Spitzentreffen von Journalisten-Gewerkschaftlern (von links nach rechts): Michael Busch, Wolfgang Grebenhof, Philippe Leruth und Rainer Reichert
Foto: Maria Goblirsch

Fachgruppe Europa und Medienrecht

„Die Türkei ist das größte Gefängnis für Journalisten weltweit“

Präsident des Weltjournalistenverbands berichtet über weltweite Anschläge auf die Pressefreiheit

München, 12.07.2017

„Wenn ich eine Liste der Länder aufstellen soll, die die Pressefreiheit achten, wird die sehr kurz. Dagegen wächst die Zahl der Staaten, wo sie täglich geschändet wird“, sagte Philippe Leruth, Präsident des Weltjournalistenverbandes IJF. Aus Anlass der Wahl des Fachgruppen-Vorstandes Europa war der belgische Journalist am Montagabend in den Münchner PresseClub gekommen, um in einem Impulsvortrag über Attacken auf Journalisten und Einschränkungen der Pressefreiheit zu berichten.

An Beispielen schilderte Leruth, wie die IJF beinahe täglich auf neue Attacken reagieren muss und auf welche Weise sie das tun kann. Die International Federation of Journalists, die rund 600.000 Mitglieder in mehr als 140 Ländern weltweit vertritt, habe keine große Macht, betonte er, ihre Aktionen seien nicht spektakulär. Aber es seien kleine Schritte, die zeigten, dass sich die internationale Solidarität letztlich doch auszahle.

Aber: „Wir könnten als IJF nichts tun, wenn die Journalistinnen und Journalisten nicht selbst für ihre Rechte kämpfen“, konstatierte Leruth. Erst dann könnte die IJF die nationalen Verbände unterstützen und den jeweiligen Fall auf eine höhere Ebene bringen. Gelegenheit dazu gibt es leider oft.

Neun von zehn ermordeten Journalisten sind Lokalredakteure
Es könne keine wirkliche Freiheit geben, solange der Gesetzgeber die Pressefreiheit nicht schütze und Journalistinnen und Journalisten ermordet werden könnten, ohne dass die Mörder bestraft würden. Denn die gingen in aller Regel straffrei aus. „Neun von zehn Getöteten sind Lokalredakteure. Ihr Tod ist im eigenen Land keine Nachricht wert. Vielleicht werden die Taten auch deshalb nicht verfolgt“, kritisierte der IJF-Präsident.

Der Kampf gegen die fehlende Strafverfolgung beim Tod von Journalistinnen und Journalisten weltweit habe in den kommenden Monaten für seine Organisation absolute Priorität, betonte Leruth. Er wisse noch nicht, ob die IJF bei den UN um eine Deklaration der Vereinten Nationen bitten werde. „Kann das denn ausreichen, um gegen einen solchen Skandal zu kämpfen?“, fragte er.

Signal an Inhaftierte: Ihr seid nicht vergessen!
Mit dem Blick auf Europa bezeichnete Philippe Leruth die Türkei als „das größte Gefängnis für Journalisten weltweit“. Die IJF habe schon lange Zeit vor dem Putsch gegen die Kriminalisierung und Einschüchterung von Journalistinnen und Journalisten in diesem Land gekämpft, doch habe sich die Situation noch drastisch verschlechtert.

„Wenn wir einen Prozessbeobachter in die Türkei schicken, heißt das nicht, dass der Journalist nicht verurteilt wird. Aber die Justiz weiß dann genau, dass die Verhandlung nicht unbemerkt ablaufen kann“.

Auch für Kolleginnen und Kollegen, die oft für lange Zeit hinter Gitter müssten, sei die Anwesenheit der IJF-Vertreter und ihre Solidarität ein wichtiges Signal, „dass wir sie nicht vergessen“. Durch ihre Kontakte vor Ort erfahre die IJF zudem meist schnell, wenn wieder ein Journalist attackiert, mit einem Schreibverbot belegt oder verhaftet wurde. „Dann läuten wir die Alarmglocke und informieren u.a. auch die Monitoring-Plattform des Europäischen Rates“. Außerdem würden betroffene Familien über einen Hilfsfond unterstützt.

In Afrika bezahlen Politiker für ein Interview
Auch faire Arbeitsbedingungen sind nach Überzeugung von Philippe Leruth unerlässlich, damit die Presse frei arbeiten kann. Viele wüssten nicht, dass Journalisten in den meisten afrikanischen Ländern keinen Lohn für ihre Arbeit bekämen. Wie wird dort gezahlt?

„Sehr einfach“, berichtet Leruth. „Wenn ein afrikanischer Journalist ein Interview mit einem Minister oder einem Prominenten führt, bekommt er Geld dafür. Wenn so etwas in Europa passiert, würde man sagen, das ist ein Skandal. Aber in Afrika ist das die einzige Chance für Journalisten, zu überleben“.

Diese Menschen seien sich der Situation bewusst und fragten sich, wie sie dennoch unabhängig bleiben könnten. Sie entschieden nicht nach dem Geld, ob eine Nachricht als wichtig eingestuft werde und ins Blatt komme.

„Maßnahmen gegen den Terrorismus helfen der Pressefreiheit nicht“
Aber auch in Deutschland sei die Pressefreiheit in Gefahr. Wenn Sicherheitsgesetze verschärft und die Überwachung intensiviert werde, schade das auch dem Schutz von Informanten und Quellen. „Maßnahmen gegen den Terrorismus helfen der Pressefreiheit nicht“, erinnerte Leruth.

Aber auch die zunehmende Konzentration auf dem deutschen und dem europäischen Medienmarkt bereitet ihm Sorge. Zeitungen gehören keinen Presseunternehmen mehr, sondern Großkonzernen. Dabei sei eine zunehmende Einflussnahme auf die Inhalte zu beobachten, etwa wenn Geschäftsinteressen tangiert seien.

Ein ausführliches Interview mit Philippe Leruth (Twitter: @phillocha und @IFJPresidentPhiLe) lesen Sie in der nächsten Ausgabe des BJVreport, die am 22. August 2017 erscheint.

Maria Goblirsch

Schlagworte:

Pressefreiheit

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