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Erhard Grundl, medienpolitische Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, Harald Stocker, Leiter der BJV-Fachgruppe Rundfunk und BR-Rundfunkrat, BR-Intendantin Katja Wildermuth, Moderator Fabian Sauer (vlnr).
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Benedikt Frank

Fachgruppe Rundfunk

Ein Abend zum dualen Rundfunk

Die Grüne Landtagsfraktion lädt zur Diskussion ein. Harald Stocker vertritt für den BJV die Position der Journalistinnen und Journalisten.

München, 14.11.2022

Eine Sache stand für alle Teilnehmer*innen auf diesem Podium fest: Die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist von Demokrat*innen grundsätzlich nicht infrage zu stellen. Dass diese Selbstverständlichkeit zunächst öffentlich erklärt werden musste, hängt mit einem politischen Plakat zusammen, auf das nun die Grüne Landtagsfraktion mit einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „BR, ARD und ZDF: Darum brauchen wir sie!“ impliziert reagierte.

Zuvor hatte im September der CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper, der bis dahin nicht durch Beiträge zur Medienpolitik aufgefallen war, den Titel „Mangelnde Meinungsvielfalt, Umerziehung und Verschwendung: Brauchen wir ARD und ZDF noch?“ in ganz München plakatiert. Auf den freundlichen Hinweis des BJV, dass insbesondere der Vorwurf der „Umerziehung“ eine inakzeptable Grenzüberschreitung in Richtung rechtsextremer AfD-Rhetorik ist, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk diktatorische Mittel unterstellt und einer demokratischen Partei unwürdig ist, bleibt die CSU bis heute eine offizielle Antwort schuldig. Ein Hintergrundbericht dazu ist in der aktuellen Ausgabe des BJVreports zu finden (S.28/29).

Grüne Medienpolitiker*innen treffen auf Branchen-Expert*innen

Nun hatten also die Grünen eingeladen, um mit der Podiumsveranstaltung im Münchner Mathäser Kino, „zu einer Versachlichung der Debatte“ beizutragen, wie es in der Anmoderation hieß. Ein Publikum von rund 150 Menschen folgte der Einladung. Dass auch diese Veranstaltung selbstverständlich nicht frei von parteipolitischen Interessen sein würde, machte die Besetzung klar: Gastgeber waren die Sprecherin Kultur und Film der Grünen im Bayerischen Landtag und BR-Rundfunkrätin Sanne Kurz und der medienpolitische Sprecher der Landtagsfraktion Maximilian Deisenhofer. Auf dem Podium saß außer Sanne Kurz zudem der medienpolitische Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion Erhard Grundl, moderiert wurde die Veranstaltung von Fabian Sauer, der für die Grünen im Wahlkreis Bogenhausen gegen Robert Brannekämper antritt. Sauer war vor seiner Arbeit als Pressereferent für die Grünen als Moderator und Reporter für Antenne Bayern, den WDR und Sky tätig.

Als Gäste ohne Parteianbindung diskutierten die BR-Intendantin Katja Wildermuth, der Senderchef von ProSieben und Sat.1 Daniel Rosemann, die vielfach ausgezeichnete Filmproduzentin Regina Ziegler und der Leiter der BJV-Fachgruppe Rundfunk und BR-Rundfunkrat Harald Stocker mit. In einer solchen hochkarätigen Runde, die zudem den Unkenrufen nach einer Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine klare Absage erteilt, darf die Stimme der Journalistinnen und Journalisten nicht nur vertreten sein, sie muss es. Partei-Positionen blieben dank dieser Besetzung im Laufe des Abends relativ nebensächlich. Stattdessen diskutierten vor allem die Expertinnen und Experten aus der Branche durchaus kontrovers, aber stets respektvoll miteinander.

Öffentlich-rechtlich-private Partnerschaften?

Nachdem sich alle, einschließlich des privaten Senderchefs Rosemann, eindeutig zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen wichtiger Funktion für die Demokratie bekannt hatten, nahm man sich einiger Punkte an, bei denen ARD und ZDF sich im dualen System mit den privaten Sendern als Konkurrenz gegenüber stehen. Auf die finanzielle Ausstattung der Nachrichtenredaktionen von ARD und ZDF sei er schon neidisch, gab Daniel Rosemann zu. Auch beim Bieten um Sportrechte oder Lizenzen für Primetime-Filme würde er lieber begrenztere öffentlich-rechtliche Budgets gegen seine eigenen antreten sehen. Er offenbarte auch, wo er mit ProSieben und Sat.1 eine Lücke lässt, die ARD und ZDF ausfüllen: „Wir können und wollen Nachrichten aus der Region nicht leisten.“ Zur Ausstrahlung eines regionalen Fensterprogramms verpflichten Sat.1 derzeit übrigens die Mediengesetze der Bundesländer.

Katja Wildermuth gab sich als mögliche Partnerin der Privaten, insbesondere bei der Ausbildung, und präsentierte sich auf dem Podium als Zukunfts-Macherin. „Wie soll der BR für die Generation 2035 aussehen?“, fragte sie und erklärte, dass die junge Zielgruppe besser zu erreichen für sie essentiell sei. Den Blick auf die Zuschauerzahlen meide sie inzwischen, da „Wertschätzung für uns nicht mit der reinen Quote korreliert.“ Den Eindruck mangelnder Wertschätzung für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen hatte der BJV zuletzt in der aktuellen Tarifrunde an der BR-Geschäftsführung kritisiert. Es sollte nicht das einzige Statement der BR-Intendantin an diesem Abend bleiben, das einen Journalistenverband aufhorchen lässt.

Die Position der Journalist*innen – und zweierlei Signale der BR-Intendanz

Harald Stocker, Vorsitzender der Fachgruppe Rundfunk des BJV, kennt beide Seiten des dualen Rundfunksystems: Die private als Mitentwickler der ProSieben-Wissenssendung Galileo ebenso wie die öffentlich-rechtliche Seite von eigenen Produktionen für diverse Reportagen und Dokumentationen und von seiner Arbeit als BR-Rundfunkrat. Er plädierte dafür, dass ARD und ZDF Inhalte finanzieren müssen, die nicht mit Werbung refinanziert werden können, und sprach sich für einen friedlichen Wettbewerb von privatem und öffentlich finanziertem Rundfunk aus. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht gute Journalistinnen und Journalisten“, sagte Stocker: „und die müssen auch angemessen bezahlt werden.“ Er sprach seine Sorge um den Spardruck an, der dazu führe, dass nicht nur freie Journalist*innen immer stärker unter Druck geraten, auch der dringend benötigte journalistische Nachwuchs suche sich zunehmend Karrieren jenseits des öffentlich-rechtlichen Systems. Die Arbeitsverdichtung durch immer neue Kanäle, die es zu bespielen gilt, kritisierte Stocker.

BR-Intendantin Wildermuth antwortete ihm: „Wir müssen angemessen bezahlen und anerkennen, dass sich Berufsbilder wandeln.“ Ein Bekenntnis zu angemessenen Löhnen und Honoraren, hört man als Journalistengewerkschaft zunächst einmal gerne. Der BJV wird Frau Wildermuth gerne an ihre Worte erinnern. Was dann folgte, ruft allerdings Bedenken hervor und wird noch zu Diskussionen führen: In den nächsten Wochen wolle der BR ein „Priorisierungsprogramm“ verkünden, das „eines der größten Verzichtsprogramme, die der BR in den letzten Jahren hatte“ werde. Was wie zu priorisieren sei beziehungsweise was verzichtbar sei, dem griff die Intendantin nicht voraus. Am journalistischen Kernprogramm zu sparen wäre jedenfalls ein großer Fehler, denn wie an diesem Abend deutlich wurde, schätzt selbst die private Konkurrenz dieses.

Gremien und Diversität, Fiktion und Barrierefreiheit

Weitere Themen des Abends waren die Aufsichtsgremien, deren Diversität und Unabhängigkeit, die politische Unabhängigkeit von Journalistinnen und Journalisten sowie die wichtige Rolle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens für die Produktion von fiktionalen Inhalten. In Bezug auf letzteres erklärte Regina Ziegler dem Publikum in aller Deutlichkeit: „Wer eine Beitragserhöhung ablehnt, killt ganze Berufszweige.“ Es gehe nicht um ein Entweder-Oder zwischen Privaten und Öffentlich-rechtlichen, es brauche ein Sowohl-Als-Auch. Die Kosten für eigene Produktionen, könne man nur mit Werbung nicht mehr finanzieren, gab Daniel Rosemann zu.

Kurz vor Schluss machte eine Wortmeldung aus dem Publikum noch einmal auf andere Art deutlich, wie vielfältig die Ansprüche sind, die heute an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestellt werden. Julia Probst, Grüne Stadträtin in Weißenhorn, Landkreis Neu-Ulm, und seit Mai die erste Gehörlose in einer solchen Position in Bayern, kritisierte, dass die öffentlich-rechtlichen Sender beim Thema Barrierefreiheit noch Nachholbedarf hätten. Eine der für die Veranstaltung anwesenden Gebärden-Dolmetscherinnen übersetzte nun in die andere Richtung für die Podiumsgäste. Die Moderation ihres Parteikollegen hatte in den zwei Stunden zuvor unzählige wichtige Themen in enger Taktung angerissen, das Thema der Barrierefreiheit jedoch noch nicht.

So dürfte Katja Wildermuth die Veranstaltung schließlich mit einer langen To-Do-Liste verlassen haben. Aber auch mit der Gewissheit, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, bei aller Kritik, viel mehr Freundinnen und Freunde hat, als populistische Kampagnen es einem immer wieder glauben machen wollen.

Benedikt Frank

Schlagworte:

ARD | ZDF | Bayerischer Rundfunk

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