatte: Kurzfristig sei das Thema „in dieser Heftigkeit hochgeploppt“, begrüßte Stefan Sutor, Geschäftsführer der Medien.Bayern GmbH, die Teilnehmer*innen zu den dritten #MTMDigitalks, diesmal unter dem Motto „Relevanz braucht Haltung“.
Nach dem Tod von George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis und den folgenden weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus, entbrannte in Deutschland eine Debatte, dass es keinen normalen Umgang in Medien mit People of Colour gebe.
Geht es um Schwarze Menschen, auch um Einwandererfamilien in dritter oder vierter Generation, geschehe dies meist im Kontext, dass es sich entweder um Menschen handle, denen man helfen müsse, oder aber die als Gefahr wahrgenommen würden.
Medien bestärken Stereotype
Beispiel Islam: Wird über Muslime berichtet, geschieht dies meist in Zusammenhang mit Problemen. Das Alltagsleben der Muslime als zweitgrößter Religionsgemeinschaft im Land neben dem Christentum kommt in Medien kaum vor.
Dadurch bestärken Medien diese Stereotype und tragen zu einem verzerrten Bild der Gesellschaft bei. „Es fehlt an Diversität in Redaktionen“, sah Moderator Jim Sengl vom MedienNetzwerk Bayern beim #MTMDigitalk ein Kernproblem.
Gefordert: Vielfalt – auch in Führungsetagen
Wo stehen wir und wo müssen wir ansetzen? Darüber diskutierte er mit Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Die indodeutsche Kölnerin arbeitete als Journalistin weltweit, derzeit koordiniert sie ein Medienprojekt der Deutschen Welle für den Südsudan.
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen sind ein bundesweiter Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln. „Wir setzen uns für mehr Vielfalt in den Medien ein: Vor und hinter den Kameras und Mikrophonen. An den Redaktionstischen. Und auch in den Planungsstäben, Führungsetagen und Aufsichtsgremien“, heißt es auf ihrer Website.
„Die Welt sieht anders aus“
Ein Viertel der Menschen im Land stammten aus Einwandererfamilien, Journalist*innen mit diesem Hintergrund gebe es nur wenige, sagte Mysorekar, konkrete Daten wurden bislang nicht erhoben. Eine Zahl allerdings fanden die Neuen deutschen Medienmacher*innen immerhin heraus: Unter den Chefredakteur*innen haben gerade einmal sechs Prozent einen Migrationshintergrund. „Wir haben 2020, die Welt sieht anders aus“, sagte die Journalistin.
„Nicht nur davon schwärmen“
Im Mai hatte die Organisation die erste Studie überhaupt zu „Diversity im deutschen Journalismus“ veröffentlicht. Bei der Untersuchung zeigte sich laut Mysorekar: Der Wille zu mehr Diversität sei zwar da, aber konkret werde zu wenig unternommen. „Nicht nur davon zu schwärmen“, forderte sie die Chefetagen auf. Unter anderem mit Mentoringprojekten will die Organisation deshalb Nachwuchs fördern, arbeitet derzeit zudem eine Art Leitfaden für Redaktionen aus.
Ciani-Sophia Hoeder: „Mit eigenen Rassismen auseinandersetzen“
Ciani-Sophia Hoeder, Gründerin von RosaMag, dem ersten Lifestyle-Magazin für Schwarze Menschen und ihre Freund*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (siehe auch „Sagen Sie mal“: „Das N-Wort ist die ultimative Beleidigung“ im BJVreport 2/2020) kritisierte deutlich den deutschen „Betroffenheitsjournalismus“ und verwendete hier den Begriff „Racism Porn“. Rassismus werde in deutschen Medien meist als individuelle Erfahrung gezeigt und als Problem jener Menschen, die davon betroffen sein.
Pseudobetroffenheit aber packe das Problem nicht an der Wurzel an als gesamtgesellschaftliches Problem und ein Konstrukt, das seit Jahrhunderten andauere. Von den Nachteilen der einen Seite, profitiere – wie bei einer Waage – immer die andere Seite, sei es auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, in der Politik oder im Bildungssektor. „Es ist schwer, sich mit den eigenen Rassismen auseinanderzusetzen“, sagte Hoeder.
Für Journalist*innen ein hilfreiches Nachklickwerk: Rosapedia. Hier erklären die Autor*innen Begriffe wie internalisierter Rassismus, Intersektionalität oder People of Color, „damit Schwarze Menschen das nicht immer wieder machen müssen“, wie Ciani-Sophia Hoeder erläuterte.
Tyron Ricketts: Diversität als Normalität zeigen
„Bis der Panther seine Geschichte erzählt, wird die Legende der Jagd immer den Jäger glorifizieren“, ist auf der Website der Film- und Serien-Produktionsfirma Panthertainment zu lesen. Gegründet hat sie der Schauspieler und Musiker Tyron Peter Ricketts, der heute in Berlin lebt. Bei den #MTMDigitalks erklärte er die Idee dahinter. Er selbst sei in Film und Fernsehen immer außen verortet worden, sei nicht der Protagonist im Liebesfilm gewesen, „in dem die Hautfarbe keine Rolle mehr spielte“.
Mit Panthertainment will er alternative Blickwinkel zum vorherrschenden eurozentrischen Narrativ in der Medienwelt bieten und Diversität als Normalität zeigen. Nur 30 Prozent der Menschen weltweit seien weiß, People of Colour stünden trotzdem in Erzählungen kaum im Fokus. Er wolle People of Colour als Hauptpersonen erzählen – „und nicht als den Freund oder den, der als erster stirbt“, sagte Ricketts.
Dunja Ramadan: „Die Leute als Deutsche sehen – und Schluss“
Blick in die Redaktionen: Dunja Ramadan, Absolventin der Deutschen Journalistenschule, arbeitet heute als Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, 2018 erschien ihr Buch „Khalid und das wilde Sprachpferd“. Wie kann gute, diverse Berichterstattung aussehen? Ramadans Ansatz geht mit Panthertainment Hand in Hand: „Die Leute wollen als Protagonisten gesehen werden.“
Ramadan nennt ein Beispiel: Auf einem Magazincover sei eine Frau mit Kopftuch zu sehen gewesen. Im zugehörigen Artikel ging es nicht um den Islam, sondern ums Thema Muttersein. „Die Leute als Deutsche sehen – und Schluss“, forderte sie.
Wakila Ajagbe: Am eigenen Selbstbewusstsein arbeiten
Wie wichtig Diversität in Redaktionen sein kann, machte auch Wakila Ajagbe, Redakteurin beim ProSieben-Starmagazin „red“ an einem Beispiel fest: So sei sie etwa in einem Beitrag über den – keineswegs böse gemeinten – Satz einer Kollegin gestolpert „bei uns im zivilisierten Westen kennen wir das nicht“. People of Colour hätten hier eine andere Sensibilität.
Was sich die junge Frage wünschen würde, wären außerdem mehr Vorbilder: Sie habe hinterfragt, ob sie Journalistin werden wolle – und ob „es da überhaupt in Deutschland einen Platz“ für sie gebe. Hier müssten People of Colour vielleicht auch am eigenen Selbstbewusstsein arbeiten, sagte sie kritisch. Inzwischen ist die junge Frau selbst Vorbild: „Schwarze Mädchen schreiben mir und fragen: Wie hast Du das geschafft?“
Hadija Haruna-Oelker: „Eine Person of Colour verändert nicht eine ganze Redaktion“
Hadija Haruna-Oelker, Autorin, Moderatorin und Redakteurin vor allem für den Hessischen Rundfunk, ergänzte in der Talkrunde: „Eine Person of Colour verändert nicht eine ganze Redaktion. Erst mit mehreren wird das Thema ein Thema.“ Oder, mit anderen Worten: Wo Vielfalt in Redaktionen fehle, fehle die vielfältige Sicht.
Die Professorin Christine Horz, Lehrstuhl Transkulturelle Medienkommunikation an der TH Köln, schaute in dem Zusammenhang auch auf die BBC, die eine Quote eingeführt hatte, um mehr Diversität in Redaktionen zu erreichen – mit Erfolg.
Sham Jaff: „Die Welt nochmal neu evaluieren“
Einen anderen Blick auf die Welt ermöglicht ihren Lesern schon seit 2014 die Nürnberger Bloggerin und Politikwissenschaftlerin Sham Jaff mit ihrem englischsprachigen Newsletter „what happened last week“.
Sie startete ihn eigentlich als eine Art Erklärblog für Freunde und Familie, inzwischen erreicht sie jeden Montagmorgen mehr als 10.000 Menschen aus mehr als 100 Ländern.
Sie greift Themen und Ländern auf, die in klassischen Medien kaum eine Rolle spielen. Erreichen will sie damit auch, „dass wir unsere Vorurteile über Länder oder Volksgruppen nochmal hinterfragen“ und fordert auf „die Welt nochmal neu zu evaluieren, denn sie ist ja ständig im Wandel“.
David Mayonga: „Wir sind einige inzwischen“
Der Musiker und BR-Moderator David Mayonga, Künstlername Roger Rekless, blickte am Ende positiv in die Zukunft: Antirassist zu sein sei tägliche Arbeit, gerade im Rundfunk, es brauche noch einiges an strukturellem Wandel. Aber „Wir sind einige inzwischen (…). Und es ist wunderschön, Teil dieses Prozesses zu sein.“
Michaela Schneider
MTMdigitalks Vol. 3 – Relevanz braucht Haltung – Die Medien und die Rassismus-Debatte