Johanna Wild: „Wenn ich aber als Redaktion Techniken imitiere, die zu ‚Fakes‘ beitragen, ist dies gefährlich.“ 
Foto: Michaela Schneider

Bezirksverband München – Oberbayern

„Journalismus ist Dialog“

BJV-Podiumsdiskussion: Wie können Redaktionen mit „Fake News“ in einem veränderten medialen Ökosystem umgehen

München, 24.10.2018

Johanna Wild beschreibt eine Art Wettrennen zwischen denen, die „Fakes“ zum Beispiel als Propagandamittel verbreiten und jenen, die dagegen vorgehen. Nüchtern erklärt die Gründerin der Fact-Checking-Agentur Wafana: „Mit diesem Problem werden wir noch eine Weile zu tun haben.“ Technologien entwickelten sich weiter, damit entstünden neue Methoden der Manipulation. Und jene, die verstehen wollen, was da passiert, hinkten hinterher.

Was aber bedeutet dies für die Arbeit von Journalisten? „‚Fake News‘ und Vertrauensverlust: Journalismus in einer unsicheren Medienwelt“ lautete das Thema einer Podiumsdiskussion, zu der der Bayerische Journalisten-Verband am Vorabend der Münchner Medientage in den Presseclub München eingeladen hatte.

Neben Wild debattierten über Aspekte wie Nutzervertrauen oder Medienkompetenz: Stefan Primbs, Social-Media-Beauftragter beim Bayerischen Rundfunk, Carsten Reinemann, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, sowie Krautreporter-Herausgeber und -Mitgründer Alexander von Streit. BJV-Vorsitzender Michael Busch moderierte.

Phänomen nicht neu, mediales Ökosystem schon
Das grundsätzliche Phänomen fehlerhafter Informationen an sich sei nicht neu, sagte Reinemann. Verändert habe sich das mediale Ökosystem. Nachrichten oder auch Falschnachrichten verbreiteten sich in ganz anderer Geschwindigkeit – und zwar digital ohne den Filter des klassischen Journalismus.

Jeder habe die Möglichkeit, Dinge mit einer relativ hohen Reichweite zu verbreiten. Damit gingen auf der Nutzerseite Verunsicherung und mangelndes Vertrauen einher. Und: Nebeneinander entstünden unterschiedliche Welten. Während in der einen Filterblase „Fake News“ verbreitet würden, gehe es in einer völlig anderen Blase um deren Korrektur.

„Früher kam keiner an uns Journalisten vorbei“
Oder mit Alexander von Streits Worten: „Vor 15, 20 Jahren gab es keine echten Alternativen zum Journalismus. Damals kam keiner an uns Journalisten vorbei.“ Heute dagegen könnten sich jene, die dem Journalismus nicht mehr vertrauten, Informationen aus irgendwelchen Quellen zusammensuchen.

Woher aber rührt diese Vertrauenskrise? Von Streit betrachtete vor allem auch jene Onlinemedien als Teil des Problems, deren Agenda sich nach der Klickzahl richtet.

Allerdings tue sich laut BR-Mann Stefan Primbs hier ein Dilemma auf, denn wolle man Menschen erreichen, brauche man deren Aufmerksamkeit. „Man muss das Spiel im Netz teilweise mitspielen, sonst ist man als Medium nicht sichtbar“, sagte er.

Wild indes riet deutlich zur Vorsicht: Wer „Fakes“ produziere stachle bewusst extreme Emotionen an. Viele Medien nutzten gleiche oder ähnliche Methoden, um Klicks zu erreichen. „Wenn ich aber als Redaktion Techniken imitiere, die zu ‚Fakes‘ beitragen, ist dies gefährlich.“ (Wer mehr über Johanna Wild erfahren möchte: Im aktuellen BJVreport 05/2018 ist ein Porträt über die Gründerin der Fact-Checking-Agentur Wafana zu lesen.)

Mehr Fachkenntnis in Redaktionen nötig
Wie aber nun mit „Fake News“ umgehen? Beim Bayerischen Rundfunk beschäftigen sich eigens abbestellte Mitarbeiter ständig mit der Falsifizierung von Nachrichten, erzählte Primbs. Das sei heute zum einen nötig, weil gerade in Extremsituationen wie dem Amoklauf in München ohne klare Zuständigkeit keiner die Zeit habe, eine halbe Stunde lang ein Video zu checken. Zum anderen brauche es dafür Fachkenntnisse.

Zu wenig Verlagsinvestition in neue Technologien
Die allerdings fehlen in vielen Redaktionen bislang, weiß Johanna Wild. Journalisten seien meist nach wie vor klassisch ausgebildet – und das neue Handwerkszeug fehle. Deshalb gebe sie Schulungen in Redaktionen und auch für das Seminarprogramm des BJV.

Daneben forderte die Journalistin und Unternehmerin mehr Zusammenarbeit mit Softwareentwicklern. „Ich mache mir sehr große Sorgen um den Journalismus, weil ich sehe, dass nicht die Verlage in neue Technologien investieren, sondern Unternehmen, die längst nachrichtenähnliche Websites betreiben“, sagte sie. Hier drohe Gefahr, dass Redaktionen abgehängt und Nachrichten irgendwann allein von Unternehmen interessensgesteuert produziert werden.

An dem Punkt darf ein Stichwort nicht fehlen: Medienkompetenz. Wild beobachte, das Jugendliche heute nicht mehr unterscheiden, ob eine Information von der Süddeutschen Zeitung stammt oder direkt aus einem Unternehmen. Moderator und BJV-Vorsitzender Michael Busch nutzte die Chance, um auf das kürzlich verabschiedete „Positionspapier Medienkompetenz“ des BJV zu verweisen. Darin lautet ein Vorschlag: Journalisten sollten als Medienerzieher in Schulen gehen.

Transparent machen, wie Journalisten arbeiten
Alexander von Streit empfahl zudem, „Möglichkeiten zu schaffen für Leute, die mitreden wollen“. Journalismus sei Dialog. Bei den als Crowdfunding-Projekt begründeten Krautreportern setze er, auch um Vertrauen zu schaffen, auf drei Prinzipien: Immer wieder werden Zusammenhänge erklärt. Die Journalisten stehen im Vordergrund und machen transparent, wie sie arbeiten. Leser werden bewusst schon in Recherchen einbezogen etwa über Fragebögen, Anregungen aus der Community werden aufgenommen.

Politik und Unternehmen nicht aus Verantwortung entlassen
Reinemann ergänzte um einen weiteren Punkt: Politik und Unternehmen dürften nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Mit einem Präsidenten wie in den USA, dem es egal sei, ob er eine wahre oder unwahre Nachricht verbreite, habe ein Land ein echtes Problem.

Michaela Schneider

BJV-Newsletter abonnieren!

Hier können Sie unseren kostenfreien Newsletter abonnieren. Bitte geben Sie Ihre E-Mail Adresse an. Das System sendet an diese Adresse einen Link, mit weiteren Informationen zum Abschluss der Anmeldung.