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Porträt Martin Gehlen (1956 – 2021)
Martin Gehlen (1956 – 2021)
Foto: 
Katharina Eglau

BJVreport

Der Seismograf des Nahen Ostens

Den politischen Korrespondenten Martin Gehlen ereilte in Tunis ein plötzlicher Tod

München, 11.02.2021

Er war ein Teil des Nahen Ostens. Er erlebte hoffnungsvolle Umbrüche, aber auch den Niedergang der Hoffnungen. Wie kein zweiter kannte sich Martin Gehlen im Maghreb, am Golf und in Arabien aus. Allein seine letzten Artikel lassen seinen weiten Horizont ermessen: Tunesien („versinkt im Chaos“), Algerien („im Würgegriff der Macht-Eliten“), Libyen („vor einer Wende?“), Iran („USA pokert um Neubeginn“), Golfstaaten („legen Fehde bei“), Irak („kehrt der IS blutig zurück?“). Die Süddeutsche Zeitung würdigte ihn als „einen der Besten“.

Darüber berichtete er als Korrespondent deutscher Zeitungen für viele hunderttausend Leser. Mitten aus dem Schaffen hat den Journalisten ein Herzinfarkt am 7. Februar zuhause in Tunis aus dem Leben gerissen. Er wurde 64 Jahre alt.

Gehlen konnte wunderbar erzählen mit einem Blick für das Detail wie für das große Ganze. Er hat mit den Menschen gelitten, wenn die Despoten wieder einmal die Oberhand behielten. Er hat sich mit ihnen gefreut, wenn sich eine Wende zum Besseren abzeichnete.

Er hatte ein seismografisches Gespür für politische Entwicklungen, hat dem Westen früh vorgehalten, zu sehr auf den Islamischen Staat fixiert zu sein und dabei die Lage in Syrien aus dem Blick zu verlieren, er sah die humanitäre Katastrophe im Jemen heraufziehen.

Vor allem Kairo war die Stadt, die er liebte. Als der Arabische Frühling Ägypten erreichte, konnte er die Kundgebungen fast von seiner Wohnung aus beobachten. Im Sommer 2017, als längst General Al-Sisi die Macht ergriffen hatte, wurde ihm Kairo zu gefährlich und Gehlen zog nach Tunis um.

Gehlen, am 10. Oktober 1956 in Düsseldorf geboren, hatte eine denkbar breite Bildung. Er studierte Biologie in Bonn, katholische Theologie in Münster und promovierte bei Hans Joas in Politikwissenschaft. Er forschte in Harvard, Paris und Jerusalem und absolvierte 1985/86 die Deutsche Journalistenschule in München. Seither gehörte er auch dem BJV an.

Nach Stationen als Politikredakteur bei der Südwest-Presse in Ulm und beim Berliner Tagesspiegel, ging er 2008 nach Kairo. Er bereiste selbst verschlossene Länder wie den Jemen, den Iran und Saudi-Arabien zusammen mit seiner Frau, der Fotografin Katharina Eglau. Er war der Chronist des Wortes, sie für die Bilder, beide ein eingeschworenes Team.  

Alois Knoller

 

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