Die Münchner Medientage bringen mit den #MTMdigitalks“ Medienexpert*innen ins heimische Büro – rechts im Bild Moderator Michael Praetorius
Foto: Screenshot Michaela Schneider

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Deutliche Kritik am späten Diskurs um den Lockdown – #MTMdigitalks Vol. 2

#MTMdigitalks blickten in Runde zwei auf guten und nicht so guten Journalismus in Coronazeiten

München, 14.05.2020

„Guter Journalismus ist weitgehend das, was wir in den letzten Wochen gesehen haben“, begrüßte Stefan Sutor, Geschäftsführer der Münchner Medientage, zu den #MTMdigitalks.

Zu diskutieren gibt es dennoch viel – und so ging das digitale Live-Format unter der Fragestellung „Was ist guter Journalismus in Corona-Zeiten?“ nun mit rund 150 Teilnehmer*innen in die zweite Runde (erste Veranstaltung am 08.04.2020, Bericht: Wenn die Krise Trends beschleunigt).

Mit einem aufgezeichneten Vortrag, Livetalks, Interviews und Diskussionsrunden mit Journalist*innen und Medienexpert*innen waren die fast zweieinhalb Stunden so informativ wie kurzweilig.

Aus Münchner Medientagen wird digitale Konferenz
2020 ist alles anders – und so kündigte Sutor an: Aus den Münchner Medientagen wird heuer eine digitale einwöchige Konferenz mit begleitender virtueller Expo, interaktiven Networking-Möglichkeiten und Entertainment-Formaten. Vom 24. bis 30. Oktober 2020 sind mehr als 100 Vorträge, Interviews, Masterclasses und Networking Sessions unter dem Titel THIS IS MEDIA NOW geplant.

Die „#MTMdigitalks“ taugen da als Übungswiese – und Moderator Michael Praetorius meisterte mit seinem Team im Off die technischen Herausforderungen bereits versierter als in Runde eins. 

Kritik am „Verlautbarungsjournalismus“
Vier Thesen stellte der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen (einer der Autoren des Buchs „Die Kunst des Miteinander-Redens“) zur Diskussion. Erstens: Zu Beginn der Pandemie hätten Journalist*innen zwar glänzend informiert, aber mitunter zu wenig gesellschaftspolitisch diskutiert. Der Medienwissenschaftler beobachtete, wenn auch nicht überall, Verlautbarungsjournalismus. Gewünscht hätte er sich in einer früheren Phase mehr Distanz und Debatte.

„Betroffenheit ohne Betulichkeit“
These Nummer zwei: Seröser Journalismus heiße, auf verantwortungsvolle, reflektierte Weise mit Unwissenheit umzugehen. Für den Journalisten tue sich dabei das Dilemma zwischen Schnelligkeit und Sorgfalt auf. Deutlicher müsse werden, dass er sage, „was er im Moment nach bestem Wissen und Gewissen zu sagen vermag“. These Nummer drei: Empathie sei wichtiger geworden, Pörksen sprach von „Betroffenheit ohne Betulichkeit“.

Und, schließlich, These Nummer vier: Der seriöse Journalismus müsse stärker als bisher die eigene Situation reflektieren und sichtbar machen, etwa, dass den Medien das Geschäftsmodell fehle, um Qualitätsjournalismus zu refinanzieren. Pörksen fordert „Aufklärung über die ‚Sportregeln‘ und Leiden der Branche“ und sieht hier die Chance, Solidarität mit den Medien neu zu begründen.

Klassische Medien glaubwürdig, informiert wird aber auch andernorts
Aus Oxford schaltete sich Professor Rasmus Kleis Nielsen vom Reuter Institute for the Study of Journalism zu. Untersucht hatte man dort, wie sich Menschen in sechs Ländern Zugang zu Informationen über das Coronavirus verschaffen und diese einschätzen.

Die meisten Menschen betrachten Traditionsmedien demnach als relativ glaubwürdige Quelle. Doch auch etliche andere Plattformen – Social Media, Videoformate oder Messenger-Dienste etwa – werden breit genutzt als Informations- und Nachrichtenquelle. Und: Ein geringerer Bildungsgrad geht mit weniger Wissen um Covid19 einher, gleiches gilt für Anhänger*innen des rechten politischen Spektrums.

Wie Datenjournalisten bei der SZ arbeiten
Praktische Einblicke ins datenjournalistische Arbeiten gab Vanessa Wormer, die bei der Süddeutschen Zeitung das siebenköpfige Team „Daten und digitale Investigation“ leitet. Es sei bei Pandemiebeginn längst da und eingespielt gewesen. „In anderen Redaktion wird jetzt erst sichtbar, was Datenjournalismus bedeutet“, sagt Wormer.

Anfang März, tat sich die Frage auf, ob sich das Team weiter voll auf die Kommunalwahl konzentrieren oder aber den Blick auch „auf dieses Virus“ richten sollte. Die Datenjournalist*innen merkten, dass in der breiten Bevölkerung das Wissen fehlte, was exponentielles Wachstum bedeutet. Ein erster Artikel, der die Statistik hinter der Pandemie erklärte, brachte extrem viele Klicks ein.

Die Unzulänglichkeit von Daten erkennen
Vier Aspekte zeichnen sich für Wormer ab. Erstens waren Redaktionen bei der Berichterstattung klar im Vorteil, die bereits Expert*innen in der Redaktion hatten, die Daten schnell und fundiert einordnen konnten und vor allem auch Unzulänglichkeiten von Daten erkannten. Zweitens brauche nicht jeder gute datenjournalistische Inhalt eine Visualisierung. In der Coronakrise habe sie sich aber als sinnvoll erwiesen, um Extreme und Trends abzubilden.

Drittens tauge ein Dashboard zwar für den schnellen Überblick, lange Erklär- und Hintergrundstücke seien aber genauso gefragt, einhergehend mit der Bereitschaft, dafür Geld zu bezahlen. Viertens forderte Wormer Transparenz: Quellen seien zwingend zu nennen, Unsicherheiten und die Weiterentwicklung von Daten zu erklären.  

„Echte Experten von Scheinexperten unterscheiden“
Das Newsjournalist*innen von Wissenschaftsjournalist*innen lernen können, wurde im Gespräch mit Volker Stollorz deutlich, Redaktionsleiter und Geschäftsführer des Science Media Center Germany (SMC). Gearbeitet wird dort an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus.

Oder, wie es auf der Unternehmenswebsite heißt beim Angebot für Journalist*innen: „Wenn Wissenschaft Schlagzeilen macht, liefern wir Ihnen zeitnah eine Einordnung, Experten-Statements und fundiertes Wissen.“ Stollorz verglich die Wissenschaft mit einem Dschungel, in den man nicht einfach reinlaufen könne. Den zu finden, der verlässliches Wissen geben könne, sei nicht leicht. Wissenschaftsjournalist*innen aber seien geübt darin, echte Expert*innen von Scheinexpert*innen zu unterscheiden.

„Fragen wurden zu wenig aufgegriffen“
Ines Pohl, designierter Studioleiterin Washington bei der Deutschen Welle, der Eichstätter Journalistikprofessor Klaus Meier und die Essener Kulturwissenschaftlerin Martina Franzen diskutierten über den „Clash of Cultures“, wenn Wissenschaft auf Massenmedien trifft.

Deutlich bemängelte Meier, dass der Diskurs um den Lockdown in den Medien erst um das Osterwochenende herum geführt wurde. Dass sich nun bei Demonstrationen auch viele an sich rational Denkende mitreißen ließen, führt der Journalistikprofessor auch darauf zurück, dass ihre Fragen von klassischen Medien zu wenig aufgegriffen wurden.

Damit seien sie offen geworden für Verschwörungstheorien und „Alternative Medien“. Dass der Deutsche Ethikrat eine öffentliche Debatte angemahnt habe (siehe u.a. ZDF am 07.04.2020), sieht Meier als „eigentliche Bankrotterklärung des Journalismus“.

„Zu jedem Thema gibt es einen Soziologen“
Ines Pohl mahnte an, „sich nicht darauf auszuruhen, dass der Journalismus gerade ganz gut“ wegkomme. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt sei es geboten gewesen, nah an der Politik dranzubleiben. Jetzt aber seien Journalisten dringend aufgefordert, auch andere Stimmen zu Wort kommen zu lassen.

Kulturwissenschaftlerin Franzen merkte mit Blick auf eine breitere Debatte an, dass Wissenschaftsjournalist*innen sich zu sehr auf Naturwissenschaften konzentrierten. Zu jedem Thema gebe es zum Beispiel auch eine Soziologin oder einen Soziologen.

Drosten-Podcast: „Viele wollen den großen Zusammenhang“
Zum Schluss gab es praktische Einblicke in zwei innovative Wissenschaftsformate. Im Gespräch: Melanie Gath, die beim SWR als Online-Redakteurin und Bewegtbilddesignerin für das Jugendangebot FUNK arbeitet und das Wissenschaftsformat maiLab betreut, sowie Korinna Henning, die beim NDR fürs Podcast „Coronavirus-Update mit Christian Drosten“ verantwortlich zeichnet.

Vielleicht Hennings zentrale Botschaft: Journalist*innen sollten Mediennutzer*innen keinesfalls unterschätzen, beim Drosten-Podcast liege die Durchhörrate bei manchem 45-Minuten-Stück bei 80 Prozent. „Viele Leute wollen den großen Zusammenhang“, sagt sie, hob aber hervor: Es brauche dafür einen guten Erklärer, der originelle Sprachbilder zur Vermittlung finde.

Wichtigstes maiLab-Werkzeug: Die Kommentarspalte
Das Interesse auch junger Zielgruppen an gutem Content und Wissenschaft in der Videowelt steige, beobachtet Melanie Gath. Das Format maiLab existiert seit vier Jahren. So groß geworden ist es laut der Online-Redakteurin vor allem auch, weil das Community Management auf der Prioritätenliste weit oben stehe. „Die Leute merken, dass sie die Möglichkeit haben rückzufragen“, sagt Gath und bezeichnet die Kommentarspalte als Werkzeug, das das MaiLab groß gemacht habe.

Michaela Schneider

Schlagworte:

Corona | Journalismus

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