Populärster Club im Verbreitungsgebiet der Schwäbischen Zeitung ist laut einer Leserbefragung der FC Bayern
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BJVreport

Filippo Cataldo: „Das Niveau ist generell höher geworden“

Ergänzung zur Titelgeschichte im BJVreport 2/2017

München, 19.04.2017

Filippo Cataldo (Jahrgang 1980, @filippocataldo), Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule, arbeitete acht Jahre bei der Abendzeitung, bis zu deren Insolvenz im März 2014. Dort schrieb er über den FC Bayern und den TSV 1860, zudem reiste er zwei Jahre lang mit der Formel 1 um die Welt. Er schrieb unter anderem für Sport Bild, Sport1 und die Gazzetta dello Sport. Seit Dezember 2016 arbeitet er als Ressortleiter Sport bei der Schwäbischen Zeitung in Ravensburg.

Wie hat sich Deiner Meinung nach der Sportjournalismus gewandelt?

Auf der einen Seite gibt es natürlich einen immer größer werdenden Aktualitäts-/Live-Druck. Und zwar von mehreren Seiten. Mittlerweile gibt es keinen Tag mehr in der Woche, an dem nicht mehr oder weniger wichtige Fußballspiele stattfinden, sowohl national als auch international. Dazu kommen auch immer mehr internationale Wettbewerbe in anderen Sportarten.

Das führt für die Spieler und Beteiligten zu größerer Belastung, bedeutet aber auch für uns Journalisten eine Umstellung. Ein großer Teil der Arbeit verschiebt sich in den Abend, bei uns in der Zeitung mit zwei bis drei überregionalen Seiten am Tag unter der Woche führt dies zu vielen Spätdiensten und in der Berichterstattung zu einer gewissen Getriebenheit und Abhängigkeit vom Spielplan. Zudem wird es, möchte man die Chronistenpflicht nicht brechen, schwierig, die Routine aus Vorbericht, Spielbericht, Nachbericht zu durchstoßen und eigene, größere Lesegeschichten/Themen losgelöst von der Aktualität zu setzen.

1:0-Berichterstattung kann man dem Zeitungsleser nicht mehr zumuten

Andererseits kommt aber die allgemeine Schwierigkeit von Zeitungen in der heutigen Zeit: Reine, klassische Spielberichte kann man dem Leser in der Zeitung meiner Meinung nach immer weniger zumuten: Auch im eher ländlich geprägten Verbreitungsgebiet der Schwäbischen Zeitung haben die Leute Internet, wenn die Bayern am Mittwochabend in der Champions League spielen, kann ich am Donnerstag für die Zeitung von Freitag keinen Spielbericht und strenggenommen auch keinen klassischen Nachdreher machen, sondern müsste schon deutlich nach vorne gehen. Am Samstag ist aber schon das nächste Spiel, in diesem Spannungsfeld müssen also die Geschichten geschrieben werden. Gleichzeitig darf ich aber auch nicht die Leser vergrätzen, die sich tatsächlich in erster Linie noch durch die Zeitung informieren (dass es das noch gibt, habe ich tatsächlich hier lernen dürfen). Das alles war früher sicherlich etwas entspannter.

Zeitungen müssen hintergründiger werden

Teilweise sicher auch bedingt durch die Fülle an Ereignissen und dem allgemeinen Spardruck hat sich meiner Meinung nach die Berichterstattung/Themensetzung ziemlich angeglichen. Viele Regionalzeitungen unterscheiden sich in der Themensetzung und Blattkomposition oft nur marginal. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass nur die Zeitungen wirklich überleben können, die hintergründiger und tiefer werden, eigene Ansätze verfolgen, dem Leser einen Mehrwert für ihr Geld bieten. Keine ganz neue Erkenntnis, aber sie gilt, nicht nur im Sport. Ich empfinde es als meine größte Herausforderung in der Blattkomposition, einerseits meiner Chronistenpflicht nachzukommen, andererseits aber eben auch inaktuellere Lesegeschichten, Analysen und Interviews im Blatt zu haben. Pflicht ist: Möglichst viele Themen regional herunterzubrechen ohne aber piefig zu werden.

Online sind die oben beschriebenen Phänomene natürlich noch größer, weitreichender, krasser: Jeder schreibt von jedem ab, den Kampf um Klicks gewinnt, wer am schnellsten ist, die besten SEO-Fähigkeiten hat (technisch und intellektuell) und wer die steilste, nicht die richtige, These hat — Genauigkeit, auch in der Orthografie und Sprache überhaupt gilt oft offensichtlich als vernachlässigenswert. Auch das gilt nicht exklusiv für den Sport, da aber in großem Maße.

Hang zu Hysterie und Gehetzheit bei Journalisten

Ziemlich (in manchen Bereichen sicher auch komplett) gewandelt hat sich in den letzten zehn, 15 Jahren nicht nur das Lese-/Nutzungsverhalten der Leser, sondern natürlich auch das der Journalisten. Ich stelle einen gewissen Hang zur Hysterie/Gehetztheit fest, auch in der Berichterstattung über Sport. Nicht bedingt, aber sicher befeuert durch Twitter, Instagram und Co. Personalisierung ist in der Berichterstattung noch wichtiger geworden, was ich persönlich grundsätzlich sehr positiv finde. Andererseits schreiben wir oft nur ungefiltert ab, was die Sportler (oder deren Agenturen) auf ihren sozialen Kanälen in die Welt blasen. Insgesamt fehlt vor allem da oft die Einordnung, bisweilen vielleicht auch die Reflexion über das, was wir da tun.

Die Bedeutung von Daten hat sehr stark zugenommen in den letzten Jahren. Es gibt mittlerweile, vor allem im Fußball, Unmengen von Daten zu jedem Spiel, viele sogar kostenlos (z.B bei Squawka). Die bieten einen riesigen Mehrwert, wenn man sie richtig lesen, interpretieren und anschaulich erklären kann. Außerdem immer wichtiger, nicht nur online: Transfermarktgerüchte. Früher war die vor allem in Italien, Spanien, England, Türkei ein Volkssport. Jetzt gibt es sie vermehrt auch in Deutschland. Die lese ich persönlich auch gerne, solange sie nicht total absurd sind. Wichtig dabei, wie immer: die Einordnung.

Siehst Du weitere positive Entwicklungen?

Nach meinem Gefühl, ist der Anteil von „Fanjournalisten“ zurückgegangen. Damit meine ich keine Fans, die Blogs oder Podcast betreiben, von denen es einige sehr, sehr gute gibt. Sondern Journalisten, denen die Distanz fehlt, die nicht richtig nachfragen oder hinter die Fassade blicken wollen, sich vor allem für das interessieren, was auf dem Platz passiert und dann auch nicht wahrhaben wollen, wenn mal etwas Schlimmeres passiert, seien es Dopingfälle, Korruption, Finanzprobleme oder sonstige Skandale.

Mehr Journalisten verstehen sich mittlerweile als das, was sie sein sollten: Als Journalisten, und so arbeiten sie auch. Es gibt mittlerweile recht viele investigativ arbeitende Sportjournalisten. Ich denke, der „Sommermärchenskandal“ wäre vor 20 Jahren anders oder von Kollegen anderer Ressorts aufgearbeitet worden. Ähnliches gilt beim kritischen Blick auf die Machenschaften von IOC, FIFA, UEFA und Co. oder bei Dopingfällen: Ich habe das Gefühl, dass sich mehr Kollegen für diese Dinge interessieren als früher.

Ebenfalls positiv, obwohl uns oft das Gegenteil vorgeworfen wird: Das Niveau, über das über Taktik oder Sport überhaupt diskutiert wird, ist generell höher geworden, glaube ich.

Gibt es für Eure Zeitung Probleme, wenn Ihr etwa beim Volleyballbundesligisten VfB Friedrichshafen Interviews haben wollt?

Nein, da gibt es keine Probleme. Wenn wir etwas vom Trainer wissen wollen, rufen wir ihn an. Spieler können auch angesprochen, angerufen oder angefragt werden. Ähnliches gilt aber auch bei Ratiopharm Ulm oder auch dem VfB Stuttgart und SC Freiburg. Interviews sind problemlos möglich, wobei man da eher über die Pressestellen geht.

Bei unserem Treffen in der Münchner Arena beim Bundesligaspiel des FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt hast Du angedeutet, dass man kaum noch an die Fußballer rankäme …

Das muss man ein wenig differenzieren. Grundsätzlich kann man mit sehr vielen Fußballern sehr vieler Vereine regelmäßig Interviews führen. Hin und wieder auch spontan. Man muss sich halt an die Regeln halten: Interviews werden über die Pressestellen koordiniert und oft eben auch bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben beim Autorisieren (sogar bei Spielern, die einem sowieso nur eher technokratische und weichgespülte Antworten geben). Meine persönliche Begeisterung für Interviews hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch immer noch Bundesligaspieler, die einem ihre Telefonnummer geben, hin und wieder auch in Absprache mit deren Beratern oder den Pressestellen der Clubs.

Wirkliche Scoops sind selten geworden

Grundsätzlich ermöglicht auch die Pressestelle des FC Bayern Interviews, allerdings vor allem, wenn keine Englischen Wochen sind – die Anzahl der möglichen Termine kann man also an zwei Händen abzählen. Ich persönlich habe auch durchaus Verständnis dafür, dass der Klub nicht allen Anfragen nachkommen kann und dann natürlich auch erst einmal die Vertragspartner (vor allem Sky), die überregionalen und Münchner Zeitungen und die großen Onlineportale bedient. Das Interview mit Carlo Ancelotti in der SZ Ende 2016 etwa fand ich großartig („Natürlich kann ich Kühe melken“, SZ-Interview von Birgit Schönau und Claudio Catuogno (€), T.M.).

Die Problematik beim FC Bayern ist eher, dass die seit der Amtszeit Jürgen Klinsmanns praktizierte Medienpolitik der Abschottung mittlerweile so gut funktioniert, dass wirklich nur noch sehr wenig nach draußen dringt. Das Wenige, was man doch erfährt, muss mühsam zusammengetragen werden und verdichtet sich, gemeinsam mit Geschichten der Kollegen, so nach und nach zur Wahrheit.

Wirkliche journalistische Scoops sind selten geworden – der von Sport Bild aufgedeckte komplette Rücktritt von Philipp Lahm inklusive seiner Absage, Sportdirektor zu werden, im Februar war zweifellos einer. Doch das ist auch die einzige Geschichte, die mich wirklich total überrascht hat.

Deine Meinung zu den Vorgängen bei den Löwen …

Ich werte diese Vorgänge als singuläres Negativstbeispiel. Nur soviel: aus dem Ansinnen Cassalettes (der Präsident des TSV 1860, Peter Cassalette; T.M.) und Co., dass man an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit interessiert sei, spricht einerseits natürlich, dass der Herr offensichtlich nicht verstanden hat, was Journalismus ist. Andererseits kann ich mir aber durchaus vorstellen, dass manche Sportjournalisten sich bis heute auch als Partner der von ihnen betreuten Vereine verstehen. Im Lokalen sicher häufiger als überregional, aber auch da kommt das vor. Ich halte das für gefährlich.

Thomas Mrazek

Schlagworte:

Sportjournalismus

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