Dr. Christiane Stempel, Psychologin und Dozentin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Fernuniversität Hagen
Foto: Screenshot Michaela Schneider

BJV-Landesvorstand

Homeoffice: „Das Gefühl fehlt, ob man in der Norm ist“

Viele Menschen schätzen das Arbeiten daheim. Trotzdem sollten Unternehmen unbedingt die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter im Blick behalten.

München, 11.03.2021

Die Arbeit im Homeoffice geht an vielen Menschen nicht spurlos vorüber. „Zoom-Fatigue“, sprich die Erschöpfung durch virtuelle Kommunikation, macht sich einer Studie des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) zufolge bei vielen Menschen emotional, psychisch und selbst körperlich bemerkbar.

Andere Studien zeigen, dass Schlafbeschwerden während der Pandemie zugenommen haben. Gleichzeitig können schon Kleinigkeiten helfen, den Arbeitstag daheim gesunder zu gestalten, zum Beispiel, indem auch Pausen fix eingeplant werden.

Der Bezirksverband Nürnberg – Nordbayern und sein Vorsitzender Dieter Germann hatte zu einem digitalen Impulsvortrag mit Dr. Christiane Stempel, Psychologin und Dozentin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Fernuniversität Hagen, geladen. Das Motto lautete „Alltag im Homeoffice – fit und gelassen bleiben“. Stempels Lehrstuhl hatte im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 in einer Studie die erlebten Vor- und Nachteile der Arbeit zu Hause untersucht. Eine zweite Befragungsrunde ist frisch abgeschlossen, eine dritte geplant.

Viele wünschen sich Mischmodell
Gefragt wurden die eingangs mehr als 800 Studienteilnehmer*innen nicht nur nach Vor- und Nachteilen, die Wissenschaftler*innen nahmen zudem deren Arbeitsbedingungen in den Blick. „Es sieht so aus, dass ein großer Prozentsatz damit einverstanden ist, zumindest teilweise im Homeoffice zu arbeiten“, ergab ein erster Zwischenstand. Viele Arbeitnehmer*innen wünschten sich eine Art Mischmodell. Bei bis zu zwei Tagen im Homeoffice steige die Motivation. Dann allerdings sei ein Plateau erreicht.

Autonom und keine Pendelzeit
Als die drei größten Vorteile im Homeoffice wurden genannt: der Wegfall der Pendelzeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie auch die Möglichkeit, autonomer und flexibler zu arbeiten. Vor allem im letzten Punkt sieht Psychologin Stempel eine wichtige Ressource fürs gesundheitliche Befinden von Arbeitnehmer*innen.

Soziale Kontakte fehlen
Dem stehen als zentrale Nachteile weniger soziale Kontakte, eine Arbeitsintensivierung und eine erweiterte Erreichbarkeit gegenüber. Auch fehlende Anerkennung belastet laut Stempel. Viele empfänden, dass sie nicht so produktiv seien wie im Büro. Das allerdings sei ein subjektiver Eindruck, der oft nicht stimme, sich aber damit begründen lasse, dass ein direktes Feedback wegfalle. „Das Gefühl fehlt, ob man in der Norm ist oder zu viel oder zu wenig arbeitet“, berichtete die Wissenschaftlerin.

Stichwort Zoom-Fatigue
Interessant: Während in Zeiten vor der Pandemie in anderen Studien das ruhige, störungsfreie Arbeiten häufig als ein großer Vorteil von Telearbeit genannt wurde, hat sich dieser Aspekt inzwischen laut der Expertin teilweise ins Gegenteil verkehrt, weil zu viele Meetings stattfinden, Stichwort Zoom-Fatigue.

Entschleunigung? Im Gegenteil!
Auch führt der eigentlich als positiv empfundenen Wegfall von Pendelzeiten wohl nicht zu einer generellen Entschleunigung. Im Gegenteil: Eher geht die Arbeit im Homeoffice mit einer Arbeitsintensivierung einher.

Christiane Stempel stellte hier auch den Zusammenhang her zum „Gefühl, immer und überall erreichbar sein zu müssen“ – und zwar auch jenseits von Kernarbeitszeiten sowie an Wochenenden. „Das führt zu einem permanenten Anspannungszustand im Körper und vermindert die Erholung“, sagte die Psychologin.

Zentrale Fragen für die Zukunft
Zahlreiche Fragen stellte sie mit Blick auf die Zukunft in den Raum: Wie sollte Telearbeit aufgeteilt/organisiert werden? Welche Tätigkeiten/Bereiche eignen sich? Wie können eine adäquate Ausstattung, der Arbeitsschutz und Datensicherheit gewährleistet werden? Wie kann transparent kommuniziert werden? Wie kann die soziale Anbindung sichergestellt werden? Wie kann man erweiterte Erreichbarkeit organisieren? Und: Wie kann man das Wohlbefinden und die Gesundheit fördern?

Klare Regeln zur Erreichbarkeit
Mit Blick auf die Erreichbarkeit sagte Stempel: „Häufig schwirren unterschwellige Erwartungen herum, ohne dass darüber gesprochen wurde.“ Sie empfahl deshalb Führungskräften, Erwartungen an die Erreichbarkeit zu thematisieren und klare Regeln aufzustellen.

Und: Selbst einer so nachrichtenaffinen Berufsgruppe wie Journalist*innen riet Stempel, sich stundenweise Freiräume zu schaffen, in denen keine E-Mails oder Handynachrichten gecheckt werden. Denn: Das alles sind Ablenkungen, die Energie ziehen, und echtes Konzentrieren erschweren.

Übergangsrituale zur Abgrenzung
Übergangsrituale – Bürokleidung etwa, ein Spaziergang wie sonst zur U-Bahn oder der Morgenkaffee in der Hand als Arbeitsbeginn-Signal – können helfen, Abgrenzung zu gewährleisten. Die Psychologin relativierte allerdings: Die einen brauchen die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben mehr, die anderen weniger. Viele Eltern empfänden es eher als Vorteil, zwischendurch rasch den Nachwuchs vom Kindergarten abholen zu können. 

Kompetenzen vermitteln, Ressourcen bereitstellen
Mit Blick auf Maßnahmen, um die Gesundheit in Betrieben zu fördern, beobachtet Stempel, dass Unternehmen Verantwortung gern ein wenig an die Arbeitnehmer*innen abgeben, indem sie zwar Trainings und Weiterbildungen anbieten, sich dann aber aus der Verantwortung nehmen. Gleichzeitig stehen Unternehmen jedoch in der Pflicht, strukturelle Maßnahmen zu ergreifen mit Blick auf Arbeitsumgebung, Arbeitsinhalte und Arbeitsorganisation.

„Arbeitsgestaltungskompetenzen vermitteln UND Ressourcen bereitstellen“, lautete Stempels Credo. Als zentrale Ressource nannte sie vor allem auch Zeit, etwa wenn ein Team sich in neue Technik einarbeiten müsse.

Pausenzeiten einplanen
Zeit bedeutet zudem, auch Pausenzeiten einzuplanen. Warum nicht diese bewusst im gemeinsamen Teamkalender bloggen? „Man unterschätzt, wie viele Minipausen man im Büro vor Ort macht“, sagte Stempel. Zahlreiche Anregungen, wie sich Pausen gestalten lassen, sind zum Beispiel der Broschüre der „Initiative Gesundheit und Arbeit“ zu entnehmen.

Die Zeit nehmen für informellen Austausch
Christiane Stempel riet Führungskräften zudem, Raum zu geben für informellen Austausch – etwa, indem vor offiziellen Meetings Zeit zum Plaudern etabliert wird. An der Fernuniversität Hagen habe man dafür eine virtuelle Kaffeeküche eingerichtet.

Die Psychologin betonte aber auch: Dass Mitarbeiter*innen fehlende soziale Kontakte vermissten, liege mit daran, dass auch im Privatleben persönliche Kontakte als Ausgleich fehlten oder stark reduziert seien. 

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Michaela Schneider

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Das Titelthema unseres BJVreport 1/2021 beschäftigt sich auch mit verschiedenen Aspekten des Homeoffice.

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