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Von links nach rechts: Mladen Milutinovic, Zeljko Ivanovic, Milka Tadic-Mijovic, Wolfgang Stöckel, Johannes Grotzky und Eberhard Sinner
Foto: 
Jutta Müller

Presse- und Meinungsfreiheit

„Ihre Berichte sind wie eine Lebensversicherung!“

Chefredakteure aus Montenegro berichten über massiven Druck auf die Medien

München, 25.03.2013

Montenegro schafft es nicht oft in die Schlagzeilen der ausländischen Medien. Das mag auch daran liegen, dass der Adriastaat in der Fläche etwa so groß wie Schleswig-Holstein ist und nur rund 650.000 Einwohner zählt. Bis 2006 gehörte das Land zu Rest-Jugoslawien, bevor es nach einem Referendum unabhängig wurde. Seit drei Jahren ist Montenegro Beitrittskandidat für EU und NATO.

Mit der DPS (deutsch: der Demokratischen Partei der Sozialisten Montenegros) regiert dort seit 20 Jahren dieselbe Partei, ein Mann zieht die Fäden: Milo Djukanović, der im Oktober 2012 erneut zum Regierungschef gewählt wurde.

In der weltweiten Rangliste der Reporter ohne Grenzen belegt Montenegro aktuell in Sachen Pressefreiheit Platz 113. Es liegt damit abgeschlagen hinter Ländern wie Libyen, Liberia oder Uganda. Der BJV hatte drei Chefredakteure oppositioneller Blätter aus Montenegro in den Münchner Presseclub eingeladen, um mehr über die Situation der Medien und ihre Arbeitsbedingungen zu erfahren.

Mit ihnen diskutierten am 20. März BR-Hörfunkdirektor Dr. Johannes Grotzky, der mehrere Jahre als Korrespondent auf dem Balkan gearbeitet hat, Eberhard Sinner, Abgeordneter des Bayerischen Landtags und dort Mitglied im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und als Moderator der BJV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Stöckel, der seit Jahren Kontakt zu oppositionellen Journalisten in Montenegro unterhält.

Mladen Milutinovic, Chefredakteur der Tageszeitung Dan, berichtete von eine Tonaufnahme, die seiner Redaktion zugespielt wurde. „Auf diesen Aufnahmen sind die Stimmen von führenden Funktionären der Regierungspartei, von Ministern und dem Premierminister persönlich zu hören. Sie unterhalten sich darüber, wie viele Oppositionsanhänger sie aus den Wählerlisten gestrichen haben und wie sie europäische Fonds für Stimmenkäufe und Bestechungen verwendet haben“.

Ein anderer Funktionär sage auf dem Band, jeder, der einen Job wolle, müsse vier Mitglieder seiner Familie als Wähler von Djukanovic verpflichten. Auf einem anderen vorgelegten Dokument ist außerdem ein Brief des montenegrinischen Postministers zu sehen, auf dem er für jeden Mitarbeiter auflistet, ob er ein Regierungsfreund oder Oppositioneller ist und welche Maßnahmen er dazu vorschlägt.

Dokumente über Wahlbetrug auf Zeitungs-Website
Diese und weitere Aufnahmen, deren Echtheit sogar von der Regierung bestätigt worden sei, stehen auf der Webseite von Dan zum Download (www.dan.co.me, in serbokroatischer Sprache). Jeder habe seit langem von Wahlbetrug gewusst, aber ein konkreter Beweis habe immer gefehlt. Der Mitschnitt sei inzwischen auch EU-Abgeordneten in Brüssel übergeben worden.

Wer hat Dusko Jovanovic ermordet?
Es gehört viel Mut dazu, über solche Vorgänge zu berichten und Beweise auf die eigene Homepage zu stellen. Der frühere Dan-Chefredakteur Dusko Jovanovic hat diesen Einsatz mit dem Leben bezahlt. Er wurde am 27. Mai 2004 erschossen und verblutete auf der Straße vor dem Redaktionsgebäude.

Jovanovic hatte den starken Mann Montenegros, Regierungschef Milo Djukanovic im Blatt immer wieder in die Nähe zur organisierten Kriminalität sowie zur Zigaretten- und Drogenmafia gerückt. Sein Mörder oder dessen Auftraggeber wurden nie gefasst. Die Redaktion gedenkt seiner auf besondere Weise: Auf Seite Eins der Online-Ausgabe der montenegrinischen Tageszeitung Dan (deutsch: Der Tag) ist in der rechten oberen Ecke das Foto von Dusko Jovanovic zu sehen. Daneben steht auf Serbokroatisch die Frage: Wer hat Dusko Jovanovic ermordet?

Mit dem Tod bedroht seien oppositionsfreundliche Journalisten in Montenegro heute nicht mehr, seit die Europäische Union das Land beobachte, berichteten die Redakteure. Aber: Redakteure seien verprügelt worden, Autos auf dem Redaktionsparkplatz in Flammen aufgegangen, „weil wir seit 24 Jahren in jeder Ausgabe über seine Machenschaften schreiben und diese auch beweisen!“, berichtete Milka Tadic-Mijovic, Chefredakteurin des Wochenmagazins Monitor im Münchner Presseclub.

Solche Übergriffe würden nicht verfolgt und nicht aufgeklärt. schilderte Zeljko Ivanovic, Chefredakteur der Tageszeitung Vijesti anhand weiterer bedrückender Beispiele. In einem Bericht („Media and Freedom of Expression, Regular Report 2012“) haben die drei Chefredakteure auf fünf Seiten detailliert die jüngsten physischen, ökonomischen und juristischen Attacken durch die Politik und kriminelle Handlanger aufgelistet.

Ökonomische Repressionen
Neben der Einschüchterung durch physische Gewalt gehe es dem Regime Djukanovic darum, die unabhängigen Zeitungen auszubluten. „Uns stehen Klagen über 15 Millionen Euro ins Haus. Phantasiesummen, die auf erfundenen Beschuldigungen beruhen“. Oder: Neue staatsnahe Tageszeitungen würden von unbekannten Herausgebern gegründet, die dann den oppositionsfreundlichen Medien über Dumpingpreise das Wasser abgraben.
 
Gleichzeitig beklagt Ivanovic einen Anzeigenboykott gegen Vjestji und andere oppositionsfreundliche Medien. „In Montenegro ist der Staat der größte Arbeitgeber, die private Wirtschaft spielt kaum eine Rolle. Fast 95 Prozent aller Staatsmittel für Anzeigen werden ausschließlich an Regierungszeitungen gegeben, die keiner liest. Das ist ein großer Verlust für uns“, betont der Chefredakteur von Vjesti.

Die Situation in Montenegro sei nicht singulär, auch in anderen Staaten auf dem Balkan sei direkter politischer Druck auf die Medien zu beobachten gewesen, betonte BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky. „Vieles was wir heute gehört haben, hat es auch in Kroatien unter Franjo Tuđman gegeben“. Auch der habe oft gesagt: Stabilität sei wichtiger als Demokratie. 

„Wir müssen die Verantwortung für Länder wie Montenegro hier spüren und offen dafür sein, den Menschen dort zuzuhören und in den Medien darüber zu berichten“, erklärte Grotzky. Für die jungen Montenegriner hätten die Medien im eigenen Land längst an Glaubwürdigkeit verloren. Dadurch gewinne das Internet und Medien wie BBC World, Voice of America oder die Deutsche Welle wieder an Bedeutung.

Sinner plädiert für die europäische Perspektive
„Die europäische Perspektive ist das Wichtigste, um den Rechtsstaat in Montenegro wiederherzustellen und die Medienfreiheit und die Unabhängigkeit der Presse in der Zukunft zu garantieren“, erklärte der Landtagsabgeordnete Eberhard Sinner (CSU). Er wandte sich gegen den Vorwurf, Brüssel nehme die Situation in Montenegro kaum wahr und betonte, in den Fortschrittberichten der EU werde massiv auf die angesprochenen Vorkommnisse hingewiesen. Die Vorfälle würden auch im Europarat diskutiert. „Wir müssen das Thema noch mehr öffentlich machen, damit der Druck auf die Regierung aus dem Ausland zunimmt“, forderte Sinner.

Das könnte auch den oppositionellen Medien helfen. Auch Milka Tadic-Mijovic von Monitor setzt auf die Kollegen in Deutschland. „Djukanovic fürchte nichts so sehr wie negative Schlagzeilen über Missstände in seinem Land“, sagt sie. „Deshalb sind Ihre Berichte über uns so etwas wie eine Art Lebensversicherung.“

Maria Goblirsch

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