< PreviousBJVreport 5/201810Titeldes neue Dialogangebot muss mit dem Label „Innovati-on!“ versehen werden. Und längst nicht nur die großen Medienhäuser pfle-gen den Nutzerdialog. Beim Münchner Portal piqd emp-fehlen täglich rund 130 Experten und Journalisten ihrer Meinung nach gute Internet-Artikel (piqd.de). Der 2015 von Konrad Schwingenstein gestartete News-Aggregator ist für sich schon eine Innovation. Seit Januar 2018 gibt es auch einen piqd-Salon, bei dem Journalisten auf einer Bühne „die Geschichten hinter ihren Geschichten erzäh-len, unterhaltsam und mit mehr oder weniger Aufwand inszeniert“, wie piqd-Chefredakteur Frederik Fischer er-klärt. Ihren Ursprung haben solche Bühnen übrigens schon 2009 in den USA. Auch in München hat sich die-ses monatliche Format inzwischen etabliert: „Die Rettung des Journalismus sieht sicher anders aus, aber ist wahr-scheinlich längst nicht so unterhaltsam“, sagt Fischer.#Fachdialog„Tausche dich aus und lerne dabei!“, rät Start-up-Grün-derin Johanna Wild (siehe „Keine Angst vor Ideenklau“ in diesem BJVreport, Seite 14). Hervorragende Möglichkei-ten, sich über Innovationen auszutauschen, bieten mittler-weile einige Tagungen. Ob es um handwerkliche journalis-tische Fähigkeiten wie beim Reporterforum geht oder um übergreifende Themen wie Monetarisierung, Nutzerdialog und Glaubwürdigkeit wie kürzlich bei der Innovationskon-ferenz Scoopcamp. Ebenso ist die Jahrestagung des Netz-werk Recherche zu nennen, bei der die Debatte über inno-vative Angebote eine immer größere Rolle spielt. Auch interdisziplinäre Tagungen wie der Zündfunk Netzkon-gress von Bayern2 bieten jede Menge Inspiration. BJV- und DJV-Veranstaltungen wie der FREItag oder Besser Online, Frau macht Medien und 24 Stunden Zu-kunft räumen dem Thema Erneuerung des Journalismus seit jeher einen großen Raum ein. Auch die Macher von Initiativen wie fair radio oder Initiative Qualität (mit DJV-Beteiligung) legen großen Wert aufs Thema Innova-tion und verknüpfen dieses mit ihrem ursprünglichen Themenfokus journalistische Qualität. Inspiration liefert auch der vor zwei Jahren vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger gestartete „Innovation Award der deut-schen Zeitungen – Nova“. Und zu einer Institution ist das 2013 gegründete VOCER Innovation Medialab geworden. Nicht zu vergessen: Tagtäglich tauschen sich Medien-schaffende in sozialen Netzwerken über Innovationen im Journalismus aus. Auch die Mediendienste im Netz und in Print berichten kontinuierlich über Neuerungen im Journalismus – wobei hier mitunter auch PR und Journa-lismus vermischt werden. Schließlich ist Innovation schick und man möchte gerne Trendsetter für Neues sein.#FinanzierungInnovationen sind keine Selbstläufer. Die Methode „Trial and error“ prägt seit jeher die Entwicklung von neuen Angeboten. Es ist also immer ein Risiko vorhan-den. „19 Mal funktioniert es nicht, aber beim 20. Mal ist (vielleicht) der Durchbruch“, sagt Johanna Wild vom Start-up Wafana. Das klingt wenig verheißungsvoll für wenig risikofreudige und kostenbewusste Medienunter-nehmen. Und für Gründer, die journalistische Innovationen auf den Markt bringen wollen, ist das Klima hierzulan-de nicht günstig: „Es mangelt in Deutschland insbeson-dere an einer soliden Initial- und Anschubfinanzierung, auf deren Grundlage diese Experimente sozialverträg-lich abgebildet werden könnten“, sagt Juniorprofessor Christopher Buschow, der sich an der Bauhaus Univer-sität Weimar unter anderem mit Media Entrepreneur- ship befasst. „Die Investitionen traditioneller Medien-häuser fließen im digitalen Bereich verstärkt in medien-ferne, nicht journalistische Geschäftsfelder“, schreibt er in einem Essay.#MenschInnovationen können nur von Menschen vorange-bracht und initiiert werden. So banal dies auch klingt, so wahr ist es. In vielen Medienhäusern mangelt es – der Recherche des BJVreports zufolge – noch an Innovations-kultur. Im eng getakteten Tagesgeschäft bleibt häufig zu wenig Zeit, mal ganz offen und ungestört über das eigene Tun, über das eigene Produkt zu reflektieren. Ähnlich geht es oft auch freien Journalisten, die in gewisse Sach-zwänge eingebunden sind. Stellt sich die Frage, wie das Thema in Medienhäusern angegangen wird: Wird ein Mitarbeiter, werden mehrere Mitarbeiter für einen bestimmten Zeitraum oder dauer-haft zum Entwickeln neuer Ideen abgestellt? Werden in-terdisziplinäre Teams etwa aus Journalisten, Program-mierern, Marketing und Anzeigenverkauf gegründet oder beschränkt man sich auf bestimmte Ressorts? Wer verantwortet, wer initiiert das Ganze? Holt sich das Un-ternehmen Hilfe von außen – etwa von Start-ups oder gar von Unternehmensberatern? Wie lassen sich Innova-tionen validieren? Welche Regeln sind beim Innovations-management zu beachten? Welche Konventionen darf man brechen? Bewährt hat es sich wie so oft, die Mitarbeiter von An-fang an in solche Vorhaben einzubeziehen. Und bei aller Spontaneität und Kreativität: Innovationsprozesse lassen sich nicht mal eben nebenbei und ad hoc durchführen; Innovation um der Innovation Willen funktioniert nicht. „Jede Innovation birgt Chancen und Risiken“, sagt der Eichstätter Journalistik-Professor Klaus Meier. Innovatio-nen in Medienhäusern müssten nicht immer die großen Schritte sein - und von vielen Neuerungen bekomme man schlicht nichts mit. Eine Link-Sammlung zu allen Themenblöcken finden Sie unter: bjvlink.de/innovation2018.0711 2056 244info@presse-versorgung.deMehr Rente für Medienprofiswww.presse-versorgung.defotolia.com/ rh2010« Sicherheitfür freiberuflicheMedienprofisBJVreport 5/201811TitelMedia goes wildDer BJV bei den Münchner Medientagen Von Maria GoblirschWillkommen im Mediensaloon: Zwei Tage lang gibt es ein Nonstop-Büh-nenprogramm im Mediencampus der Münchner Medientage, die vom 24. bis 26. Oktober erstmals im Con-ference Center Nord, Halle 6, der Messe Nord stattfinden. Passend zum Motto „Media goes wild“ verwandelt sich der Campus in einen Western-Saloon. Nach einjähriger Pause ist der BJV im Mediencampus wieder mit einem eigenen Stand als „Open Range – Weites Medien-land“ vertreten. Dort gibt es neben Tipps zu Ausbildung, Praktika und Berufseinstieg in Journalismus oder Public Re-lations auch Entspannung beim Dart spielen. Außerdem kön-nen die Besucher live bloggen. Christian Koller, SEO-Mana-ger und in der BJV-Fachgruppe Junge aktiv, spricht zu „Gamification in Unternehmen – zu Höchstleistungen mit Highscores motiviert“ (Donnerstag, 25.10., 15.30-16 Uhr, Bühne). Weitere Infos unter www.mediencampus2018.de. Der klassische Auftritt des BJV findet im neuen Areal am Stand G5 und in Nachbarschaft zur Süddeutschen Zeitung und zu ZDF online statt. Dort freut sich das Team um den BJV-Vor-sitzenden Michael Busch auf neue Kontakte und Gespräche. Der künstlichen Intelligenz widmet sich die Keynote Speech beim Auftritt von Media Women Connect, einem Zusam-menschluss von Münchner Frauennetzwerken, das am ers-ten Messetag zum Networken mit High Tea einlädt (24. Ok-tober, 16 – 18.30 Uhr, Immershive Stage, Expo Area). Im Netzwerk engagiert sich auch die BJV-Fachgruppe Chancen-gleichheit (Infos unter bjvlink.de/mediawomen). (mgo) 0711 2056 244info@presse-versorgung.deMehr Rente für Medienprofiswww.presse-versorgung.defotolia.com/ rh2010« Sicherheitfür freiberuflicheMedienprofisDiskussion bei Media Women Connect bei den Medientagen 2017. Foto: Maria GoblirschBJVreport 5/201812TitelEin Ort für IdeenspinnerDas Media Lab Bayern unterstützt nicht nur Start-ups, sondern vermittelt jetzt auch Medienhäusern das Handwerkszeug für InnovationenVon Michaela Schneider Es sei ein Ort für digitale Vordenker, die ihre eigenen Medienprojekte nicht nur er-finden, sondern auch umsetzen wollen: das Media Lab Bayern. So zumindest lautet die Beschreibung der Bayerischen Landeszent-rale für neue Medien (BLM), die das Projekt seit seiner Gründung im Jahr 2015 unter-stützt. Auch Gelder des Freistaats fließen in das Programm. Seit Jahresbeginn ist es Teil der Medientage München GmbH, mit der Umstrukturierung ist Mitbegründerin Lina Timm zur Geschäftsleiterin aufgerückt. Die heute 31-Jährige besuchte die Deutsche Journalistenschule, studierte Germanistik und Soziologie und arbeitete als Lokaljournalistin. Sie haben das Media Lab Bayern mit aufgebaut. Welche Idee steht dahinter?Lina Timm: Die Beobachtung 2015 war, dass es wenig Innovationsprojekte in der deutschsprachigen Medienszene gibt. Deshalb wollten wir einen Ort schaffen, um mehr In-novation in die Medienbranche zu bringen. Schaut man sich die Start-up-Szene an, ist Kern des Ganzen in den meisten Fällen ein physischer Ort, an dem sich Menschen austauschen können. Kurzum: Wir wollten einen Ort schaffen zum Ideen spinnen und verwirklichen.Kern des Media Lab Bayern ist seit Beginn das Fellow- ship-Programm. Über mehrere Monate werden Start-up-Teams finanziell unterstützt, gecoacht und können ins Münchner Büro einziehen. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Teams aus?Ein Kriterium für die Auswahl ist der Innovationsgrad der Idee, wobei dies einen Haken hat: Eine noch so gute Idee wird nicht funktionieren, wenn der Markt dafür nicht bereit ist und noch keiner Geld dafür zahlen will. Deshalb sind Start-ups – entgegen der allgemeinen Annahme – häufig keine zehn Schritte voraus, sondern nur drei. Sonst hätten sie gar keine Chance, eine Firma aufzubauen. Zu-dem achten wir aufs Team: Arbeitet es interdisziplinär und bringt alle für die Umsetzung nötigen Fähigkeiten mit? Außerdem braucht es Unternehmergeist. Woran erkennt man eine gute Idee?Eine gute Idee löst ein großes Problem eines Nutzers. Hier gibt es hilfreiche Tools, um zu testen, ob die Leute ein Produkt haben wollen. Ein Start-up kann nur funktionie-ren, wenn es auf dem Markt potentielle Käufer gibt. Das Media Entrepreneurship Programm des Media Lab Bayern haben Sie eingestellt. Es richtete sich an Menschen mit einer noch nicht ganz ausgereiften Idee, ohne Team. Was haben Sie daraus gelernt?Wir legten den Fokus aufs Coaching. Das lief gut, das große Problem blieb aber die Teamfindung. Und ich habe bis jetzt keine echte Lösung, wie wir Gründer hier-bei unterstützen können, gute Teams hän-gen von so vielen Faktoren ab. Was wir aber lernten, war: Wie sehen gute Work-shopformate aus? Und welche Methoden taugen, um die Markttauglichkeit eines Produkts in Teilzeit nebenbei zu testen? Aus diesen Erfah-rungen heraus haben wir neue Programme entwickelt.Zum Beispiel das im April gestartete Programm „Rocking Science Journalism“. Worum geht es?Die Teilnehmer haben sechs Monate Zeit, um aus einer Idee für neue Formate im Wissenschaftsjournalismus erst Protoypen zu bauen und dann auf den Markt zu bringen. Experten und Business-Coaches unterstützen.Jetzt wollen Sie mit dem Media Lab Membership auch Medienhäusern bei Innovationen auf die Sprünge helfen?Wir wollen Medienhäusern mit unserem Wissen helfen, innovative Produkte schneller zu entwickeln, und lehren Innovationsmethoden. Das Programm läuft über ein Jahr. Kern des Ganzen: An sechs Workshoptagen wollen wir Mitarbeitern Tools und Methoden an die Hand geben, wie sich testen lässt, ob es für die Idee einen Markt gibt, wie man gute Ideen schnell prototypen kann und wie man ein Produkt dann weiterentwickelt. Dieses Handwerkszeug ist wichtig, meine Erfahrung allerdings ist auch: Soll sich in Medienhäusern etwas bewegen, muss die Entscheidung pro Innovation ganz oben in der Geschäftsführung fallen. Lina Timm, Geschäfts- leiterin Media Lab Bayern. Foto: Alexander von SpretiMedientage München 2018 Im zweiten Jahr gestaltet das Media Lab Bayern den Start-up-Bereich der Medientage München (24. bis 26. Oktober) unter dem Motto „Rockets & Unicorns“. Gründer bieten an Ständen und auf der Innovation Stage Einblicke in Innovationen und Start-ups der Branche. Eine weitere Veranstaltung des Media Labs Bayern: der Digital Media Idea Sprint vom 22. bis 24. November. Mehr unter media-lab.de.BJVreport 5/201813TitelStart-ups im Media Lab Bayern – fünf BeispieleContennoDas Start-up „Contenno“ arbeitet seit Jahresbeginn an einer Web-Plattform, mit der Zeitungen und Zeitschriften und später auch freiberufliche Journalisten ihre Inhalte international vermarkten können. „Contenno“ sei der erste internationale Handelsplatz für redaktionelle Inhalte, wirbt das zweiköpfige Gründerteam Axel Breuer und Martin Bauer. Und so soll das Ganze funktionieren: Ausgewählter Inhalt wird automatisch in die „Contenno“-Datenbank eingespielt. Die Plattform „identifiziert“ vermarktbare Artikel. Überschrift, einzelne Absätze und Schlüsselwörter werden automatisch ins Englische übersetzt. Die Inhalte werden auf einer Web-Plattform veröffentlicht. Herausgeber weltweit haben Zugriff und können die Artikel kaufen, die – nach Bedarf – direkt über die Plattform wiederum in die Zielsprache des Käufers übersetzt werden können. Mit dem internationalen Handelsplatz online gehen will das Start-up in der ersten Jahreshälfte 2019. Im Start-up-Bereich der Münchner Medientage wird sich „Contenno“ sowohl am Stand als auch auf der Bühne präsentieren. contenno.comUpspeak „Upspeak“ ist eine App für Podcast- und Radiocommunitys, bei der ausschließlich über die Stimme kommuniziert wird. Nutzer tauschen Sprachnachrichten innerhalb ihrer Community aus und kommen so miteinander, aber auch direkt mit ihrem Lieblingspodcaster oder -radiomoderator ins Gespräch. Der ganz persönliche Kontakt per Stimme sorge für Markenbindung, werben die Macher der Anwendung. Podcaster haben zudem die Möglichkeit, über ein Abomodell exklusive Zugänge oder neben dem freien Angebot zusätzliche Produkte zu verkaufen. Speech-to-Text-Transkription ermöglicht es, Audiobeiträge und Fragen der Community schnell auch in andere Contentformate zu integrieren. Gegründet hatte „Upspeak“ vor zwei Jahren der Landauer Philipp Wallinger. Sein ursprünglicher Gedanke: eine allgemeine Plattform zum Austausch von Sprachnachrichten. Daraus entwickelte er dann die Idee zur Plattform für Communities rund um Podcast-Marken. www.upspeak.deFactFox Redaktionen sehen sich täglich mit einer Fülle an Themen und Kommentaren in sozialen Netzwerken konfrontiert. Wie können Social Media Manager darauf schnell und gleichzeitig sachlich-ausgewogen reagieren? Das Start-up „FactFox“ will bei der Beantwortung von Kommentaren im Netz unterstützen. Die Idee entstand beim dpa-Hackathon „Tickertools“ im November 2016 und wurde dort mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Die beiden Gründer, der Entwickler Sami Boussaid und die Journalistin Miriam Mogge, kooperieren in der derzeitigen Testphase mit sechs großen Redaktionen, auch mit der Zielsetzung, Lösungen für Probleme rund um Fake News zu finden. Der schlaue Faktenfuchs erkennt, welche Nutzer auf der eigenen Seite relevant sind und schlägt dem Redakteur passgenau ermittelte Antwortmöglichkeiten auf Nutzerkommentare vor. Durch die automatische Erfassung neuer Fakten im Redaktionsalltag wächst die Antwortdatenbank im Laufe der Nutzung. factfox.ioPlantura Sie suchten im Internet vergeblich nach einem Angebot, das mit fundierten Informationen über die Anzucht von Obst und Gemüse, Garten- und Basteltipps sowie Produkttests wirklich überzeugt: Wirtschaftsingenieur Felix Lill, Journalistin Melissa Raupach sowie Wirtschaftswissenschaftler Dominik Cadmus. Fündig wurden sie nicht – und so begründeten sie mit „Plantura“ ein eigenes digitales Gartenmagazin, das im März 2017 online ging. Heuer im September sei die magische Zahl von einer Million Besuchern geknackt worden, erzählt Felix Lill. Das Besondere: Mit einem speziellen Programm werden zum Beispiel große Gartenforen oder auch Social-Media-Kanäle wie Facebook im Netz durchsucht, um herauszufinden, worüber Hobbygärtner aktuell vor allem sprechen. Im nächsten Schritt schaut das Plantura-Team, welche Aspekte am Trend-Thema besonders interessieren. Erst dann verfassen Experten entsprechende Artikel. Das führe zu einer hohen und sehr spezifischen Reichweite innerhalb der Zielgruppe. Geld verdienen die „Plantura“-Macher im Moment durch Produktplatzierungen und Eigenmarken wie einen eigenen Biodünger. www.plantura.gardenVaria Algorithmen in Social-Media-Diensten wie Facebook, Twitter und Co. sowie Suchmaschinen entscheiden heute, was für Menschen interessant sein könnte – und was nicht. Wer vor allem diese Portale nutzt, bewegt sich in der viel zitierten Filterblase und viele Informationen und Meinungsvielfalt bleiben unsichtbar. Denn die Algorithmen filtern in der Regel schlicht nach Effizienz: Interessant ist, was der einzelne Nutzer klicken, lesen und weiterreichen könnte. Mit der Medienplattform „Varia“ will deren Gründer Georg Horn Themen- wie auch Perspektivenvielfalt fördern und User aus den Filterblasen des Internets herausholen: „Wir sind mit der Ambition gestartet, einen Wandel in der Art und Weise, wie Medien und journalistische Information konsumiert werden, einzuläuten.“ Die Alphaversion von „Varia“ wird Georg Horn erstmals im Start-up-Bereich bei den Münchner Medientagen vorstellen. Geplant ist eine eigenständige Varia-Plattform, die 2019 online gehen soll. Erreichen will „Varia“ Nutzer zudem über Browser-Plugins für Medienportale und Social-Media-Kanäle. www.varia.media14TitelBJVreport 5/2018Keine Angst vor IdeenklauFrei und innovativ? Das geht, sagt die Journalistin Johanna Wild – Ihre Erfahrungen mit dem eigenen Unternehmen „Wafana“Von Senta Krasser Johanna Wilds Innovation hat einen weiten Weg ge-nommen, vom ostafrikanischen Ruanda bis nach München, wo die Unternehmerin heute lebt und sich bereit macht für den nächsten Sprung. Ob sie sich da-bei von der „Höhle der Löwen“ inspirieren lässt, also jener Gründershow auf Vox, in der die Start-up-Welt vor Er-findergeist glitzert? Da muss die 34-Jährige lachen: „Du musst deine Innovation verkaufen können, das stimmt schon.“ Aber was in der TV-Show gezeigt werde – vor Selbstbewusstsein strotzende Gründertypen, die ihre Erfin-dung vor einer kritischen Investorenriege als Revolution an-preisen – habe wenig mit der Realität gemein. „Innovation ist ein langwieriger Prozess.“ Wer unbescheiden sei, komme allerdings auch nicht weiter. „Du musst schon über deine Innovation sprechen.“Also reden wir über Wafana. Vor gut zwei Jahren grün-dete Johanna Wild mit Ursula Trischler in München die digitale Factchecking-Agentur. Sie hat sich darauf speziali-siert, Falsch- und Desinformation aus dem Netz zu fi-schen. Das Team, inzwischen auf fünf Mitarbeiter, darun-ter zwei IT-Spezialisten, angewachsen, bildet Redaktionen fort und arbeitet ausschließlich mit frei verfügbarer Soft-ware. Mit dem Crowdalyzer hat Wafana zudem ein Social Listening Tool selbst entwickelt, das Stimmungen im Netz analysiert. Das Unternehmen, so macht es Wild glaubhaft, steht zwei Jahre nach der Gründung auf soliden Füßen.Dass sie einmal im Bereich Online-Journalismus landen würde, hätte sie nicht gedacht. Wild arbeitete frei für klassi-sche Medien wie den Bayerischen Rundfunk. 2011 verab-schiedete sie sich für vier Jahre in die ruandische Hauptstadt Kigali, um im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Inter-nationale Zusammenarbeit die dortigen Journalisten beim Aufbau einer Medienorganisation zu unterstützen. „In Ru-anda hatte ich ständig mit Gerüchten und Falschmeldungen aus den sozialen Netzwerken zu tun“, erinnert sich Wild. „Ich war mir sicher, dass das Thema auch in Deutschland an Relevanz gewinnen wird und wollte mich unbedingt damit weiter beschäftigen, egal in welcher Form.“In Birmingham, beim britischen Digital-Vordenker Paul Bradshaw, machte die Afrika-Rückkehrerin den Master in Online-Journalismus. Ohne Bradshaw, der Wild antrieb, ihre Ideen in die Tat umzusetzen, gäbe es ihre Firma Wafana womöglich nicht. Bradshaw habe sich regelrecht an ihr ab-gearbeitet, weil sie mit einer recht deutschen Einstellung an-gefangen habe, bei ihm zu studieren. „Wenn er sagte, pro-bier‘ doch deine Idee gleich aus, antwortete ich, nein, das ist noch nicht gut genug, ich muss noch mehr wissen.“ Doch ihr Prof ließ nicht locker und impfte der Studentin from Germany ein: „Sobald du eine Idee hast, teile sie. Mach sie öffentlich, auch wenn sie noch nicht ausgereift ist.“Digitaljournalisten in England ticken andersDiesen zentralen Ratschlag zu befolgen, fiel Wild anfangs schwer. Auch weil sie selbst die in der deutschen Digital-Sze-ne weit verbreitete „Angst vor Ideenklau“ hatte. Das sei je-doch der falsche Ansatz, wie ihr Bradshaw beibrachte. Die Chance werde vertan, im Austausch mit anderen Leuten Impulse für die Weiterentwicklung der eigenen Idee mitzu-nehmen. „Digitaljournalisten im englischsprachigen Raum ticken diesbezüglich ganz anders“, hat Wild festgestellt.Sie überwand ihre Scheu vor öffentlichen Auftritten und spricht seither über Wafana überall, wo sich die Gele-genheit bietet. Über aktuelle Projekte und Recherche-Er-gebnisse im Bereich der Online-Verifikation informiert zudem der „Wafana-Blog“. Die Angst, dass sich irgendje-mand daraus ohne Quellenangabe bedienen könnte, hat Wild abgelegt: „Einmal wird einem vielleicht eine Idee ge-klaut, dafür hat man zehnmal mehr neuen Input bekom-men. Das ist viel wertvoller.“Gemeinsam stark: Die Wafana-Gründerinnen Johanna Wild (l.) und Ursula Trischler lernten sich im Media Lab Bayern kennen. Foto: Ursula TrischlerBJVreport 5/2018Auf dem Weg in die Karriere als Unternehmerin erhielt Wild Starthilfe vom Media Lab Bayern. Der Ideen-Inkuba-tor der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) wählte sie für das „Media Start-up Fellowship“ aus. Das Sti-pendium beinhaltet nicht nur eine Finanzspritze in Höhe von damals 10.000 Euro (heute 15.000 Euro). Intensive Be-treuung durch Mentoren und Business-Coaches, Fortbil-dung in Workshops und Zugang zu einem Netzwerk aus Digital-Aficionados sind inklusive. Nicht zuletzt stehen Sti-pendiaten die Räumlichkeiten in der Münchner City als Büro zur Verfügung, sogar über das Fellowship hinaus.Das große Ziel eines jeden Start-ups, einen Investor zu finden, hat Johanna Wild bislang nicht erreicht. Ein Jahr lang hängten sie und ihr Team sich in die Entwicklung des Crowdalyzers. Die Nürnberger Nachrichten erprobten ihn in der Praxis, doch es fehlte letztlich an Geld, um die Software weiterzuentwickeln. Das Projekt ruht. „Es ist sehr schwer für Journalisten, in die Investoren-Welt einzutreten“, hat Wild erfahren. Vielen Kollegen, und da nimmt sie sich selbst nicht aus, fehle die „Verkäufermentalität“. Anderer-seits forderten Investoren hierzulande bereits einen Kun-denstamm ein, bevor sie Geld locker machten. Kunden wiederum erwarteten ein komplett fertig entwickeltes Produkt. Ein Dilemma, in dem viele Start-ups steckten. „Das läuft im englischsprachigen Raum anders.“Sie hätte die Möglichkeit gehabt, mit Wafana in die USA zu gehen, erzählt Wild. Das habe sie aber abgelehnt. „Ich möchte hier in Deutschland etwas am digitalen Journalis-mus verändern. Denn in die USA zu schauen und Innovati-onen von dort zu kopieren, kann’s nicht sein.“Ihren internationalen Fokus behält Johanna Wild nichts-destotrotz bei. Vernetzung über Deutschland hinaus ist ihr ein großes Anliegen. Im Verbund mit ausländischen Kolle-gen stellt Wafana derzeit für die Berliner Non-Profit-Orga-nisation Tactical Tech ein Tool-Kit zur Online-Recherche zusammen. Mehr unter wafana.de.Die Gesundheitsreform sieht vor, dass künftig alle gesetzlichen Kran-kenkassen insolvenzfä-hig sind. Auch für die landesunmittelbaren Krankenkassen, die ser derzeit noch als insol-venz unfähig gelten, soll die Insolvenzfähig-keit hergestellt werden. Gleichzeitiges werden die noch bestehenden Bundesverbänden als solidarische Haftungs-verbünde der jeweiligen Kassenart aufgelöst. Die Haftungsgebäude der Landes- und Spit-zenverbänden passen nicht mehr in die von der Politik gewünsch-te neue Struktur mit einem GKV-Dachver-band. Die Haftungsauf-gaben gehen allerdings nicht auf den Spitzen-verband über. Den Krankenkassen droht damit im Falle einer dauerhaften Leis tungs-unfähigkeit die Eröff-nung eines Insolvenz-verfahrensvor der Zah-lungsunfähigkeit schüt das Gesundheitssystem Krankenkassen droht Krankenkassen, die Wettbewerb für Printmedien, Hörfunk, Fernsehen und Internet!Medien- preis2018Dr. Georg SchreiberZugelassen sind Beiträge junger Journalistin-nen und Journalisten bis einschließlich 35 Jahre zu den Themen Gesundheit und Soziales, die zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2018 in einer in Bayern erscheinenden Zeitung oder Zeitschrift veröffentlicht oder von einem Rundfunksender mit redaktionellem Sitz bzw. einem Landesstudio in Bayern ausgestrahlt wor-den sind. Zugelassen sind auch speziell für das Internet produzierte Beiträge mit thematischem Bezug zum Freistaat.Im Printbereich wird zudem ein bundes-weiter Sonderpreis ohne Altersbeschrän-kung vergeben.Informationen und Anmeldung: Internet: www.aok-medienpreis.dee-mail: medienpreis@by.aok.de Telefon: 089 62730-184AOK Bayern, Zentralez. Hd. Frau Andrea Winkler-Mayerhöfer Carl-Wery-Str. 28, 81739 MünchenDer Medienpreis dient der Förderung des journalistischen Nachwuchses und ist mit insgesamt 30.500 Euro dotiert.Ausgeschrieben von der AOK Bayern in Zusammenarbeit mit den Nachwuchsjour-nalisten in Bayern e.V. (NJB) - unterstützt von der Deutschen Journalistenschule München e.V. (DJS).So klappt es mit der Innovation – Drei Tipps von Johanna Wild Tausche dich aus und lerne dabei!Wer sich auf seiner Insel verschanzt, isoliert und blockiert sich selbst. Wer keine Fragen stellt, kriegt auch keine Antworten. Deshalb: Sprich über deine Innovation. Nur so kommst du voran.Probier‘ es aus, auch wenn es nicht perfekt ist!Innovationen entstehen nur, wenn man Dinge aus-probiert – auch auf die Gefahr hin, sich angreifbar zu machen. 19 Mal funktioniert es nicht, aber beim 20. Mal ist (vielleicht) der Durchbruch.Arbeite in interdisziplinären Teams!Um eine Idee auf die Schiene zu bringen, braucht es auch Leute, die sich mit neuen Technologien und Marketing auskennen. Aber behandle Software-Ent-wickler und Verkaufsprofis nicht wie Dienstleister, sie sind gleichberechtigte Partner.BJVreport 5/201816Titel „Es gehört zu unserem Job, die Kollegen vom Neuen zu begeistern.“Manuela Baldauf, Leiterin digitale Entwicklungsredaktion, Bayerischer RundfunkFoto: Maria DornerBegeistern für eine junge DisziplinWie bei der Süddeutschen Zeitung und beim Bayerischen Rundfunk Innovationsarbeit aussiehtVon Thomas MrazekInnovation ist nicht immer das Erfinden von etwas Neuem“, sagt Wolfgang Jaschensky. Er leitet die Ent-wicklungsredaktion der Süddeutschen Zeitung und arbeitet mit einem Team von 20 Kollegen. Es setzt sich interdisziplinär zusammen und betreut die im-mer vielfältigeren digitalen Ausspielwege: Ob Videos, Pod-casts oder Datenjournalismus-Inhalte – hier arbeiten Jour-nalisten, Programmierer und Designer zusammen, um neue Erzähl- und Darstellungsformen zu entwickeln und auszuprobieren. Für die Zeitung werde der Lesermarkt im Digitalen immer wichtiger, daher müs-se man hier noch besser werden. „Wir müssen ein Gespür dafür entwickeln, was im Digitalen sinnvoll ist – wir müssen ver-nünftige Ableitungen finden“, sagt der 35-jährige Journalist. Auch Scheitern ge-hört zu dieser Arbeit dazu: So sei man etwa mit Virtual-Reality-Angeboten bei Anzeigenkunden „weniger er-folgreich“ gewesen. Gelernt habe er in vierjähriger Arbeit in der Entwicklungsredaktion auch, dass es nicht unbedingt sinnvoll sei, an „ganz großen Projekten“ zu arbeiten. Es sei besser, in kon-tinuierlichen Schritten Angebote nach und nach zu verbessern. Innovationstreiber sind für Jaschensky die sozialen Me-dien: Instagram Stories oder Facebooks Texttafeln in Vi-deos ermöglichten neue journalistischen Formen; Google liefere immer wieder Inspirationen, ebenso die New York Times etwa mit ihrem Bezahlmodell oder die Washington Post mit ihrer gelungenen Textgestaltung. „Der angelsächsi-sche Raum ist uns immer ein, zwei Schritte voraus“, sagt der Entwicklungsredakteur. In der Redaktion tausche man sich ständig über innovative Formate und Ideen anderer Medi-en aus. Noch grenze zuweilen die Technik selbst Journalis-ten bei ihrer Arbeit ein – insbesondere Content Ma-nagement Systeme (CMS), schildert Jaschensky seine Erfahrungen. Wünschenswert wäre es mit „noch flexib-leren Systemen“ zu arbeiten und „raus aus dem Gefäng-nis des CMS zu kommen“. Doch dafür braucht es auch die Expertise von Entwicklern, aber die heuerten lieber bei „Techfirmen“ an. Oft sind es ZufallsideenDie Vielseitigkeit ihrer digitalen Projekte präsentiert die Süddeutsche Zeitung seit einigen Monaten auf einer eigenen Seite, projekte.sueddeutsche.de: Von digitalen Reportagen, Podcasts, Datenanalyse, Crowdsourcing, Faktenchecks, Virtual Reality bis hin zu den investigativen Recherche- Scoops wie den Paradise Papers findet man hier eine Zu-sammenstellung dessen, was derzeit im Online-Journalis-mus als innovativ gilt. Einige dieser Inhalte sind freilich nur mit dem kostenpflichtigen SZ-Plus-Angebot abrufbar. Ob sich diese zweifelsohne attraktiven und aufwändig erstellten journalistischen Angebote für das Zeitungshaus tatsächlich auszahlen? Einen Wissensvorsprung hat sich der Verlag damit sicherlich schon erarbeitet. Zwischen Online und Print arbeitet Dirk von Gehlen als Leiter Innovation/Social Media. 2016 etablierte er die SZ Langstrecke (langstre-cke.sz.de), die vierteljährlich in ge-druckter und digitaler Form er-scheint und „die besten langen Lesestücke“ der Zeitung in einem ansprechenden Layout bietet. „In-novation – das Schaffen von etwas Neuem“ sei für ihn noch eine sehr junge Disziplin, sagt von Gehlen. Zusammen mit Johannes Klinge-beil versucht der Journalist, bei dem Zeitungshaus unter anderem „kleine Ideen zu testen“. Er ist überzeugt, dass die SZ bei den Menschen noch „ein viel größeres Potenzial“ habe. Daher müsse man sich neue Distributionswege über-legen. Oft seien es nur Zufallsideen, die man mit kleinen Schritten weiterentwickle. „Von zehn Ideen in der Woche schafft es vielleicht eine“, sagt der Innovationsleiter. Neue Ideen in die Redaktionen bringenMedienwechsel zur Leiterin der digitalen Entwicklungs-redaktion beim Bayerischen Rundfunk, Manuela Baldauf. Mit ihrem 25-köpfigen Team, von welchem nicht alle in Vollzeit arbeiten, sieht sie sich als „Partner für die digitale Content-Entwicklung im BR“. Konkret beobachte man Trends in den digitalen Medien und teste sie. „Wenn eine Entwicklung vielversprechend erscheint, unterstützen wir die Programmredaktion dabei, digitale Inhalte so zu gestal-ten, dass sie dazu passen.“ Ziel sei es, „möglichst viele Men-BJVreport 5/201817Titelschen dort mit unseren tollen Inhalten zu er-reichen, wo sie Medien konsumieren wollen“. In ihrem Social Media Team betreuen die Kollegen die vielfältigen Angebote des BR: den Youtube Kanal, Pinterest und den BR Giphy Channel (unter giphy.com/br gibt es animierte GIF-Dateien aus BR-Inhalten). So-mit sind die Mitarbeiter immer auf dem neu-esten Stand und beraten die hauseigenen So-cial Media Manager, indem sie sie über „Social-Trends“ auf dem Laufenden halten. Ein weiteres Thema sind Webvideos, hier entwickle man neue digitale Formatideen in Zusammen-arbeit mit Partnerredaktionen. Bald-auf erklärt: „Wir arbeiten in der Regel nutzerzentriert, sehr oft mit Metho-den aus dem Design Thinking und gern auch zusammen mit dem BR User Lab.“ Alexa verändert den JournalismusWie versucht man beispielsweise auf relativ neue Ange-bote wie Amazons Alexa zu reagieren? Baldauf berichtet, dass man solche Trends systematisch beobachte und analy-siere: „Was kann sich für den Bayerischen Rundfunk und unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag eignen?“ sei dabei eine der leitgebenden Fragen. Schließlich lege man fest, welche Nutzergruppen man mit einer Innovation erreichen wolle und setze dann mit einer Partnerredaktion ein Pilot-projekt auf. Mit Alexa, dem Sprachassistenten von Amazon Echo, befasse man sich bereits seit Herbst 2016. In einem Pilotprojekt ging es zu-nächst darum, bestehende Inhalte über die neuen Geräte zu verbreiten und Erfahrungen zu sammeln, sagt Baldauf. Neben den BR24- Nachrichten-Skills veröffentlichte der Sender auch einen Bayern3-Skill mit einer eigenen Song-Abfragefunktion. „Gerade befassen wir uns mit Fragen, die mich persönlich am meis-ten beschäftigen: Durch die Sprachassistenten kommt das In-ternet in den Raum – egal ob im Auto oder zu Hause. Wir benöti-gen bei der Nutzung keine Bild-schirme mehr. Das verändert na-türlich die Art, wie wir Journalisten unsere Geschichten erzählen. Die neue Technologie wird so unsere Inhalte prägen – und wir versuchen herauszufinden, wie und was wir erzählen können“, erläutert Baldauf. Antworten darauf entwickle man vor allem in kleinen Projekten: „Lie-ber schnell mal zwei, drei Dinge konkret ausprobieren und klüger werden, als lange über die richtigen Strategien disku-tieren – bis diese greifen, haben sich Algorith-men und Plattformen schon längst wieder verändert.“Kollegen vom Neuen begeisternWie werden solche Neuerungen bewertet? „Wir setzen uns Reichweitenziele und bestim-men Nutzergruppen, die wir erreichen wol-len“, erklärt die Leiterin der Entwicklungsre-daktion. Nach dem Start eines Pilotprojektes werde evaluiert: „Haben wir unsere Ziele erreicht und wen genau haben wir erreicht?“ Bei größeren Projekten teste man auch mit Nutzern oder mit Umfragen – unterstützt werde man dabei von der Medienforschungsab-teilung und dem User Lab.Beim Bayerischen Rundfunk än-dert sich für fast alle Mitarbeiter in den letzten Jahren stetig etwas. Ist da nicht Überzeugungsarbeit für Innovation notwendig? „Überzeugungsarbeit würde ich es nicht nennen, denn dass wir digital innovativ arbeiten müssen, um relevant zu blei-ben, ist bei den meisten angekommen. Begeisterungsarbeit trifft es eher: Keiner hat auf das Neue gewartet“, sagt Baldauf und ergänzt „Oft macht es zusätzliche Arbeit, vieles funktio-niert nicht so, wie man sich das ursprünglich ausgedacht hat. Es gehört zu unserem Job, die Kollegen vom Neuen zu begeistern und ihnen zu zeigen, dass es Spaß macht und sich die Mühe lohnt.“Den Nutzer im FokusBesonders freut sich Baldauf auf den Start eines Storytelling-Projekts in Messenger- Diensten: „Viele Bayern nutzen regelmäßig Messenger wie Whatsapp – von Jugendlichen bis zu Senioren. Sie leiten nicht nur Privates weiter, sondern auch Nachrichten – wir möch-ten darin Geschichte lebendig werden lassen.“ Ab 14. Oktober starte man mit Bayern2 das Projekt „Ich, Eisner“, das in Echtzeit (nur eben hundert Jahre später) die Geschichte der Revolution in Bayern erzähle. Kurt Eisner höchstpersönlich, An-führer der Revolution des Jahres 1918 und erster Ministerpräsident Bayerns, schickt den Nutzern Nach-richten aus der Vergangenheit: Tex-te, Bilder, Videos und Sprachnach-richten, die Geschichte unmittelbar erfahrbar machen. Zur Landtagswahl hatte der Sender das Mitmachprojekt „#MeinWunschanBayern“ gestartet, bei wel-chem Bürger ihre Wünsche an Politiker per Video formulie-ren konnten. Ziel sei es gewesen, eine Debatte über aktuelle Themen anzustoßen, die die Menschen bewegen. „Von zehn Ideen in der Woche schafft es vielleicht eine.“Dirk von Gehlen, Leiter Innovation/Social Media, Süddeutsche Zeitung Foto: Hauke Bendt„Wir müssen ein Gespür dafür haben, was im Digitalen sinnvoll ist.“Wolfgang Jaschensky, Leiter SZ-EntwicklungsredaktionFoto: Daniel Hofer18TitelBJVreport 5/2018Unwiderstehliche ErlebnisseDie Suche nach dem neuen Journalismus in einer vernetzten Welt Von Barbara Weidmann Eine Multimedia-Story – für Generationen war das ein Text mit Bildern. Audio und Bewegt-bild kamen später hinzu. Die Trägermedien hübsch getrennt, versteht sich. Binnen weni-ger Jahre hat nun die digitale Revolution das mediale Ökosystem völlig umgekrempelt. Sie nimmt Ein-fluss auf alles: Recherche, Produktion, Distribution. Sie gibt jeden Tag neue Werkzeuge an die Hand, neue Forma-te, neue Verbreitungswege. Nie war Storytelling vielfälti-ger, aber auch anspruchsvoller. Leser sind nun „Nutzer“, wenn nicht gar „Prosument“. Sie sind wählerisch, sie in-teragieren, geben Rückmeldung, tragen selbst Inhalte bei. Die Deutschen finden die Medieninnovationen toll – das ergab unlängst eine Studie von Statista im Auftrag von nextMedia Hamburg. Sie wollen nur nicht dafür zahlen. „New Storytelling“ ist nutzerzentriert. Es will unwi-derstehliche Erlebnisse schaffen. Muss es auch, sonst ist der Nutzer weg. Das ist aber keine Effekthascherei. Ge-schichten sollen aus der Ich-Perspektive erlebbar gemacht werden. Das weckt echte Emotionen. Wer schon einmal mit 3D-Brille und Kopfhörer die Umwelt ausgeblendet hat, weiß, was es heißt, sich plötzlich mit Seenotrettern auf einem Schlauchboot an der libyschen Küste wieder-zufinden, in der Arktis oder auf der Internationalen Raumstation. Wie es sich anfühlt. Selbst mit einem Smartphone oder einer kleinen 360-Grad-Kamera lässt sich der Nutzer schon virtuell in eine andere Szenerie versetzen. So lange die Bildauflösung stimmt. Grobe Pixel oder schlechter Ton zerstören den magischen Moment der Immersion. Künstliche 3D-WeltenHochwertige Produktionen sind ungleich aufwändiger. Erst recht, wenn Computeranimationen in künstliche 3D-Welten entführen sollen, in die virtuelle Realität. So kann der Nutzer längst Vergangenes nachvollziehen, wie beim WDR die Baugeschichte des Kölner Doms oder alte Bergwerke in NRW. Die Süddeutsche Zeitung lässt uns on-line schon mal auf zukünftigen Bahnhöfen der zweiten Stammstrecke flanieren. Aber Vorsicht: Viele Nutzer kom-men aus millionenschweren Computerspielwelten. Da wirkt eine Low-Budget-Spielszene auch mal albern. Auf eine realistische Darstellung hat das Deutschlandra-dio bei seiner App „Stasi VR“ bewusst verzichtet. Und den-noch entfaltet auch diese 360-Grad-Geschichte eine starke suggestive Kraft. Original-Tonaufnahmen aus Stasi-Verhö-Neue Werkzeuge, neue Formate, neue Verbreitungswege – die Medienwelt verändert sich. Hierfür einige Beispiele (von links; erst oben, dann unten): die Newschat-App „Resi“, die allerdings bereits wieder eingestellt wurde; das WDR-Projekt „Superkühe“; der Wahl-o-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung, neue Analyse-Software, die Recherchen wie die Panama Papers erst möglich macht; Feinstaubwerte in Echtzeit der Stuttgarter Nachrichten; oder auch die App „Stasi VR“ von Deutschlandradio. Screenshots: Barbara Weidmann / Collage: Rudi Stix19TitelBJVreport 5/2018ren werden hier mit einem virtuell nachgebildeten Verhör-raum kombiniert. Der Nutzer nimmt die Perspektive des Häftlings ein. Neben anspruchsvoller Hard- und Software erfordern solche Projekte eine völlig neue Herangehenswei-se an die Storyführung. Der Erzähler gibt viel Kontrolle an den Nutzer ab. Anders als bei linearen Erzählweisen ent-scheidet Letzerer nämlich selbst, was er sich als Nächstes ansehen, wo er hinklicken, was er tun möchte. Gamification: Etwas Spaß darf seinLenken, bei Laune halten, aber auch Informationen nachhaltig verankern, können integrierte Spielelemente. Neudeutsch: „Gamification“. Schon kleine Umfragen, das Quiz der ARD oder der bekannte Wahl-o-Mat der Bundes-zentrale für politische Bildung erzeugen Spannung und be-friedigen Grundbedürfnisse des „homo ludens“: Beloh-nung, Status, Selbstdarstellung. Ein bisschen Spaß darf sein. Kratzt das nicht an der Glaubwürdigkeit seriöser Medi-en? Sicher nicht, wenn die Berliner Morgenpost augenzwin-kernd das Gehalt ihrer User dem von Fußballern aus der Nationalmannschaft gegenüberstellt. Oder wenn Nutzer beim Bayerischen Rundfunk statistische Werte aus Deutsch-land schätzen und mit den tatsächlichen Zahlen vergleichen können. Durchdachte Angebote mit didaktischem Hinter-grund. Sie bedienen sich der großen Datenvielfalt, die inzwi-schen zur Verfügung steht. Wesentlich für den Aha-Effekt beim User ist die richtige visuelle Darstellung.Datenjournalisten kumulieren, analysieren, destillie-ren und verdeutlichen Zusammenhänge, die früher ver-schlossen blieben oder nur mit größtem Aufwand herzu-stellen waren. Neue Analysesoftware macht preisgekrönte Recherchen wie die Panama Papers erst möglich oder lässt uns zugetragenes Material leichter verifizieren. Ein erfolgreicher neuer Berufszweig rund um Big Data. Inter-esse und Bedarf sind riesig. Schneller als jeder Mensch werten Algorithmen große strukturelle Datenmengen aus. Und billiger. Textroboter formulieren Wettervorhersagen, Bundesliga-Ticker, Bör-sennotizen, bei Bedarf gleich in mehreren Sprachen. Bei Vergleichstests schnitt der Automat beim Nutzer besser ab. Das lässt Druck entstehen, nicht nur aus verletzter Ei-telkeit. Aber die Entlastung aus langweiligen Routinen kann auch Chance sein, solange entstehende Freiräume kreativ genutzt werden. Automatisierung adaptiert Inhal-te beim Plattformwechsel, kanalisiert die Kommunikati-onsflut in Redaktionen, hilft bei der Vermarktung. Nicht zuletzt deshalb ein interessantes Feld für journalistische Startups (siehe Factfox, Contenno, Varia, Plantura in die-sem BJVreport Seite 15). Aus Daten entstehen Informationsangebote oder überraschende Geschichten. So liefert die Stuttgarter Zei-tung Feinstaubwerte in Echtzeit als Service aus. Der Ta-gesspiegel will herausfinden, welche Straßen in Berlin be-sonders gefährlich für Radfahrer sind und besorgt sich fehlende Daten selbst, indem er Fahrräder mit Sensoren ausstattet. Höhepunkt des „Sensorjournalismus“ im letz-ten Herbst: Das WDR-Projekt „Superkühe“, mit dem eine Diskussion über Formen der Milchwirtschaft angeregt werden sollte. Die User konnten Kontakt zu den Kühen aufnehmen und ihr Leben mitverfolgen, per automatisch generiertem Kuh-Tagebuch, Livebildern aus dem Stall und einem Chatbot im Facebook-Messenger. Seit sich die Instant-Messenging-Dienste zunehmend professionellen Anbietern öffnen, etablieren sich völlig neue Formate. Der Fränkische Tag startete 2014 den ers-ten Versuch, Regionalnews per Messenger auszuliefern und wurde vom Erfolg förmlich überrollt. WhatsApp und Facebook Messenger haben sich seither als wichtige Ausspielkanäle erwiesen. Bequemlichkeit schlägt alles. Den User abholen, wo er sich die meiste Zeit des Tages aufhält. Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nicht, wie die jüngst eingestellte Newschat-App „Resi“ zeigt. Das Nutzerverhalten bestimmt die Form. Audioinhal-te gewinnen wieder mehr an Bedeutung. Dank Alexa, Siri und Co. werden News per Sprachabruf immer gefragter. Echten Mehrwert verspricht auch Augmented Reality, die um virtuelle Inhalte erweiterte Realität. In Industrie, Ar-chitektur oder Medizin schon üblich, wurde AR der Mas-se erst durch das Smartphone-Spiel „Pokemon Go“ ein Begriff. Die New York Times, Early Adopter der Branche, prescht auch hier nach vorne und testet das Potential. Mit ihrer App kann man sich Olympioniken oder die Büh-nenkostüme von David Bowie ins heimische Wohnzim-mer stellen und von Nahem beäugen. Längst nicht alles ist teuer und kompliziertNicht alles ist schrecklich kompliziert und teuer ge-worden. Liveberichte gibt es quasi zum Nulltarif vom Mobilgerät, günstige Kameratechnik hat den Videobe-reich aufgemischt. Luftbild mit Drohne. Multimedia- Snippets lassen sich heute ohne großen Aufwand produ-zieren, für Infografiken und interaktive Formate stehen kostenlose Browsertools zur Verfügung. Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen bleibt die größte Herausforderung. Was zählt, sind Neugier, Kreati-vität und der Ehrgeiz, den User zielsicher mit neuen Mit-teln bei der Informationsverarbeitung zu unterstützen. Innovationen ergänzen und bereichern unsere Geschich-ten – und unseren Arbeitsalltag. Links zu sämtlichen im Text genannten Anwendungen, Angeboten wie auch auf die Statista-Studie unter bjvlink.de/innovation2018.Die AutorinBarbara Weidmann ist freie Journalistin, Trainerin und Dozentin mit den Schwerpunk-ten Multimedia Storytelling und Mobile Reporting. www.fit-for-crossmedia.de Foto: Heike RostNext >